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Eindrucksvoll: Der Krieger mit Stahlmaske von Knuth Seim.

© glr

KulTOUR: Genius Nah und Genius Fern

„Urbanstructures“ und altafrikanische Kunst in der Havel-Land-Art-Galerie Töplitz

Von Gerold Paul

Werder (Havel) - Was ist eine Stadt vom Grunde her anderes als ein Muster, als eine Signatur aus den verschwiegenen Kammern der Zeichen? Egal ob historisch gewachsen oder auf dem Reißbrett geplant, letztlich bestimmt die Struktur das Lebensbild einer jeden, sogar dort, wo man nicht daran glaubt.

Der Maler Olaf Thiede hat das erst kürzlich für Potsdam beschrieben. Seine Kollegin Regina Künne freilich arbeitet schon länger an diesem Thema. Die ausgebildete Anglistin und Germanistin extrahiert solche Grundmuster aus den Stadtplänen ihr vertrauter Orte, bearbeitet und markiert sie mit unterschiedlichen Farben, bis ganz eigenständige Bilder daraus erstehen. Diese sind erstens verblüffend, und zweitens so interessant, dass man gar nicht nicht mehr wegschauen mag. Es scheint, als ob die „natürlichen“ Stadtpläne dergestalt ihren verborgenen Geist, den genius loci, offenbaren wollten. Jetzt sind sie in der Havel-Land-Art-Galerie Töplitz zu sehen.

Der Malvorgang selbst geschieht aus dem Farbempfinden heraus, die Formensprache erinnert stark an die Surrealisten. Nun, im Bild ihres Wohnortes Schöningen ein deutlich sichtbares Marktweib zu entdecken, ist leicht. Anders sehen die „urbanstructures“ von Schwerin, Königslutter oder Tübingen aus. Wolfsburg gar ersteht unter ihrer Hand zu einer echten Wolfsburg, Neubau und Festung ähnlicher, als man ahnte. Auch Potsdam ist vertreten. Einige dieser Bilder haben sogar einen speziellen Effekt: Je nach Adaption der Augen „werden“ sie nicht nur dreidimensional, sie foppen gar noch die Sinne, denn man verliert bei ihnen jedes Raumgefühl. Hinten und vorn, oben und unten, werden beliebig. Wer in solche Trugstädte kommt, wird das am eigenen Leibe erfahren.

Fand Regina Künne ihren Genius also stets nah und vor Ort, so musste der ebenfalls in Töplitz ausstellende Bildhauer Knuth Seim sehr weit fahren. Geboren in Karl-Marx-Stadt, arbeitete er nach seiner Ausbildung in Berlin zunächst „ganz traditionell-figürlich“. Ein Künstlersymposium in Westafrika 1993 brachte dem Deutschen die geistig-künstlerische Wende: „Nach den starken Eindrücken im Senegal konnte ich nicht mehr so weiterarbeiten.“ Zwar fühlt er sich noch immer „dem Figürlichen“ verpflichtet, doch abstrahiert er jetzt mehr. Seine Skulpturen haben das Archaisch-Zeitlose einfach. Sie leugnen weder ihre afrikanische Inspiration in Holz und Metall, noch verschließen sie sich motivisch dem Leid dieser Welt. Beides zusammen schafft das von einem Genius so genial berührte Werk dieses Künstlers. Es ist meist in geschwärzter Eiche verewigt, neben der Esche hierzulande der haltbarste Baum.

Nun schaut man der augenlosen Bedrohung einer Vogel-Sirene mit Silberhaar, Stahlkrallen und Nagelzähnen direkt ins Gesicht, ein altgriechisches Motiv der Warnung. Man findet den an Pasolinis „Ödipus“-Film erinnernden Krieger mit Stahlmaske, ein „Idol“ mit Kupferdrahtkragen, den maskierten Kämpfer mit seinen nach oben gereckten Riesenhänden, alles ganz eindrucksvoll und sehr ernst. Ein Extra bildet das Nebeneinander zweier Torsi in Idealform: Mannes Körper ist ein stehendes Dreieck, der ihre hingegen ist spiegelverkehrt. Eine erstklassige Exposition. Marianne Kreutzberger, Kuratorin bei und für Havel-Land-Art, hat wieder mal einen Volltreffer gelandet.

Zu sehen ist die Austellung bis zum 29. August, jeweils bis Freitag 16 bis 18 Uhr und am Wochenende 14 bis 18 Uhr

Gerold Paul

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