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KulTOUR: Moralische Abgründe zwischen zwei Buchdeckeln

Jungautor Lorenz Just liest im Peter-Huchel-Haus aus seinem literarischen Debüt „Der böse Mensch“

Michendorf - Im Stakkatotakt trommeln Lorenz Justs Finger auf dem Einband seines Debüts herum. Der große, junge Mann mit flachsblondem Haar wirkt nervös angesichts des vollbesetzten Saals im Peter-Huchel-Haus. Doch als er anfängt, die erste Frage von Moderatorin Anne-Dore Krohn zu beantworten, wird er zusehends selbstsicherer, macht Witze, die Zuhörer lachen über seine Pointen. Lorenz Just, der mit 34 Jahren gerade sein literarisches Debüt veröffentlicht hat, hat das Publikum sofort im Griff.

„Der böse Mensch“, das klinge für manche wie der Titel eines Sachbuchs, sagt er. So ähnlich wie sein Jugend-Sachbuch „Mohammed. Das unbekannte Leben des Propheten“, das der studierte Islamwissenschaftler vor rund drei Jahren veröffentlichte. Aber diesmal hat sich Just dem Kurzgeschichten-Genre gewidmet. In den Geschichten geht es meist um Menschen, die vor einem moralischen Dilemma stehen, sich anderen gegenüber schuldig gemacht haben oder versuchen, mit vergangener Schuld ins Reine zu kommen. Nach einer Lesung neulich sei eine Zuhörerin zu ihm gekommen, erzählt Just. „Sie wollte das Buch erst kaufen, aber dann sagte sie, sie traue sich doch nicht, weil sie sich ja dann das Böse ins Haus hole.“ Das Publikum lacht. „Am Ende hat sie immerhin das Mohammed-Buch gekauft – das erschien ihr weniger gefährlich.“

Lorenz Just hat nicht nur Islamwissenschaften studiert, sondern auch viel Zeit in muslimisch geprägten Ländern wie Ägypten, Libanon und Syrien verbracht. Die Schauplätze seiner Kurzgeschichten sind jedoch international, seine Kenntnisse des Islams hat Just diesmal außen vor gelassen. In der Buchbeschreibung auf der Homepage des Peter-Huchel-Hauses wurde die Erzählung eines afrikanischen Warlords erwähnt, der sich in der Badewanne Gedanken über vergangene Gräueltaten macht. Außerdem eine Geschichte über harmlos wirkende ältere Bibliotheksbesucher, die plötzlich ungeahnte moralische Abgründe offenbaren. Zu beiden Geschichten wird Lorenz Just an diesem Abend nicht kommen. Dafür aber zu zwei anderen.

Die erste Erzählung handelt in Interviewform von einer Frau aus Deutschland, die zu ihrem Mann in ein Indianerreservat in den USA gezogen ist. Dort beginnt sie sich schließlich selbst als Mitglied des Stamms der Lakota-Indianer zu fühlen, die ihrerseits aus der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt werden. Literaturkritikerin Anne-Dore Krohn, die Lorenz Just bereits vor einigen Monaten im Roten Salon an der Berliner Volksbühne kennenlernte, hakt nach: „Warum hast du diese Geschichte geschrieben?“ Inspiration sei ein Dokumentarfilm gewesen, erzählt Just. Die Frau sei nur kurz darin aufgetaucht und habe erzählt, warum sie ihr Leben in Deutschland für das Leben im Reservat hinter sich gelassen habe. „Ich hatte den Eindruck, dass sich die Frau jenseits aller Schuld stellen wollte“, so der Autor.

Noch gebannter als von der ersten Erzählung wirkt das Publikum beim zweiten Text, den Lorenz Just vorliest. Diesmal handelt es sich um einen fiktiven Brief eines Vaters an sein abgetriebenes Kind. Die Eltern entscheiden sich, die Schwangerschaft nicht fortzusetzen, als sich bei einer Pränataluntersuchung herausstellt, dass das Baby behindert zur Welt kommen wird. Der Brief erscheint wie eine Rechtfertigung des Vaters vor sich selbst, die sich immer mehr in eine fast religiöse Überhöhung des nie geborenen Sohnes wandelt. Als einer Zuhörerin mittendrin scheppernd ein Glas umkippt, scheint der Saal für einen Moment aus einer kollektiven Schockstarre gerissen.

Nach dieser schweren Kost fragt die Moderatorin den Autor, ob er es nicht auch manchmal genieße, seinem Sohn Kinderbücher vorzulesen. Dort sei das Gute und das Böse immer so schön scharf voneinander abgegrenzt. „Mein Sohn mag tatsächlich die bösen Charaktere immer am liebsten“, antwortet Just. J. Frese

J. Frese

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