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Spaß an der Platte. Jugendliche Flüchtlinge und Caputher Kinder spielen am Freitag im Anker-Haus gemeinsam Tischtennis auf chinesische Art.

© Andreas Klaer

Potsdam-Mittelmark: „Fremdeln dauert nicht lange an“

Der Leiter des Anker-Hauses ist am Tag der offenen Tür zufrieden mit der Integration von jugendlichen Flüchtlingen. Die Caputher spielen mit ihnen Fußball und haben nach dem Einzug geholfen

Schwielowsee - Mohammed ist ein hoch aufgeschossener Bursche, den man sich sofort als Mittelfeldspieler beim Fußball vorstellen kann. „Yes“, sagt er, „I like to play football“. Sein schüchternes Lächeln ist noch etwas kindlich, dabei hat der 16-Jährige bereits Dinge erlebt, die sich viele Ältere nicht vorstellen können. Mohammed lebt seit zwei Monaten im Anker-Haus in Caputh, einer Flüchtlingsunterkunft für unbegleitete Minderjährige.

In dem ehemaligen Hotel leben zurzeit 20 Jungen im Alter von 14 bis 17 Jahren aus acht Nationen. Gestern war Tag der offenen Tür und neben Bürgermeisterin Kerstin Hoppe (CDU) nutzten einige Caputher die Gelegenheit, sich die Einrichtung anzuschauen. An den Zimmertüren im ersten Stock stehen in großen Buchstaben die Namen der Bewohner. Ein älterer Herr, der vor jeder Tür stehen bleibt, stellt nach dem Abschreiten des Flures fest: „Die meisten Namen beginnen mit A oder M.“ Manche Namen wie Abdihakim sind richtige Zungenbrecher, im Gegensatz zu Mustafa. Einer pinnte sogar ein Foto an die Tür und Mohammed hat die Umrisse seines Heimatlandes gezeichnet, darunter steht: „I love Somalia“, mit einem kleinen Herzen. Dazu hat er geschrieben: „Bete für Somalia!“

Neun Monate war der Junge nach eigenen Angaben auf der Flucht über Äthiopien, Sudan, Libyen, Italien und von dort nach Deutschland. Pausen hat er sich kaum gegönnt, obwohl seine Fußsohlen oft regelrecht brannten. Mit einem Boot kam er über das Mittelmeer. Es sei ein sehr altes Boot gewesen, erzählt er, und dass viel zu viele Leute an Bord waren. Dass das gefährlich ist, wissen alle, die sich auf so eine Überfahrt einlassen, aber alle hoffen, das andere Ufer zu erreichen.

Mohammed hatte Glück und nach drei Stunden waren sie an der italienischen Küste. Seine Füße tun ihm manchmal noch immer weh vom vielen Laufen, aber Fußballspielen geht schon wieder, meint er. Mittwoch und Donnerstag ist Training beim SC Caputh auf dem benachbarten Sportplatz. Auch in seinem Dorf hat er Fußball gespielt. Grund für seine Flucht war der Tod des Vaters. Bei den Kampfhandlungen zwischen verschiedenen Clanführern und selbsternannten Milizen geraten vor allem Zivilisten immer wieder ins Fadenkreuz und werden getötet. Seit 50 Jahren sei Somalia ein Krisengebiet und die Regierung einfach zu schwach, um die Konflikte zu beenden, erzählt Mohammed.

Über eine App ist er noch im Kontakt mit Freunden und Verwandten. Eines Tages, das hat er sich fest vorgenommen, will er zurück nach Somalia, um seinem Land zu helfen. Am liebsten als Arzt. Aber zuerst will er die deutsche Sprache lernen, sagt er. Jeden Morgen fahren die Jungen mit dem Bus nach Lehnin zum Deutschkurs, auch Mathematik und Sport stehen auf dem Stundenplan. Manche haben schon konkrete Vorstellungen von ihrer beruflichen Zukunft.

So wie der 17-jährige Omid, der unbedingt Friseur werden möchte und bereits als Barbier in seiner Heimatstadt Teheran gearbeitet hat. Allen Jungen in der Unterkunft hat er bereits die Haare geschnitten, auch Einrichtungsleiter Hans Hansen ist mit dem Ergebnis sehr zufrieden: „Omid hat einen guten Blick für Kopfformen, sogar an Damenfrisuren hat er sich nun herangewagt, weil das ja in Deutschland zum Berufsbild gehört.“

In Caputh haben sich die Leute bereits an die Flüchtlinge gewöhnt. „Die befürchteten Konflikte sind ausgeblieben“, freut sich die Jugendkoordinatorin der Gemeinde, Petra Borowski. Erste Kontakte kamen auf dem Fußballfeld zustande, da hätten mache Eltern gestaunt, wie respektvoll die Flüchtlinge mit anderen Spielern umgingen. Eine Mutter habe Hans Hansen sogar freudig mitgeteilt, dass ihr Sohn nun viel lieber zum Training gehe.

Auch rund um die Tischtennisplatte, die auf dem Hof steht, drängen sich am Freitagnachmittag viele junge Leute, darunter auch Einheimische. Sie spielen Chinesisch: Jeder, der einen Fehler macht, scheidet aus. Anfangs sind es zwölf Teilnehmer, die flink um die Platte laufen, bis die beiden letzten Kontrahenten sich ein Match liefern. Es zählt aber vor allem das Mitmachen und auch bei verschiedenen Brettspielen wird deutlich: Die jungen Flüchtlinge und die Mädchen und Jungen aus dem Ort verstehen sich spielend.

„Das Fremdeln dauert nicht lange an“, hat Hans Hansen beobachtet. Schon in den ersten Tagen kamen mehrere Caputher, um zu helfen. Manche brachten Räder, einer einen Tischkicker. Bürgermeisterin Hoppe brachte gestern einen großen Korb mit Kräutern für den Garten. Denn im Anker-Haus kochen die Bewohner manchmal auch selbst. Das gehört wie Wäsche waschen und Zimmer putzen zum Programm, um später ein selbständiges Leben führen zu können, sagt Hansen. Gruppenweise werden auch Dienste eingeteilt, für Einkaufen und Essen vorbereiten. Respektiert werden von der Heimleitung auch religiöse Bräuche wie der Ramadan, ein Fastenmonat. Allerdings haben sechs der Bewohner schon mitgeteilt, dass das für sie nicht infrage komme. Die anderen wollen es zumindest versuchen und ab Anfang Juli von fünf Uhr morgens bis 22 Uhr abends sehr enthaltsam leben.

Kirsten Graulich

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