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Potsdam-Mittelmark: Rufe aus der Dorfidylle

20 Jahre lang war Thomas Wardin Bürgermeister von Beelitz, jetzt tritt er in einer neuen Rolle in Erscheinung: Als Strippenzieher beim Kampf gegen Windparks

Beelitz - Abgelegen wohnt Thomas Wardin in Schönefeld, einem Beelitzer Ortsteil, der nur aus ein paar hingewürfelten Häusern in der weiten Landschaft besteht. Ende Dezember ist das Dorf tief verschneit und die unbewohnte, verklinkerte Dorfschule mit den knorrigen Obstbäumen hinterm morschen Zaun lässt erahnen, wie es hier in Fontanes Zeiten zugegangen ist. Die Dorfstraße entlang, an der gedrungenen Feldsteinkirche vorbei, öffnet sich auch schon die Landschaft zu einer ausgedehnten Hochebene. Wardins schwarze Hündin Nele tollt durch den Schnee, mitten im Naturpark Nuthe-Nieplitz, wo ein gewaltiger Windpark entstehen soll.

20 Jahre lang war Wardin Bürgermeister der Stadt Beelitz, jetzt tritt er zunehmend in einer neuen Rolle in Erscheinung: Der 61-Jährige gehört zu den wichtigsten Strippenziehern beim Kampf gegen den Bau neuer Windparks in der Planungsregion Havelland-Fläming. Noch als Bürgermeister hatte er verhindert, dass ein in der Wittbrietzener Feldflur geplanter Windpark möglich gemacht wurde. Doch der damit verbundene Teilregionalplan mit 13 Windeignungsgebieten war vom Oberverwaltungsgericht nach der Klage eines Windparkbetreibers für nichtig erklärt worden, weil es zu wenig Platz für Windparks gab. 

Kurz vor Weihnachten wurde nun ein neuer Regionalplan mit gleich 24 Windeignungsgebieten in den Landkreisen Potsdam-Mittelmark, Havelland und Teltow-Fläming beschlossen (PNN berichteten), in dem der Wittbrietzener Windpark wieder eingetragen ist. Wardin kämpft als Privatmann und Kreistagsabgeordneter dagegen an, auch gegen Windeignungsgebiete bei Bliesendorf, Fichtenwalde und viele andere, die er für ökologischen und ökonomischen Irrsinn hält.

Vorstöße im Kreistag, in der Kreis-SPD und der Regionalversammlung gehen auf ihn zurück, nicht immer stand sein Name unter einer Vorlage. Die SPD-Ortsverbände Kleinmachnow und Brück zum Beispiel nahmen Wardins Argumente zur Hilfe, als sie beim jüngsten SPD-Landesparteitag höhere Mindestabstände für Windräder beantragten. Jetzt soll ein Parteiausschuss zu dem Thema gebildet werden. SPD-Unterbezirkschef Mathias Schubert – selbst Windkraftskeptiker – wendet sich an den erfahrenen Kommunalpolitiker, wenn er Hintergrundmaterial braucht. „Herr Wardin steckt total im Thema“, sagt Schubert anerkennend. „Er befasst sich ja schon seit Jahren mit der Materie.“

Ein zehn Quadratkilometer großer Windpark entstelle das Landschaftsbild auf 1000 Quadratkilometern, hat Wardin ausgerechnet. Er schaut in die weite Winterlandschaft, die sich solcher Überlegungen zu entziehen scheint, und zeigt auf einen fernen Schornstein am Rand eines Feldes in Richtung Wittbrietzen, 38 Meter hoch und noch gut in der Sicht. „Windräder der neuen Generation sind doppelt so hoch wie die uns bekannten, 200 Meter, wie die Kugel des Berliner Fernsehturms“, sagt er.

Wird der Regionalplan wirksam, stünden drei Dutzend davon auf der Ebene – vor seiner Nase. Nicht nur vor seiner, diesen und andere der neuen Windparks werde man auch von der Terrasse des Schloss Sanssouci aus sehen, warnt Wardin. Künftig werde es in der Region fast keinen freien Blick mehr geben, in dem nicht Windenergieanlagen den Himmel zerschnippeln. Und erwiesenermaßen auch einige geschützte Vogelarten.

Mit Juan Carlos Alonso vom  Spanischen Naturkundemuseum Madrid hatte die Regionalplanung einen hochdekorierten europäischen Vogelforscher als Gutachter zum Planverfahren hinzugezogen, seine Hinweise dann aber durch ein zweites Gutachten relativiert, wundert sich Wardin. So hatte Alonso empfohlen, vier der geplanten Windparks, darunter den Wittbrietzener, aus dem Regionalplan zu streichen, weil durch Kollisionen unter anderem wertvolle Großtrappen-Populationen dezimiert werden könnten.

Das Landesumweltamt hat in einer Stellungnahme gleich bei einem Dutzend der Eignungsgebiete moniert, dass tierökologische Mindestabstände von den Regionalplanern nicht eingehalten werden. Allein für die Wittbrietzener Feldflur sah es Rast- und Überwinterungsplätze von Gänsen, Schwänen und Kranichen gefährdet. Die Ebene soll auch wegen der schützenswerten Vögel im kommenden Jahr unter Landschaftsschutz gestellt werden, „vorläufig“ gilt der Status bereits. Dass das bei diesem und anderen Windeignungsgebieten ebenso keine Rolle spielte wie der Vogelschutz, ist Wardin unbegreiflich.

Bemerkenswert findet er, dass in Landschaftsschutzgebieten im Regionalplanverfahren noch fast bis zum Schluss keine Windeignungsgebiete ausgewiesen werden durften. Erst im November habe der Regionalvorstand aus dem „harten“ ein „weiches“ Ausschlusskriterium gemacht, der geänderte Regionalplan sei dann von der Regionalversammlung unter den neuen Vorzeichen verabschiedet worden. Die Frage, ob das Landschaftschutzgebiet „Hoher Fläming – Belziger Landschaftswiesen“, wo fast keine Windeignungsgebiete geplant wurden, schützenswerter als zum Beispiel der Bliesendorfer Wald ist, habe von den fast 8000 Einwendern des Planverfahrens nicht gestellt werden können, sagt Wardin. „Sie wussten ja nicht, dass der Landschaftsschutz kein hartes Ausschlusskriterium mehr ist.“

Der SPD-Mann ist wie viele andere gespannt, was das Oberverwaltungsgericht zum neuen Regionalplan sagen wird. Dass Windkraftgegner, Kommunen und auch Windkraftbetreiber klagen werden, gilt als sicher. Auch politisch ist das Thema nicht ausgestanden. Wardin hat ausgerechnet, dass mit dem neuen Regionalplan 2,5 Prozent der Planungsregion mit Windparks zugepflastert werden, dabei seien in der Energiestrategie des Landes nur zwei Prozent angestrebt. Er spricht von einem „energiepolitischen Experiment“, zumal Brandenburg schon jetzt Windstrom billig exportiere und die Frage der Speicherkapazitäten ungelöst sei.

Den von Bayern angestoßenen Weg, dass Windräder mindestens den zehnfachen Abstand der Anlagenhöhe zu Siedlungen halten müssen, hält er für richtig. 200 Meter hohe Windräder müssten dann nicht wie im Regionalplan vorgesehen 1000,  sondern 2000 Meter entfernt sein. Der Bundestag hat den Ländern durch eine Gesetzesänderung die Chance gegeben, diesen Weg mitzugehen – versehen mit einer Frist bis Ende dieses Jahres. Aber was aus Bayern kommt, sei Brandenburger Sozialdemokraten häufig nicht geheuer, so Wardin.

Er hat sich derweil nicht nur im SPD-Unterbezirk, sondern auch im mittelmärkischen Kreistag bemüht, die bayrische sogenannte 10H-Regel in die Regionalversammlung und von dort in den Landtag zu tragen – so wie es die Regionalplanung Prignitz-Oberhavel im November getan hat: Sie hat das Land in einer Resolution aufgefordert, mit der 10H-Regel „seine Bürger zu schützen und vor Schaden zu bewahren“. Erfahrungsgemäß hänge die Zustimmung für Windkraft von der Höhe und Entfernung der Windräder ab.

Wardin betont, dass die in der Region Havelland-Fläming geplanten Windparks mit diesem Kompromiss nicht mal kleiner werden müssten. Die Investoren müssten nur die Höhen staffeln: In einem Kilometer Abstand könnten sich immer noch 100 Meter hohe Windräder drehen. Selbst das fällt ihm schwer, sich für seine Dorfidylle vorzustellen. Außer der Schule seien alle Häuser in Schönefeld bewohnt. Wenn der Windpark kommt, glaubt Wardin, werde sich das Dorf nicht mehr heimatlich anfühlen. „Die Leute werden wegziehen.“

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