zum Hauptinhalt

KulTOUR: Mit – oder mit ohne Bach?

Jahresabschluss des Kulturforums mit dem Bensmann-Saxophonquartett

Werder (Havel) - Von wegen „zu kalt und matschig draußen“! Zum Jahresabschlusskonzert des Kulturforum Schwielowsee am Mittwoch kamen viel mehr Besucher in Petzows „Oberkirche“ als erwartet, man musste sogar Zusatzstühle stellen. Mit dem Bensmann-Saxophonquartett war ja ein winterliches Jahresabschlusswetter mitgeordert worden, mehr kalt als matschig, und dazu noch ungeheuer weiß. Wer weiß, vielleicht war diese exzellente Veranstaltung sogar die sofortige Antwort auf das, was man da beim Jahresrückblick in den Bart gegrummelt hatte, von wegen taube Hochkultur in Potsdam, und so. Aber ach, die Vier kamen ja aus Berlin, da wehen andere Winde gen Zukunft.

Man hörte also ein beseeltes, belebendes, unterhaltsames, modernes Konzert auf höchstem Niveau, und es ehrte mit dem „Contrapunctus I“ aus „Kunst der Fuge“ anfangs auch den aktuellen Meister aller Meister, Sebastian Bach. Das klang zwar manchmal nach „a prima vista“. Man hörte bald, warum.

Detlef Bensmann hat sich dieses Quartett 2006 aus seinen Schülern erschaffen, er selbst am Sopransaxophon als Primarius. Mit dem Mazedonier Ninoslav Dimov (Altsax.), Uta Gerwig (Tenorsax.) und Christian Peters am Baritonsaxophon eigentlich eine ideale Besetzung, um sein „Anliegen“ herüberzubringen, den Transport musikalischer Geister durch die, in unsere Zeiten.

Was nun „Die Kunst der Fuge“ betrifft, erfuhr man per Ansage, so habe ihr Autor sie eigentlich für „gar keine Instrumentierung“ erdacht. Gut für Theodor Burkali, einen zeitgenössischen Klarinettisten und Kompositeur aus Ungarn, er nahm sich einen Stückl davon und improvisierte beim „Ensemobile II“ darauf los, dass es eine Freude war. Hier wurde „die Fuga wörtlich genommen“. Vorzustellen war ein „Hindernisrennen“, welches (fast nach dem Satz „fliehe den Bach, so lange du kannst!“) alle Ordnung in die Flucht schlägt und sich dabei „mit fremden Tönen“ verunreinigt. Burkalis tollkühne Komposition stellt zwar das alte Motiv wieder her, doch dergestalt klinisch gereinigt – zerplatzt es jetzt! Klasse, mehr Bach-Kritik ist gar nicht nötig!

Auch Elliott Carter fühlte sich mit seiner „Canonic Suite für vier Altsaxophone“ (1948) dem alten Herrn verpflichtet. Man hörte die Parts „Fanfare, Nocturne“ und eine siedende Tarantella. Heute hundertjährig, produziert der US-Amerikaner munter weiter, Respekt.

Jean Baptiste Singelée war Zeitgenosse und Freund des belgischen Saxophon-Erfinders Adolphe Sax. Wie dieses Instrument seit 1850 etwa die Industrialisierung begleitete, so steht sein Opus 53 „Premier Quatuor“ recht ratlos zwischen Romantik und Fortschritt, jede Interpretation eine Frage des Standpunkts. Allein ein Streichquartett dieser Jahre in Saxophonbesetzung zu hören, ist schon wie ein Ur-Erlebnis! Trotz viel Gefühls vermittelten dann drei Eric-Satie-Bearbeitungen von Christoph Griese, darunter „Gymnopédie 1“, einen fremden Eindruck auf bekannte Hörgewohnheiten, aber dafür war dies Konzert ja da. Auszüge aus Alexander Glasunows „Quartett für vier Saxophone“ (1933) mit ein paar Jazz-Einsprengseln und eine Marsch-Hommage auf Paul Hindemith von Detlef Bensman selbst, bevor dieses wunderbare Stück „Night Club 1960“ aus Astor Piazzollas „Geschichte des Tangos“ erklang, selbst in der Bearbeitung von Claude Voirpy noch ein tiefes Erlebnis.

Und Bach? Als Zugabe dann eine gleichsam quadrophonische Improvisation, die mit suchenden Klopf- und Blasgeräuschen begann, aber in einem glanzvollen Unisono ganz melodisch endete. Musikalische Extraklasse, dafür auch den Extra-Chapeau!

Gerold Paul

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false