zum Hauptinhalt

Potsdam: Sturzbecher aus Goldrubinglas

Der Hobbyforscher Lothar Franze beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit historischem Glas. In Potsdam stieg er dafür sogar in eine Baugrube.

Potsdam - Auf dem einen Trinkglas prangt eine Nonne, das andere ebenso hohe gläserne Trinkgefäß wird von einem Mönch geziert. Die beiden Gläser leuchten in zauberhaftem Rot. Sie sind fein gearbeitet. Doch ihre Funktionalität ist allzu eigentümlich. Füllt man sie mit Getränk, lassen sie sich nicht abstellen. Nur kopfüber finden die Gläser auf einer Tischplatte Halt. Denn dort, wo sich heute üblicherweise der Fuß eines Trinkglases befindet, sind hier, auf diesen Jahrhunderte alten Gläsern die beiden Klosterbewohner jeweils als Büste aus Glas gestaltet. Die Köpfe des Mönchs und der Nonne zeigen nach unten – und geben so den Trinkgläsern keinen Halt. Sturzbecher nennt man diese Art der Trinkgefäße, die nur kopfüber hingestellt werden können. Am preußischen Hof sollen sie ziemlich beliebt gewesen sein. Da ein Abstellen eines solchen gefüllten Glases eben nicht möglich war, musste man es quasi auf ex leeren: Hopp Hopp rinn in Kopp!

Die beiden Sturzbecher aus Goldrubinglas mit Mönch und Nonne wurden einst in der Potsdamischen Christallinen Hütte hergestellt. Der noch immer bekannte Glasforscher und Alchemist Johann Kunckel war es, der dieser Glasmanufaktur damals zu einigem Ruhm verhalf. Heute ist von der einstigen Glashütte im Stadtbild nichts mehr übrig geblieben. Nach Erkenntnissen des Potsdamer Hobbyforschers Lothar Franze befand sich die unter dem Großen Kurfürsten im Jahre 1679 gegründete Hütte unter den heutigen Gleisanlagen nahe der Friedrich-Engels-Straße in Höhe der Glaspyramide der Märkischen Allgemeinen Zeitung.

Als im Jahre 2004 Tiefbauarbeiten in der Friedrich-Engels-Straße stattfanden, da habe er, so Franze, sofort die Chance gesehen, im Erdreich nach historischen Glasresten zu suchen. Daher ging er damals sogleich zum Potsdam Museum und warb für seine Idee der Spurensuche im märkischen Boden. Im Museum habe man ihm jedoch zu verstehen gegeben, dass der Standort der alten Glashütte weiter stadtwärts gewesen sein müsse – und winkte ab. Doch Franze gab nicht auf und suchte nun selber. Dem Bauleiter, der die Arbeiten an der Friedrich-Engels-Straße beaufsichtigt hatte, erklärte er: „Ich komme jetzt jeden Abend hierher.“ Gesagt, getan: „Nach mehreren Tagen habe ich die ersten Funde getätigt“, erzählt Franze. Was der Hobbyforscher fand, waren keine ganzen Gläser, sondern nur Bruchstücke. Das Gebiet unter der Friedrich-Engels-Straße, in dem Franze fündig wurde, war offenbar zu den aktiven Zeiten der Glashütte so etwas wie eine Glasmüllhalde der Manufaktur. Ein halbes Jahr lang sei er fast täglich vor Ort gewesen. „Meine Frau hat mich für verrückt erklärt“, sagt Franze. Doch die einmalige Chance, im Boden nach gläsernen Zeugnissen der Vergangenheit zu suchen, wollte sich der Potsdamer nicht entgehen lassen. Am Ende seien es rund 2000 Glasteile gewesen, die er gefunden habe. Franze meldete seine Funde amtlich an, denn das ist Pflicht. Heute befinden sich die Stücke in einem staatlichen Depot.

Franze, der von Beruf Diplomingenieur für Gartenbau ist und heute im Ruhestand in Potsdam lebt, sagt, ihn habe Glas schon in jungen Jahren interessiert. Ein rotes Trinkglas aus altem Familienbesitz sei wohl der Auslöser für seine Leidenschaft gewesen. Im Laufe der Jahrzehnte arbeitete sich Franze immer tiefer in die Materie ein.

Bei der geografischen Zuordnung von historischen Glasfunden müsse man sehr aufpassen, dürfe sich nicht in die Irre führen lassen, sagt Franze. Denn schon vor Jahrhunderten hätten die Glashersteller oftmals Glas, das nicht aus ihrer eigenen Produktion stammte, einfach eingeschmolzen, um daraus neue Glasgegenstände zu erschaffen. Aufschlussreich sind jedoch die Formen der Fundstücke, erklärt Franze. Daran könne man erkennen, ob es sich bei den Glasbruchstücken um sogenannte Pfeifenabschläge oder Scherenabschnitte handele – also Abfall, der bei der Glasproduktion entsteht. Wenn man so etwas vor sich habe, dürfe man davon ausgehen, dass die jeweiligen Bruchstücke direkt in der jeweiligen Hütte produziert wurden. Für die Potsdamer Manufaktur habe er durch seine Funde nachweisen können, dass hier unter anderem auch grünes Glas geblasen wurde, was zuvor „praktisch unbekannt war“, erläutert Franze. Die meisten Bruchstücke, die in seinen Händen erneut das Licht der Welt erblickten, seien jedoch aus farblosem Glas gewesen – in der Fachsprache weißes Glas genannt.

Die Potsdamer Hütte unter den heutigen Bahngleisen, damals am Hakendamm gelegen, war bekannt für ihr Goldrubinglas, das zumindest in der Region wohl kein anderer herstellen konnte. Nur Johann Kunckel wusste, wie es geht. Nach seinen Maßangaben wurde auch der Brennofen in Potsdam gebaut. Doch nicht nur hier am Hakendamm – und zuvor in einer Hütte im heute zu Potsdam gehörenden Drewitz – war Kunckel aktiv. Auch auf der Pfaueninsel stellte er Glas her und dort war auch sein Refugium für diverse alchemistische Versuche. „Er wollte ja Gold herstellen“, weiß Franze über Kunckel zu berichten. Der Alchemist sei davon überzeugt gewesen, dass man Gold künstlich produzieren könne – „und ist dann verarmt gestorben“. Die Potsdamer Hütte, die anfangs im Wesentlichen nur für den kurfürstlichen, beziehungsweise den königlichen Hof und später dann auch für weitere Kreise Glas herstellte, wurde 1736 nach Zechlin verlegt. Der Grund: In Potsdam hatte man nicht mehr genug Holz für den Ofen, zumal die Landschaft in der Umgebung nicht völlig kahl geschlagen werden sollte.

Die Ausstellung „Gläserne Welten – Potsdamer Glasmacher schneiden Geschichte“ im Potsdam Museum am Alten Markt ist nur noch bis diesen Sonntag zu sehen. Geöffnet von 10 bis 18 Uhr, am heutigen Donnerstag bis 19 Uhr. Der Eintritt kostet 5 Euro, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren kostenlos

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false