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Bisher einzige Erinnerung an die Opfer der Schlacht in den Fercher Wäldern: das 1994 auf Privatinitiative aufgestellte Gedenkkreuz in Neuseddin.

© PNN-Archiv

Von Erhart Hohenstein: „In die Hölle geworfen“

Fronttagebuch als wertvolle Quelle der „vergessenen Schlacht“ / Herbert Neumann erinnert sich

Schwielowsee - Der Krieg lag in den letzten Zügen, als am 10. April 1945 die 12. Armee, auch Armee „Wenck“ nach ihrem Oberbefehlshaber Walther Wenck genannt, erneut aufgestellt wurde. Sie war die Armee mit den jüngsten Soldaten der Wehrmacht und eine der letzten Hoffnungen Hitlers im Kampf gegen Sowjets und Amerikaner. Ihre letzte, heute fast vergessene Schlacht kämpfe sie Ende April in den Wäldern um Beelitz, Ferch und Neuseddin. Der kürzlich gegründete „Arbeitskreis Projekt Ferch“ (AK Pro_Ferch) will an die damaligen Kämpfe und die auf beiden Seiten Gefallenenen erinnern. Mit der Sammlung von Zeitzeugenberichten, Veranstaltungen und der Einrichtung eines Ausstellungsraums soll der bis zu 80 000 Opfer dieser letzten große Schlacht des zweiten Weltkrieges gedacht werden, in der sich die deutsche 12. Armee und die sowjetische 4. Gardepanzerarmee gegenüber standen

Zur PNN-Berichterstattung über die Vereinsgründung in Neuseddin hat sich der in Potsdam lebende Herbert Neumann (Jahrgang 1926) gemeldet, der ab Mitte April 1945 bei der Neuaufstellung der 12. Armee im Raum Magdeburg-Bernburg-Dessau dabei war. Er wies auf das Fronttagebuch eines Bataillonskommandeurs, Hauptmann Peter Rettich, hin, in dem die Waldkämpfe dargestellt werden. Es könne für die Vereinstätigkeit eine wertvolle Quelle sein. Das Original befindet sich im Militärhistorischen Museum Dresden – es wurde 1990 bereits von Günter W. Geldermann für sein Buch „Die Armee Wenck. Hitlers letzte Hoffnung“ genutzt.

Für die Aufstellung der Armee wurden Infanteristen meist ohne Kampferfahrung , Luftwaffenpersonal, Pioniere, Arbeitsdienstangehörige, Artilleristen, Panzerfahrer, Wehrmachtsverwaltungspersonal, Unteroffiziersschüler, Hitlerjungen und Marineangehörige zusammengezogen. So war Herbert Neumann in Schleswig auf einer Marineschule als Nautiker ausgebildet worden. Dann wurde der Fähnrich zur See jedoch ins oberbayerische Lenggries zur Infanterie abkommandiert und – als Chef einer Kompanie von Gebirgsjägern – in den Aufstellungsraum der 12. Armee in Mitteldeutschland in Marsch gesetzt.

Dort gab es weder schwere Waffen noch Leuchtpistolen oder andere Nachrichtenmittel, keine Funker, kaum ausgebildete Offiziere, keine Artillerie und nicht einmal Feldküchen. „Im ganzen Bataillon existierte kein Spaten“, schreibt Hauptmann Peter Rettich in seinem Fronttagebuch. Beim ersten Zusammentreffen seiner „zusammengewürfelten“ Truppe mit den von Westen heranrückenden kampferprobten Amerikanern wurden seine schlimmsten Befürchtungen wahr: Nahezu sein gesamtes Bataillon wurde „verbrannt im großen Tiegel der Massenvernichtung“. Den Elbbrückenkopf Barby ohne Gegenwehr zu lassen und so den US-Truppen den weiteren Vormarsch zu erleichtern, kam für Wenck und seine Truppe trotz schwerer Verluste nicht in Frage. Den heftigen und verbissenen Widerstand der meist jugendlichen Soldaten erklärt Herbert Neumann mit der nationalsozialistischen Erziehung von Kindheit an.

Am 24. April 1945 erhielt wie die ganze Armee auch Hauptmann Rettich den Befehl, mit seinem neu aufgestellten Bataillon „von der West- zur Ostfront“ zu marschieren. „Nun geht es also wieder gegen den Iwan“, vermerkte er in seinem Tagebuch. Wie sich Herbert Neumann erinnert, wurde damals das Gerücht ausgestreut, die Amerikaner würden sich mit den Deutschen gegen die Russen verbünden. Am 28. April 1945 griff das Bataillon Beelitz an, drang in blutigen Kämpfen bis nach Ferch durch. „Unsere Leute, der Nachersatz aus Walternienburg, waren zum großen Teil eben ganz junge, kaum dem Arbeitsdienst entwachsene Burschen und für solche Großkämpfe nicht geeignet“, trägt der Kommandeur ein. „Ich hatte ziemliche Verluste Es wurde mit großer Erbitterung gekämpft, Gefangene keine gemacht. Ich bin mir im Klaren darüber, dass diese uns nur untragbar belasten würden und in vielleicht schon kurzer Zeit unseren sich auflösenden Verbänden in den Rücken fallen würden.“ Die Armee Wenck hielt bis 1. Mai ihre Stellungen in den märkischen Wäldern. Am 30. April 1945 zieht Hauptmann Rettich in einer letzten Eintragung das Fazit: „Ein Jammer um solche Jugend und ein Verbrechen, sie noch in diese vernichtende Hölle hineinzuwerfen.“

General Wenck und seinen Soldaten war es gelungen, in Beelitz 3000 Verwundete zu befreien, die nach Westen abtransportiert wurden. Er hielt der Sowjetarmee stand, bis nach ihrem Durchbruch die Reste der 9. Armee, etwa 30 000 Mann, zu ihm gestoßen waren. Gemeinsam mit vielen Flüchtlingen machten sie sich schließlich zurück auf den Weg zur Elbe und ergaben sich den Amerikanern.

Wie General Wenck und Hauptmann Rettich überlebte auch der damals 19-jährige Herbert Neumann den Krieg. Er hatte sich dem Vormarsch Richtung Beelitz entzogen und die letzten Kriegstage unentdeckt in seiner Heimatstadt Zerbst überstanden. Später arbeitete er in der Finanzverwaltung, so beim Rat des Bezirkes Potsdam. Über Jahre diente er bei der DDR-Volksmarine.

Neumann sieht die zur Armee Wenck erschienene Literatur kritisch, ebenso die Traditionstreffen ehemaliger Angehöriger, vor allem des II. Bataillons, in Walterniendorf, einem der Aufstellungsorte. Der Einsatz der 12. Armee, der einen hohen Blutzoll gerade an jungen Menschen gefordert habe, könne ebenso wenig gerechtfertigt oder sogar glorifiziert werden wie ihr Führer General Walther Wenck. Wichtig sei deshalb aus seiner Sicht, wenn der in Neuseddin gebildete Arbeitskreis als Zeitzeugen nicht vorrangig Offiziere befragen würde, wie das bisher fast ausschließlich geschehen sei.

Zu Wort kommen müssten vor alle einfache Soldaten und zivile Flüchtlinge, die das Grauen des Krieges und den Untergang der 12. Armee unmittelbar erlebt haben.

Erhart Hohenstein

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