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Potsdam-Mittelmark: Mit Schaumkraut und Wiesenkerbel

In Stahnsdorf zeigen zwei Kräuterhexen, was man mit Grünzeug vom Wegesrand so alles anfangen kann

Stahnsdorf - Wenn Miriam Ott sich Gedanken über ihr Mittagessen macht, dreht sie zuerst eine Runde durch den Garten. Ein bisschen Dost hier, ein paar Stengel Quendel dort und ein paar Blätter Pimpinelle dürfen nicht fehlen. Dazu Schaumkraut, Ysop und Staudenfenchel, soviel die Hände der Stahnsdorfer Kräuterhexe tragen können. „Fehlen noch Eier und Sahne, anschließend wird gebacken“, sagt Ott. Fertig ist der herzhafte Mürbeteigkuchen, eine sättigende Quiche.

Petersilie und Schnittlauch kennt jeder aus dem Supermarkt, Kräuter wie wilden Oregano und Thymian weniger. Trotzdem wächst das Grünzeug in vielen Gärten, am Straßenrand und in Naturschutzgebieten und wartet darauf, geerntet und verarbeitet zu werden. Wie das geht, machen Miriam Ott und ihre Geschäftspartnerin Heidi Knappe seit fünf Jahren vor.

In ihrer Kräuterwerkstatt an der Ruhlsdorfer Straße 14 in Stahnsdorf rufen sie längst vergessene Pflanzen bei Hobbyköchen der Region wieder in Erinnerung. Anders ausgedrückt: Was bei den Gästen der Werkstatt zuvor jahrelang noch auf den Kompost flog, landet spätestens nach einem vierstündigen Intensivkurs bei den Kräuterkennern als Limonade im Glas, als heilender Tee in der Tasse, als Salat auf dem Teller oder als Dip und Pesto neben der Hauptspeise.

„Viele Gäste sind wirklich erstaunt“, sagt Miriam Ott. Wenn sie ihre Seminarteilnehmer durch ihren 500 Quadratmeter großen Kräutergarten am Stahnsdorfer Pflanzenhof führt, ist der Aha-Effekt oft groß. Sie kennen etliche der bis zu 150 verschiedenen Kräuter. „Aber zu Hause reißen sie die immer aus ihren Blumenbeeten raus“, sagt Ott.

Schnell weg mit dem Unkraut – so etwas kennt Miriam Ott nicht. Schon in ihrer Kindheit ist die heute 44-Jährige mit ihren Großeltern in der Natur unterwegs gewesen, um Kräuter zu sammeln. „Die wurden über der Garage im Dachboden getrocknet.“ Einen Tee aus dem Laden habe ihre Oma nie gebraucht und ihr Opa mixte aus Spitzwegerich eine Erkältungsarznei.

Bis heute hat sich die Gartenbauingenieurin die Tradition bewahrt. So wächst im Kräutergarten unter anderem auch Mädesüß. Das süßlich duftende Heilkraut mit seinen weißen Blüten enthält den Ursprungswirkstoff der Aspirintabletten, die Salicylsäure, erklärt Ott. Es ist ein Geheimtipp: Ein paar Blätter davon in den Tee – das hilft gegen Kopfschmerzen. „Es war mir ein persönliches Bedürfnis, das Wissen um die Heil- und Hausmittel wieder zu vergegenwärtigen.“

So kam es, dass sich Ott und die 46-jährige Heidi Knappe, eine gelernte Köchin und Kräuterpädagogin, vor Jahren im Kräutergarten des Teltower Diakonissenhauses bei einem Praktikum kennenlernten. Zweieinhalb Jahre lang gaben sie dort anschließend Kräuterseminare und Kochkurse, ehe sie ihre neue Werkstatt vor einem Eiscafé und neben einer Ballettschule eröffneten.

In einem alten Wohnhaus haben sie ihre Küche mit dem großen Tresen, einen Seminarraum und einen Verkaufsraum eingerichtet. Das gesamte Erdgeschoss ist ausstaffiert mit getrockneten Kräutern in großen Gläsern. Auf alten Anrichten stapelt sich selbstgemachte Marmelade in Gläsern. Kirsche, Banane und Minze sind darin vermischt. Eine kleine Schiefertafel wirbt für veganes Schmalz. Es gibt Holunder- und Vogelbeer-Likör aus eigener Produktion. Chili-Dipp und Kräuterpesto stehen neben wiederaufbereiteten, gusseisernen Pfannen, Töpfen und Auflaufformen aus Frankreich.

„Mit unseren Gästen machen wir zuerst immer einen botanischen Exkurs“, sagt Ott. Mit geflochtenen Weidenkörben unter den Armen zieht die Truppe in den Garten und weiter in die Natur, das nahe Bäketal zum Beispiel. Steuerberater, Physiotherapeuten, Erzieher oder Medienmacher waren schon dabei.

Alle haben den Entdeckermodus schnell eingeschaltet, sagt Ott. „Augen nach unten und los gehts.“ Fast überall lassen sich brauchbare Kräuter finden. Im Anschluss wird gemeinsam gekocht. So landen dann zum Beispiel die Samen der Brennnessel kurz angebraten als Topping auf dem Salat. Das soll wie Sesam schmecken. „Die meisten Menschen haben einfach ein bisschen Angst, sich an die Kräuter zu wagen“, sagt Ott. Ganz unbegründet ist die nicht. Ehrfurcht sei geboten, könne doch Bärlauch leicht mit giftigen Maiglöckchen und Wiesenkerbel mit dem ungenießbaren Kälberkropf verwechselt werden. Das und noch viel mehr lernt der Besucher der Kräuterwerkstatt zu unterscheiden.

Kinderworkshops, Weidenflechten, Filzen, Töpfern, Blütenseife sieden – über die Jahre haben die Frauen ihr Angebot ausgeweitet. Im Sommer gibt es eine Grillwerkstatt, im Winter wird mit getrockneten Kräutern gekocht. Es gibt Freundinnen-Nachmittage mit Gurkenmaske und Prosecco und wer keine Lust hat, auf Kräuterjagd zu gehen, kann sie eingetopft kaufen. Tobias Reichelt

Im Internet unter:

potsdamer-kraeuterwerkstatt.de

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