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Potsdam-Mittelmark: Das Kochbuch im Kopf

Bei der Kochparty im Flüchtlingsheim Teltow steht jede Woche ein anderes Land im Mittelpunkt, diesmal Afghanistan

Teltow - Wenn Masudi die Topfdeckel anhebt, um umzurühren, verschwindet sein Kopf in einer Dampfwolke. Im Flüchtlingsheim Teltow ist Kochparty, jeden letzten Freitag im Monat wird sie veranstaltet und immer im Zeichen eines der Herkunftsländer der Bewohner, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Diesmal ist Afghanistan an der Reihe. Masudi, ein junger afghanischer Journalist, ist so etwas wie der Taktgeber der Party. Ein Landsmann hilft ihm beim Gemüseschnippeln und wäscht zwischendurch ab.

Es soll ein Buffet für rund 50 Leute werden, ein Kochbuch braucht Masudi nicht. Kochen hat er von seiner Mutter gelernt. Ruhig und konzentriert agiert er zwischen den Herdplatten, wickelt Alufolien über Salatschüsseln, brät Auberginenscheiben. Zwischendurch schneidet er einen Chinakohl in Streifen, schnitzt Zacken in Tomaten. In der afghanischen Küche wird viel Gemüse verwendet, gern scharf gewürzt, erzählt Masudi und hebt Chilistückchen unter einen Salat aus Weißkraut und Gurken. Auch Joghurt, der zu einer cremigen Masse verrührt wird, ist Bestandteil der Landesküche.

Seit September leben etwa 120 junge Männer aus 21 Nationen in dem Plattenbau, der an die Teltower Feuerwehrwache angrenzt und früher Lehrlingswohnheim war. Die Zimmer mit 18 Quadratmetern teilen sich je drei Flüchtlinge. Im Februar 2013 waren die ersten von ihnen in den mittleren Wohnblock an der Potsdamer Straße eingezogen, zumeist Familien mit Kindern. Über 300 Flüchtlinge leben derzeit in Teltow.

Die Idee zum länderspezifischen Kochen war im „Treffpunkt Deutschunterricht“ aufgekommen, den der Freundeskreis „Asyl Teltow“ ins Leben rief. Auch heute sind die Helferinnen Jutta Henglein-Bildau und Ulla van Dorp dabei. Nicht am Herd, das ist bei der Kochparty Männersache, sondern beim Tischeeindecken und Dekorieren der Tafel. Mit Initiatorin Claudia Rashied organisieren sie auch Ausflüge und andere Aktivitäten für die Flüchtlinge. Die Initiative arbeitet mit dem Internationalen Bund, dem Heimbetreiber, zusammen und kann so auch Spendengelder einwerben. Einen Teil der Lebensmittel für das Fest hat Selgros gespendet, vom Bäcker Neuendorff erhalten sie an Wochenenden Brot und Kuchen.

Dass sie ein Dach über dem Kopf haben, darüber sind die Flüchtlinge froh, doch Langeweile bestimmt meist den Alltag, arbeiten dürfen sie nicht. Daher ist ihr größter Wunsch, die Sprache zu lernen und Arbeit zu finden, um niemandem zur Last zu fallen. Masudi besucht regelmäßig einen Deutschkurs an der Volkshochschule und paukt jeden Morgen Vokabeln. Er versteht schon vieles, ringt aber bei den Antworten manchmal noch um das richtige Wort.

Schwierigkeiten gebe es besonders mit den Artikeln, berichtet Tilmann von Schwander. Der 13-jährige Kleinmachnower kommt jeden Freitag, um beim Deutschunterricht zu helfen. „Ich habe ein Schuhe, sagen sie oft statt ich habe Schuhe.“ Tilmann findet, dass die deutsche Sprache viele Gemeinheiten parat hat. Seine Großmutter Ulla van Dorp sieht es gelassen: „Wir merken, dass sie Fortschritte machen und sich mit uns unterhalten können.“ Manchmal würden sie von ihrer Flucht erzählen, von Toten, die in der Wüste verdursteten. Einige seien zwei Jahre unterwegs gewesen.

Während sie erzählt, kommt Nedal, ein junger Syrer. Er hält ein Glas Tee in der Hand und redet auf die beiden ein: „Tea with lemon!“ Als er das zum dritten Male wiederholt, meint van Dorp: „Sag das doch mal auf Deutsch.“ Aber Nedal schaut sie nur mit großen Kulleraugen an. „Lemon heißt Zitrone“, seufzt sie, da eilt der junge Mann in die Küche. Kurz darauf stellt er das Glas, in dem nun zwei Zitronenscheiben schwimmen, vor van Dorp auf den Tisch und macht eine bedeutsame Geste zum Hals. Verblüfft wird ihr erst jetzt klar, dass Nedal mitbekommen haben muss, wie sie kurz zuvor über Halsschmerzen geklagt hatte. „Der Tee war für mich und ich hab ihn noch so angeraunzt“, meint sie gerührt. Ihr Enkel hilft derweil in der Küche, zerstößt Kapselfrüchte mit einem Mörser. „Kardamom“ steht auf der Dose. Immer mehr junge Männer kommen in den Raum, wollen helfen. Sie hängen bunte Zeichnungen an die Wand, stellen Blumen auf die Tische und bauen eine Musikanlage auf. Musik hören sie sonst nur aus ihren Handys und die sind zugleich ihre Verbindung zur Heimat. Einen Internetanschluss gibt es nicht im Heim.

Dabei ist das Web hier eine Lebensader, nur damit können sie sich in Zeitungen und Blogs über die Lage zu Hause informieren und per E-Mail in Kontakt bleiben, berichtet van Dorp. Immerhin ermögliche die Kleinmachnower Bibliothek einen kostenlosen Zugang ins Netz. Am liebsten würde die Initiative einen Computerkurs organisieren, doch es fehlt an der Hardware. Es fehlt an vielem.

Auf Ausflügen ist „Asyl Teltow“ meist auf private Fahrzeuge angewiesen, was die Teilnehmerzahl einschränkt. Doch es gibt auch Lichtblicke. Gerade stürmt eine Helferin der Initiative herein und strahlt: „Wir haben einen Bus. Die Firma Pinternagel spendiert uns die nächste Exkursion.“ Da springt Ulla van Dorp auf, umarmt die andere und jubelt: „Wir haben einen Bus!“

Kontakt zum Freundeskreis über Claudia Rashied Tel.: (0157) 3773 9622

Kirsten Graulich

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