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Fieber. Statt sich eine Auszeit von der Arbeit zu nehmen und ihre Kinder zu Hause gesundzupflegen, versuchen Eltern in ihrer Not, die Aufgabe immer öfter auf Kitas und Horte abzuwälzen.

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Potsdam-Mittelmark: Kindergarten mit Krankenschwester

Weil der Druck im Beruf für viele Eltern steigt, bringen sie immer öfter ihre kranken Kinder in Kitas und Horte. Die Bildungsgewerkschaft GEW fordert deshalb medizinisches Personal für die Einrichtungen

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Region Teltow - Früher oder später landet der Beweis im Töpfchen. Es sind kleine fettige Blasen im weichen Stuhl der Kinder – die letzten ausgeschiedenen Reste eines Fieberzäpfchens. Für viele Erzieher sind die Blasen oft der einzige Beleg für ihre Vermutung: Das am morgen vermeintlich noch gesund in die Kita gebrachte Kind war wohl daheim bereits fiebrig. Das Zäpfchen hat die Symptome nur verschoben. Schon nach wenigen Stunden ist das Fieber wieder da und das Problem liegt bei den Erziehern.

Statt sich eine Auszeit von der Arbeit zu nehmen und ihre Kinder zu Hause gesundzupflegen, versuchen Eltern in ihrer Not, die Aufgabe immer öfter auf Kitas und Horte abzuwälzen. Das sagt Solveig Haller, Leiterin des Unternehmens Kindertagesstätten in Teltow. Eine Statistik wurde bislang nicht geführt, Haller kennt aber etliche Fälle: Bei Fieber wird mit Zäpfchen nachgeholfen, bei anderen Krankheiten werden die Kinder mit Medikament und Beipackzettel in die Einrichtungen geschafft. Dort müssen Erzieher dann als Aushilfskrankenschwestern ran – doch für sie lauern dabei einige Tücken.

Günther Fuchs, Vorsitzender des Landesverbandes Brandenburg der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), warnte gegenüber den PNN davor, den Erziehern medizinische Aufgaben zu übertragen. „Die Pädagogen sind damit oft überfordert“, so Fuchs. Werden Kinder mit Medikamenten in die Einrichtungen gebracht, werde den Angestellten die Verantwortung für das kranke Kind übertragen. „Wenn etwas passiert, steht die Frage der Haftung sofort auf der Tagesordnung“, mahnt Fuchs. Zudem bringen sich die Erzieher selbst in Gefahr, sollten sie sich bei den Kindern anstecken. Er fordert deshalb ein Umdenken: Schulen und Kindergärten in Brandenburg sollten mit medizinisch geschultem Personal ausgestattet werden. Nach dem Beispiel Finnlands könnten künftig Krankenschwestern Eltern und Erziehern eine Last nehmen, so Fuchs.

Unterstützung dieser Art könnten die Kitas und Horte gut gebrauchen, sagt Teltows Kitachefin Haller. Statt auf eine reine Kita-Krankenschwester setzt sie aber auf zusätzliche Heilpädagogen. Sie hätten die nötige Ausbildung, um kranke und auch behinderte Kinder zu pflegen und zu erziehen. Weil es davon bislang jedoch noch zu wenige gibt, behilft sich Teltow mit einer anderen Maßnahme: „Wir nehmen kranke Kinder erst wieder auf, wenn Eltern uns eine Gesundschreibung vom Arzt vorweisen können.“ Das Risiko, dass Kinder mit Infektionskrankheiten in den Einrichtungen andere anzustecken, sei einfach zu groß. „Erst werden die Kinder krank, dann meist die Erzieher“, erklärt Haller.

Es ist ein Teufelskreis, den auch viele Eltern kennen dürften: Immer wenn sich Viren verbreiten, Kollegen krank werden oder deren Kinder, wächst auch in den Büros der Druck, nicht zu fehlen. Das gilt besonders, wenn Abteilungen zum Beispiel in Urlaubszeiten ohnehin dünn besetzt sind. Oft zählt dann gefühlt jeder Tag.

Mit einem Fieberzäpfchen kann der eine Tag schon mal herausgeholt werden, sagt Solveig Haller. Meist gehe der Versuch aber nach hinten los: Kommt das Fieber bei den Kindern am Tage zurück, greifen die Erzieher zum Telefon. „Die Eltern müssen ihr Kind dann sofort bei uns abholen“, sagt Haller. Manchmal geht das dann ganz schnell, manchmal kann das aber auch dauern.

Auch Susanne Feser, Leiterin des Kita-Verbundes Kleinmachnow, kennt solche Geschichten. Auf eine Gesundschreibung bestehen die Einrichtungen dort nicht. Trotzdem: Die Fälle, in denen Erzieher wegen eines kranken Kindes zum Hörer greifen müssen, nehmen zu, sagt Feser. Das hänge auch damit zusammen, dass viele Eltern ihre Kinder immer öfter und immer länger betreuen lassen – auch weil die eigene Arbeitsbelastung steigt.

„Es ist immer eine Gratwanderung“, sagt Feser. „Wir können nur an die Eltern appellieren, ihre kranken Kinder gleich zu Hause zu lassen.“ Doch viele Eltern wissen oft nicht, wie sie das schaffen sollen, sagt Feser. Zehn Tage stünden ihnen jährlich zur Verfügung, um sich für ihr Kind krankschreiben zu lassen. Wenn das nicht reicht, müssen hinterher oft Überstunden geschoben werden.

Dass sich die Anforderungen an die Erwerbstätigen deutlich verschärft haben, zeigt auch der aktuelle Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Prägend für die moderne Arbeitswelt seien Schlagworte wie „viel gleichzeitig, schnell und auf Termin und immer wieder neu“. Überlange und atypische Arbeitszeiten würden immer mehr zum Alltag gehören, heißt es in dem Bericht. Daraus resultieren nach Auffassung der Autoren „erhöhte Anforderungen an Organisationsleistungen, beispielsweise im Hinblick auf Familie“. Auf die Frage „Wie häufig gelingt es Ihnen, bei der Arbeitszeitplanung auf Ihre familiären und privaten Interessen Rücksicht zu nehmen“ antworteten gut 41 Prozent der bundesweit rund 20 000 Befragten, dass ihnen dies nur manchmal oder gar nie gelinge. 2007 waren es noch 39 Prozent.

So schwierig die Situation für viele Eltern auch sei, sagt Teltows Kita-Chefin Haller, Aufgabe der Erzieher sei es, das Wohl des Kindes im Auge zu behalten. „Unsere Erzieher sind die Anwälte der Kinder“, sagt Haller. Ein krankes Kind sollte sich besser zu Hause im Bett ausruhen, als sich mit Schnupfen, Husten oder Fieber durch den Kita-Tag zu quälen.

Wie in Teltow haben auch einige Potsdamer Kitas bereits auf die Folgen des gestiegenen Arbeitsdrucks reagiert. „Wir verlangen ebenfalls generell eine Gesundschreibung. Wenn wir merken, ein Kind hat Fieber, rufen wir die Eltern an und bitten sie, das Kind abzuholen“, berichtet Antje Herper, Leiterin des Kindergartens „Villa Ritz“ in der Berliner Vorstadt. Klare Regeln gebe es auch für die sieben Potsdamer Kitas des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks (EJF), sagt Sprecherin Julie von Stülpnagel. Zu rund 95 Prozent würden sich die Eltern auch an die Regeln halten. Auch vom Potsdamer Kitaträger „Die Kinderwelt GmbH“ heißt es: „Ein krankes Kind gehört ins Bett und es braucht seine Eltern. Ein Erzieher kann dem Kind niemals die gleiche Geborgenheit und den Schutz vermitteln, wie es die Eltern können.“

Die Forderung des GEW-Landesvorsitzenden Günther Fuchs hält EJF-Sprecherin von Stülpnagel für einen Wunschtraum. „Wie soll das bei dem Personalschlüssel gehen?“ Auch Antje Herper von der „Villa Ritz“ winkt ab. „Schön wäre es, wenn Eltern einfach mehr Krankentage zur Verfügung hätten. Zehn Tage sind nicht gerade viel.“ (mit HK)

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