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DAS JAHR 2005 setzte auf Kontinuität: Viel Tops, wenig Flops: Zeichen des Lichts

Nacht der Galerien, Dornenzeit, Kosmische Klänge, Kammer der Töne – das alles war 2005

Es gab viel zu erleben: im Kulturjahr 2005. Neues wurde angeschoben, Bewährtes fortgesetzt, einiges auch fallen gelassen. Rezensenten der PNN blicken – hier in zweiter und letzter Folge – auf ihre Tops und Flops zurück.

Reges Kunsttreiben

Manchmal gibt es auch aus dem Kunstleben Erfreuliches zu berichten. Zwar hören wir ständig das Jammern darüber, dass nicht genug getan würde, dass es an öffentlicher Zuwendung fehle, dass die Künstler ihr Dasein ohne große Hoffnung fristen. Aber es gab im zurückliegenden Jahr ein Zeichen des Lichts, das nicht nur für das Publikum, sondern auch für die Beteiligten zu erkennen war: Bei der „Art Brandenburg“ Anfang November konnte man in der Caligari-Halle auf dem Filmgelände während der dreitägigen Ausstellungszeit beobachten, wie sich die Minen der Künstler immer stärker aufhellten. Nicht nur, dass sie sich über manche Verkäufe freuen durften, sie hatten zum ersten Mal überhaupt Gelegenheit, sich gegenseitig mit ihrem Werk vorzustellen und zwanglos Kontakt zu Kollegen und möglichen Käufern zu knüpfen. Diese Messe sei besser als eine Landeskunstschau, war zu hören.

Auch auf anderem Gebiet gab es Bewegung: Dass die Stadt schnell und unbürokratisch für das Gründerzentrum in der Seestraße mit dem Gebäude der ehemaligen KFZ-Zulassungsstelle eine Alternative fand, ist lobenswert. Man wird nun beobachten können, wie sich das vergammelte Haus mit der Kunst anfreundet. Dass dort auch Stipendiatenwohnungen für Künstler aus den Partnerstädten ausgebaut werden sollen, ist ein guter Plan. Schon im letzten Jahr konnte man in der Seestraße sehen, dass die Möglichkeit des zwanglosen europäischen Austauschs nicht nur zwischenmenschlich, sondern auch künstlerisch fruchtbar war: Weiterhin wird selbst über die Grenzen hinweg an gemeinsamen Plänen gearbeitet. Auch der Brandenburgische Verband Bildender Künstler demonstrierte Gastgeberqualitäten, indem er zwei finnischen Künstlerinnen Gelegenheit zur Ausstellung und zum Kollegentreffen gab. Potsdam sollte, ungeachtet aller Misserfolge bei europäischen Projekten diese Dimension nicht aufgeben, sondern sie verstärken und in außereuropäische Gefilde erweitern. Es tut immer gut, anderen Wind in die Köpfe und die Galerien zu bringen. Auch diese sind in Bewegung und haben sich zu dem Projekt der „Nacht der Galerien“ zusammengeschlossen, und was da hinter den oft sehr kleinen Fenstern im letzten Jahr versteckt war, konnte sich durchaus sehen lassen. Da brillierte die Galerie Sperl mit einer Schau des Grafikers Falko Behrendt, bei dem die Fabelwesen in wunderbarer Zartheit durch die Bilder wuseln, da zeigte das in Potsdam häufig nur als Geheimtipp geltende, weil stärker auf den Berliner Markt schielende Kunsthaus Potsdam durchaus verwegene Arbeiten der Holländerin Gerti Bierenbroodspot und die Galerie am Neuen Palais überraschte mit hintersinnigen ironischen Arbeiten von Günther Hauschildt. Auch die Galerie Samtleben glänzte nicht nur mit den „PotsDamen“ von Gabi Hauptmann sowie den seltsam unterkühlten Arbeiten von Michael Otto – und die Galerie Ruhnke zeigt beständig sehr gute Qualität.

Was aber trotz des quicklebendigen, meist ohne offizielle Unterstützung auskommenden Engagements aller Beteiligten dennoch fehlte, waren aktuelle (internationale) Tendenzen der Kunst. Da konnte sich die Ticket-Galerie mit den beiden irakischen Künstlern Talal Refit und Nedim Kufi sowie mit „Inter-Mezzo“ noch so sehr anstrengen, da versuchte der Brandenburgische Kunstverein mit pornographischer, aber dann weitgehend sinnenferner Kunst zu imponieren, jedoch es drang nicht durch.

Eine weitere Lücke zeigte die schon lange notwendige und beeindruckende Werkschau der Arbeiten der Potsdamerin Suse Ahlgrimm: Es fehlt die Möglichkeiten zur Präsentation von Positionen der hier ansässigen Künstler. Was wir brauchen, ist ein Kunsthaus, das die aktuellen hiesigen, aber auch das von ferne strömende Ansinnen aktueller künstlerischer Tendenzen abwechselnd zeigt. Es steht nicht gut um die so lange diskutierte und neuerdings schamhaft verschwiegene Kunsthalle, aber sicher ist, dass das Fluxus-Museum dafür keinen Ersatz böte. Lore Bardens

Ernstfall Demokratie

Als das Filmmuseum im Frühjahr den „Ernstfall Demokratie“ proben wollte, schien das Projekt wohl bedacht platziert. Zumindest war eben erst eine kleine Ausstellung über Schauspieler, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, zu Ende gegangen. An die ließ sich trefflich mit jenen „Reeducationfilmen“ anschließen, mit deren Hilfe die Alliierten den Deutschen nach dem Untergang des „Dritten Reiches“ die Vorzüge der Demokratie näher bringen wollten.

Und tatsächlich war geplant, das Demokratie-Projekt des Filmmuseums eben mit diesen Umerziehungsfilmen einsetzen zu lassen. Doch daraus wurde nichts. Die bereits gedruckten Programmhefte mussten kurzerhand überklebt werden: Kintopp statt politischer Bildung war die Devise, da ausgerechnet für die Demokratie keine Fördermittel locker zu machen waren.

Doch im Filmmuseum zeigte man sich als aufrechte Demokraten und ließ so lange keine Ruhe, bis das Projekt im Herbst nachgeholt werden konnte. Die Verschiebung hatte zur Folge, dass das unglaublich umfangreiche Programm aufgeteilt werden musste und im normalen Betrieb zu versinken drohte, was den Publikumszuspruch bisweilen ziemlich in Grenzen hielt. Doch diejenigen, die den Weg ins Filmmuseum fanden, konnten sich belehren lassen. Belehren im besten Sinn – gerade was aktuelle Vorgänge in der Politik betrifft. Denn bereits als Volker Braun zum Auftakt aus seinem Roman „Das unbesetzte Gebiet“ las, wurde der gern vergessene Zusammenhang vom Ende der Hitler-Diktatur und der von Außen an die Deutschen heran getragenen Demokratie verdeutlicht. Eine Liebe wurde daraus freilich erst mit wachsendem Wohlstand, was ja so manchen bis heute an der aufrichtigen demokratischen Gesinnung der Deutschen zweifeln lässt.

Zugleich ergaben sich durch die Verschiebung des Projekts aber durchaus nachdenkenswerte Rückkopplungen, welche die Grenze zum übrigen Programm verschwimmen ließen. Etwa als am Tag der Deutschen Einheit die offiziellen Feierlichkeiten in der ganzen Stadt bierselige Freudenlaune verbreiteten, im Filmmuseum jedoch geradezu schelmisch „Der geteilte Himmel“ über die Leinwand flimmerte. Konrad Wolfs Film wurde so aus seiner historischen Rolle herausgeholt und stellte die Frage nach politischen Alternativen zum heutigen Demokratiebegriff. Dass man das ganz ohne ostalgische Wehmut tun kann, wurde in so mancher, zugegeben bisweilen etwas zähen Podiumsdiskussion des Demokratie-Projekts deutlich. Etwa als erläutert wurde, wie sich das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Regierungsform hätte verbessern können, wäre 1990 die Chance einer neuen und vom Volk bestätigten Verfassung wahrgenommen worden. Ebenfalls unter das Motto der Reihe hätte der Besuch des britischen Filmemachers Ken Loach im September stehen können. Wem es vergönnt war, diesem Abend beizuwohnen, erlebte eine ebenso unaffektierte wie sympathische lebende Legende des sozialkritischen Kinos. Für den Regisseur sind Filme stets ein kleiner Beitrag zur politischen Bewusstseinsbildung für soziales Unrecht.

Als Ken Loach im Filmmuseum war, ebenso wie beim Vortrag des Soziologen Ralf Dahrendorf, war das Filmmuseum brechend voll. Es wurde heftig diskutiert. Solche Abende – seien sie innerhalb von „Ernstfall Demokratie“ oder nicht – ließen nicht nur wieder einmal die enorme, freilich oft vergeblich oder gar missbrauchend eingesetzte, politische Schlagkraft des Mediums Film begreifen. Sie machten auch die Vorstellung, es herrsche zwar irgendwo da draußen Demokratie, doch keiner interessiere sich dafür, getrost für ein paar Stunden vergessen. Moritz Reininghaus

Im Kalender geblättert

Es gibt keinen Fortschritt in der Kultur, nirgendwo ist Fortschritt. Nach Heraklit kann man ja auch nicht zweimal in den selben Fluss steigen, sei es auch nur die Havel. Zu jeder Veranstaltung geht man hin, als wäre es das erste Mal – und das letzte, dann beginnt es von vorn. Dergestalt stand man 2005 oft vor der Frage, was Kunst, was Kultur sei, andererseits was alt oder neu. Alles Neue um seiner selbst willen begrüßen die „himmelsstürmende“ Inszenierung des Hans Otto Theaters etwa im März, die es sich posthume erlaubte, einen schlechten Stalinismus gutem Sozialismus entgegenzustellen oder die mühevollen Werke der Europäischen Austauschakademie in Beelitz-Heilstätten, wo man stetig darum ringt, das Wesen der Kunst als Fortschritt zu fassen.

Oft war es eine Kultur der Anlässe: Andersen und Schiller jubelten leise durchs Jahr, Einstein wurde freundlich, wie immer bedient, beispielsweise durch eine alerte Theatergruppe der Kleinmachnower Steinweg-Schule im Mai. Benefizten Anfang des Jahres „Poetenpack“ und Potsdamer Vocalkreis zugunsten der Tsunami-Opfer in Südasien, so die Erlösergemeinde jüngst für Pakistan, nur kam das nicht so deutlich heraus. Vor der Passion war in der Friedenskirche „Dornenzeit“ angesagt, eine Veranstaltungsreihe für andächtige Menschen. Der Fercher Künstler Adi Bachmann schuf aus gleicher Intention für eine schneeige „Pilgrimage“ gen Petzow bunte Schäfchen am Waldesrand, um dann im Mai seine „Fundstücke“ aus Ägypten zu präsentieren, originelle Sachen. Wenn er tatsächlich zum Nil übersiedelte, wäre das kein Fortschritt.

Leuchtende Knickröhrchen und „Kunst“ von der Kettensäge sind Erinnerungen an „Kosmische Klänge“ im Juni auf dem Telegrafenberg, wo auch aus dem „Kleinen Prinzen“ gelesen wurde. Überhaupt blühte diese Kultur in Potsdam: Als Jahresreihe vom Hans Otto Theater „Jule war so schön“, in den Gärten Uranias, in Bibliotheken, Galerien und am al globe, als man aus dem Mund des Regisseurs und Verfassers der „Regenbogenboa“, Rainer Simon, erfuhr, dass ein wahrer Autor nur mit der Hand schreibt. Im Kabarett war’s wie immer, vom T-Werk kam einiges Gute – nicht nur „Orange & Zitrone“, auch die Beelitzer Kulturaktivisten zogen ihre Sachen ordentlich durch, selten in Tiedemanns Saal. Tüchtig, doch letztlich vergebens, kämpfte sich die „Comédie Soleil“ durchs Jahr. Auch hier kein Fortschritt. Adieu! Theater gründet sich ja so wenig auf große Häuser wie Malerei auf berühmte Galerien: Man ahnte es beim Theatertreffen „Sonnenblume“ im Lindenpark. Unidram indes zeigte, dass die Intention einer formverliebten „Moderne“ stets dort endet, wo etwas an seiner Herkunft gemessen werden kann. Vorträge: Über das Kriegsende 1945, als Deutschlands Verteidiger nicht beerdigt werden sollten, in Kartzow über deutsch-skandinavische Musiktraditionen, in der „arche“ über dies und das, wobei sich wohl ein arger Störenfried einschlich. „Kulturreporters“ Kalender könnte manche Geschichte erzählen, doch wer wollte sie schon hören. Fazit: Am Havelufer tritt die Kunst beständig auf der Stelle – sonst würde es Neues nicht geben. Gerold Paul

Klang-Reiche

Potsdam ist eine Stadt voller Musikkenner und -könner. Schon die Anzahl der Chöre spricht für sich, die alle Jahre wieder anspruchsvolle Programme erarbeiten. Zu den Profiliertesten gehören der Neue Kammerchor, die Potsdamer Kantorei, der Oratorienchor, der Vocalkreis Potsdam, die Singakademie sowie die Chöre der Städtischen Musikschule und des Helmholtzgymnasiums. Unter den Laienorchestern ragen das Babelsberger Collegium musicum und das Städtische Jugendsinfonieorchester jedes Jahr erneut mit gelungenen Aufführungen hervor. Die zahlreichen Konzerte im Nikolaisaal, in der Erlöserkirche, der Friedenskirche, in den Schlössern und Gärten sowie all den anderen historischen und modernen Spielorten bereichern das Kulturleben außerordentlich, locken immer mehr Publikum auch von außerhalb an und tragen auf ihre Weise zu einer entspannten Atmosphäre bei.

Die Kammerakademie Potsdam setzt nicht nur Maßstäbe mit ihren Konzerten in kammermusikalischer und mittlerer symphonischer Besetzung, sondern sie hat seit einiger Zeit auch hervorragende Education-Programme entwickelt. In diesem Jahr konnte beim Konzert-Workshop „Die Kammer der Töne“ viel Interessantes auf spielerisch-fantasievolle Weise über die Entstehung von Klang und Rhythmus zu entdeckt werden. Damit leistet die Kammerakademie auf ihre Weise – wie natürlich auch die Städtische Musikschule– einen wichtigen Beitrag im musikalischen Gefüge der Stadt. Schließlich können all die verlockenden Angebote des Kulturprogramms erst mit entsprechender Bildung adäquat genossen und gewürdigt werden – einmal ganz abgesehen von den sonstigen Auswirkungen eines fruchtbaren Musiklebens.

Zum Inventar des Nikolaisaals gehören auch die Filmlive-Konzerte des Deutschen Filmorchesters Babelsberg. Sie und die anderen Crossover-Konzerte bieten immer wieder Überraschungen und Entdeckungen, wie zuletzt mit dem „General“ von Buster Keaton oder bei dem ungewöhnlichen Projekt aus Musik und Mode „Weltgewänder“.

Internationales Flair verbreiten zunehmend auch die Potsdamer Musikfestspiele. Die im letzten Jahr erstmals geschlagene Brücke über den Atlantik brachte drei nordamerikanische Komponistinnen mit ihren Werken nach Potsdam. Mit der „Baroque Dance Company“ aus New York erlebte das ehrwürdige Schlosstheater das ungewöhnliche Spektakel einer anregenden Mischung aus Gestern und Heute, Neuer und Alter Welt.

Gesangliche Höhepunkte in Serie boten die Aufführungen der Vocalise, die mit Giuseppe Verdis romantischer Kirchenoper, dem „Requiem“, ein beeindruckendes Finale erlebte. Die Erlöserkirche ist auch zum Hauptstandort des Neuen Kammerorchesters geworden, das sich zunehmender Beliebtheit erfreut. Mit der konzertanten Aufführung der „Zauberflöte“ in einer neuen Version landeten das Orchester und der Neue Kammerchor einen einmaligen temperamentvollen Höhepunkt, der ohne wesentliche Einbußen der musikalischen Substanz auskam.

Die Entdeckung des Jahres war die „Böhmische Hirtenmesse“ von Jan Jakub Ryba aus Tschechien. Bei dem in der Babelsberger Friedrichskirche aufgeführten Weihnachtsoratorium gingen Mozart’sche Grazie und schlichte Gesanglichkeit eine überaus fröhliche Verbindung ein. Babette Kaiserkern

Lore Bardens

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