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Müllskandal: Schauspiel für den Kontrolleur

Update. Mit Geständnissen beider Angeklagten ist am Donnerstag der Prozess um einen der größten Müllskandale in Brandenburg fortgesetzt worden. Müll-Pate Bernd R. deckt sein Netzwerk auf.

Potsdam-Mittelmark - Das Netzwerk hatte über Jahre funktioniert: Während man in Orten wie Altbensdorf oder Rogäsen davon ausging, dass die alten DDR-Müllkippen am Rande des Dorfes renaturiert werden, verschwand Tag für Tag tonnenweise neuer stinkender Müll im Erdreich. Oft wurde im Dunkeln gearbeitet, ohne Beleuchtung. Nur wenn ein Spaziergänger vorbei kam, ruhten die Bagger. Skeptische Mitarbeiter wurden eingelullt – oder vom Firmenanwalt mit Klage bedroht. Selbst der Kontrolleur vom Landkreis machte keine Probleme, denn wenn der mal in der Nähe war, kündigte er sich im Wusterwitzer Bauamt an – und dort saß eine Vertraute, die Alarm schlug. Meistens reichte die Zeit, um vorbeireitete Lkw’s aufzufahren, auf denen sich nur Bauschutt und Erde befanden.

„Es wurde ein richtiges Schauspiel aufgeführt“, erinnert sich Frank N.. Der 49-jährige Potsdamer muss sich seit dieser Woche vor dem Potsdamer Landgericht verantworten. Er soll zwischen 2005 und 2008 seinem damaligen Chef Bernd R. geholfen haben, vorsätzlich und unbefugt Abfälle zu beseitigen und Deponien ohne Genehmigung zu betreiben. R. selbst, ein Ex-Polizist aus Bad Belzig, der als „Müll-Pate“ illegale Millionen-Deals mit knapp zehn Abfallunternehmen gemacht haben soll, steht als Hauptangeklagter vor dem Kadi. Er hat sich gestern, am zweiten Verhandlungstag, in allen Anklagepunkten für schuldig befunden.

Konkret geht es um sechs frühere Müllkippen in den Orten Altbensdorf, Rogäsen, Zitz, Mörz, Schlamau und Wollin sowie eine Kiesgrube in Schlunkendorf, die er im öffentlichen Auftrag eigentlich rekultivieren und versiegeln sollte. Statt dessen verklappte er dort Haus-, Gewerbe- und medizinische Abfälle von über 144 000 Tonnen und verdiente damit laut Staatsanwaltschaft insgesamt 4,3 Millionen Euro.

Die Aussage seines ehemaligen Mitarbeiters und Kompagnons Frank N. dürfte R. massiv belasten. Eine Mitschuld wollte N. hingegen kaum eingestehen: „Bei Herrn R. gab es keine rechte Hand. Er war selbst seine rechte und linke Hand“, behauptet er. Dafür allerdings glänzt N. mit einer detaillierten Kenntnis darüber, wie das Netz des Müll-Paten funktioniert haben soll. Er belastet dabei auch R.’s Frau Ingrid, die ebenfalls von den Erlösen profitiert und eine von R.’s Firmen geleitet haben soll. Nach wie vor arbeitet sie als Polizistin. Auch die mittlerweile entlassene Wusterwitzer Bauamtsmitarbeiterin Brigitte M. soll eine große Stütze gewesen sein: Laut N. habe sie wöchentlich Barzahlungen von 250 Euro von R. erhalten. „Er hat sich damit gebrüstet, dass er sie gekauft hat“, so der 49-Jährige.

Und schließlich soll der frühere Vorarbeiter auf den Deponien, Mario R., eine wesentliche Rolle beim Vergraben des Mülls gespielt haben. „Er war ja täglich vor Ort. Ich war nur hin und wieder da, wenn die Technik nicht lief“, stellt N. klar. Dass er dann gesehen hat, wie der Müll in der Erde verschwand, kann er immerhin nicht bestreiten. Auch Bernd R. bestätigt, dass Mario R. dafür zuständig war, die Löcher zu graben. Und mit einer Portion Stolz in der Stimme verkündet er: „Abends war dann immer alles in Ordnung, darauf habe ich bestanden.“

„Aber wie kann das alles funktionieren?“, fragt Richter Frank Tiemann den Mitangeklagten kopfschüttelnd. N. berichtet von „Müll-Maklern“, mit denen sein Chef sich eingelassen habe. „Die arbeiten auf Provision und sind sehr gut informiert.“ Demnach hätte einer von ihnen immer wieder Aufträge von Entsorgungsfirmen aus Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin herangeholt.

Nur zahlte nicht jeder Zulieferer wie vereinbart: N. erzählt, wie die M.E.S.A. Logistik- und Entsorgungs-GmbH mit Sitz in Rüdersdorf in Zahlungsverzug geraten sei. „Das Problem war, dass man das Geld nicht einklagen konnte“, so N.. Der Kunstgriff, mit dem R. und sein Anwalt reagiert hätten: Es wurde eine Rechnung gestellt, nach der R. mit seiner Zweitfirma den Rüdersdorfern Holz geliefert hat. Der Wert habe dem vereinbarten Preis für die Müllannahme entsprochen. „Ich sollte es bezeugen, habe aber abgelehnt“, so N..

Der 49-Jährige lässt sich über drei Stunden über die mutmaßlichen Vergehen seines Chefs aus. Er beschreibt ihn als „Choleriker“, der keine Widerworte geduldet haben soll, und der Menschen wie kaum ein anderer manipulieren könne. Bernd R. lässt die Vorwürfe mit unbewegter Miene über sich ergehen. Erst als er an der Reihe ist, seine Sicht zu schildern, scheint er emotional zu werden. Mit zittriger Stimme kommt das Geständnis – und die Erklärung, eine Strafe verdient zu haben. „Die Verantwortung trage ich allein. Kein Landkreis, keine Mitarbeiter und auch meine Familie nicht“, sagt er – in dem Wissen, dass Kooperation und Reue strafmindernd wirken. Von einer Haftzeit zwischen vier und fünf Jahren war zu Verhandlungsbeginn die Rede, die Staatsanwaltschaft fordert ungleich mehr. N. wird sich möglicherweise in eine Bewährungsstrafe retten können.

„Ich bin da reingerasselt“, so R.’s knapper Kommentar zu seinem Einstieg ins illegale Müllgeschäft vor sechs Jahren. Eigentlich florierte die Firma, berichtet er: Nachdem er sich 2001 als Transporteur selbstständig gemacht hatte, lieferte er im Landkreis Erde und Bauschutt für die Rekultivierung von Deponien. Hinzu kamen Bau- und Abrissaufträge. Es lief so gut, dass er eine Qualifizierung zum Entsorgungsfacharbeiter machte und fortan in Eigenregie Aufträge auf alten Müllkippen übernahm.

Doch schon auf der ersten, in Altbensdorf, drohte er sich zu verheben: Den Bauschutt, den er zum Verfüllen brauchte, hätte er aus Potsdam oder Berlin holen müssen, weil es in der Nähe kaum Baustellen gab. „Das Geld wäre an den Reifen kleben geblieben“, erläutert er. So suchte er nach Aufträgen in Sachsen-Anhalt. Die Sporkenbach Ziegelei GmbH – die laut Medienberichten Müll auch in eigenen Gruben illegal verklappt haben soll – bot ihm an, Schutt und Erdreich zu liefern. Allerdings hätten die immer mehr geschredderten Müll beigemischt. „Hier hätte ich abbrechen müssen“, bekennt Bernd R.. Aber bei einem Termin beim Lieferer seien neue Preise ausgehandelt worden: 25 bis 65 Euro pro Tonne Müll habe man ihm geboten. „Zehn Tage nach der ersten Rechnung war das Geld da, davon habe ich mich beeindrucken lassen“, so R..

Irgendwann stand dann der Makler vor der Tür und vermittelte neue Lieferungen, für die Bernd R. dann Platz auf den anderen Deponien fand. 2006 und 2007 habe er dann mit der Logistik Beratung Rohstoffe GmbH Braunsbedra in Sachsen-Anhalt einen besonders guten Auftraggeber gefunden. „Es war sehr lukrativ. Und ich konnte neue Leute einstellen“, so R.. Sein Netzwerk hielt stand: Der Landkreis bekam weiterhin scheinbar nichts mit, die eigenen Mitarbeiter hielten dicht. Die Potsdamer Staatsanwaltschaft war es, die durch Ermittlungen in anderen Fällen auf Bernd R. aufmerksam geworden war.

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