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Von Thomas Lähns: Kriegsende unter Kiefern

Tagebücher des ehemaligen Wilhelmshorsters Friedrich Helms erinnern an das Jahr 1945

Michendorf - Erst kam kein Wasser mehr aus der Leitung, dann fielen Strom und Gas aus. Der lauter werdende Geschützdonner kündete vom stetigen Vorrücken der Roten Armee. Nachdem die letzten Wehrmachtssoldaten am 25. April 1945 Wilhelmshorst verlassen hatten, wurden weiße Fahnen als Zeichen der Kapitulation gehisst - nicht immer mit Erfolg. „Es ist dann auch so gewesen, dass schon in dieser Nacht Eindringlinge in unserer Nachbarschaft sich an Mutter und Tochter arg vergingen“, notierte der hier lebende Friedrich Helms damals in sein Tagebuch. Seine Schilderungen sind jetzt als Buch erschienen und geben einen Einblick in die letzten Kriegstage und den Anfang der sowjetischen Besatzung 1945.

Friedrich Helms, Jahrgang 1888, kam ursprünglich aus dem niedersächsischen Uelzen. Später lebte er in Berlin und arbeitete als Angestellter der Deutschen Bank. Nachdem die Wohnung der Familie 1945 ausgebombt worden war, zog er mit seiner Frau und einer der beiden Töchter in das Wochenendhäuschen nach Wilhelmshorst. Statt des Idylls, das hier 1938 noch geherrscht hatte, ist das Leben in der Waldgemeinde nun geprägt von Hunger, Ungewissheit und der Angst vor den Russen. Acht Tagebücher hat Helms insgesamt geschrieben, die letzten davon nach seiner Flucht in den Westen. 1955 starb er in Uelzen. Der 200-seitige Band „Tagebuch Wilhelmshorst 1945“, erschienen im Eisenhut-Verlag, umfasst die ersten drei Bücher.

Detailliert schildert der Autor das kärgliche Dasein, welches die Wilhelmshorster seit dem Frühjahr 1945 führen müssen. Er berichtet, wie Leute ihr Hab und Gut vergraben und die Gartenzäune auftrennen, um im Notfall schnell vor marodierenden Soldaten fliehen zu können. Den Alltag verbringen sie mit Wasserholen vom einzigen noch funktionierenden Brunnen auf dem Friedhof, mit dem Zerkleinern von Holz für die Kochstelle und mit stillem Abwarten. Die Übergriffe hören auf, als der Krieg zu Ende und die Waldgemeinde endgültig besetzt ist. Nun allerdings beginnen die Konfiszierungen: Uhren, Fahrräder und ganze Häuser nahmen die Sowjets für sich in Anspruch, die Bevölkerung musste zum Arbeitsdienst antreten.

Es sind die kleinen Nebensächlichkeiten, die Helms Geschichte so wertvoll machen: Wie das Umstellen der Uhren auf Moskauer Zeit es morgens nicht hell und abends nicht mehr dunkel werden lässt, wie das Abbauen ganzer Gleisstrecken den Zugverkehr lahmlegt. Helms berichtet von rauschenden Siegesfeiern, welche die Rotarmisten abgehalten haben und vom Zusammenprall völlig unterschiedlicher Kulturen unter Wilhelmshorster Dächern. Prägnant war für ihn zum Beispiel die nächtliche Bekanntschaft mit einem „Wolga-Rußki“: „Anfänglich Freund, verleugnet er seine wilde Natur nach einigen Gläschen Schnaps aber nicht.“ Weitere Soldaten kamen hinzu, und was diese dann doch noch „böse Invasion“ bedeutete, überlässt der Familienvater der Interpretation des Lesers.

Sein Blick richtet sich aber nicht nur auf Wilhelmshorst. Auf den beschwerlichen Fußmärschen nach Berlin und Potsdam – erst später schenkt ihm ein Nachbar ein verrostetes Fahrrad – fallen ihm die „Steinwüsten“ ins Auge, die zerbombten Innenstädte, in denen Trümmerfrauen den Schutt beiseite räumen. Er beobachtet die Demontage in den Fabriken zwischen Rehbrücke und Drewitz, beschreibt die zerschlagene Kuppel des Potsdamer Stadtschlosses und stellt fest, dass der „schöne Glockenklang der Garnisonkirche“ vielleicht für immer verklungen ist. Als Helms im Sommer die Leitung der Deutschen Bankfiliale in Potsdam übernimmt, hat er kaum zu tun: Die Tresore sind längst leer geräumt, Auszahlungen von alten Konten darf er nicht vornehmen – und neue werden kaum eröffnet. Dafür ist der Hunger sein ständiger Begleiter, wenn er sich auf den Weg nach Hause macht, wo längst keine Harmonie mehr herrscht, sondern fast nur noch Missstimmung und Streit.

Helms Aufzeichnungen sind weder von Empörung noch von Trotz geprägt, eher von stiller Resignation. „Die Hand des Siegers lastet gewaltig auf uns“, konstatiert er, hält sich aber mit Vorwürfen zurück. Durchaus vermag er das Unrecht zu reflektieren, welches die Deutschen über Europa gebracht haben, „bis wir schließlich keinen Menschen draußen mehr hatten, dem unser Untergang irgendwie nahe ging“. An anderer Stelle klagt er: „Armes Vaterland, was taten deine Kinder Böses.“ Obwohl Helms kein Nazi war – er trat nach dem Krieg in die SPD ein – nimmt er sich von der Schuld nicht aus. Trotz außenpolitischer Isolation, trotz Weltkrieg und trotz des Holocausts: „Der Deutsche blieb all die Jahre treu und – stumm.“

Tobias Wimbauer (Hg.): Friedrich Helms. Tagebuch Wilhelmshorst 1945, ISBN: 978-9-942090-00-1

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