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Märchen und Tiere gehen immer.

© D.A. Schermer

Kultur: Urhuhn unterm Küchenfenster

Der dritte Band „Kunst im öffentlichen Raum“ zeigt Objekte in Potsdams Stadtteilen im Südosten.

Diese Kunst braucht kein Museum. Die ganze Stadt Potsdam ist ihr Ausstellungsraum. Geschätzt 250 Kunstwerke aus den vergangenen Jahrzehnten finden sich verteilt im Stadtgebiet. Im Unterschied zum Museum kann man sie nicht nur anschauen, sondern auch berühren, benutzen, mit ihnen spielen, auf manchen auch sitzen, klettern und balancieren. Manche speien Wasser oder dienen als Pflanzgefäße, andere zeigen die Uhrzeit an – wie die große, begehbare Sonnenuhr am Bürgerhaus am Schlaatz nach Plänen der Gruppe Grün der Zeit und Arnold Zenkert, und die „Zeitschwangere“ von Wolfgang Knorr, eine Skulptur neben der Mensa der Friedrich-Ludwig-Jahn-Schule. Gottfried Höfers Spieluhr auf der Brandenburger Straße macht zudem noch Musik.

Und während einige Kunstwerke fest in der Wahrnehmung der Potsdamer verankert sind und bleiben, selbst nach ihrem Verschwinden in der Werkstatt – wie „Familie Grün“ der Künstlerin Carola Buhlmann –, so läuft man an manchen oft achtlos vorbei. Weil sie gefühlt schon immer da sind, sich in das Stadtbild einfügen und kaum noch auffallen. Oder weil man sie eher als Gebrauchsgegenstand wahrnimmt. So wie die vielen Spielplatzelemente, die „Schlange“ am Stern, Künstler unbekannt, Alice Bahras „Murmelburg“ in Am Fenn in Waldstadt. Oder das „Urhuhn“ in der Grünanlage Schlaatzer Welle, eine Keramik von Manfred Rößler, in die man sogar hineinkriechen kann.

Eine Publikation des Potsdamer Fachbereichs Kultur und Museum soll nun Lust machen, mal genauer auf die Kunst im Stadtbild zu schauen, sich mit dem Werk, dem Künstler, der Zeit und den Umständen, unter denen es entstand, auseinanderzusetzen. Vor Kurzem erschien der dritte Band „Kunst im öffentlichen Raum“ zu den Objekten in Potsdams Südosten, von Babelsberg bis Kirchsteigfeld. Der erste Band beschäftigt sich mit der Kunst auf der Freundschaftsinsel, im zweiten findet sich alles, was zerstreut in der Innenstadt steht. Kaufen kann man die Bände in der Buchhandlung Internationales Buch und im Potsdam Museum.

Autor und Fotograf Dirk Alexander Schermer, Kunsthistoriker aus Berlin, ist Spezialist für Architektur und Gestaltung des öffentlichen Raums von Städten der DDR und Osteuropas. Im Auftrag der Stadt hat er sich eine Auswahl von gut 150 Objekten angeschaut. Im Text erwähnt er – neben der Beschreibung des Werks und seiner Entstehung – stadtgeschichtliche und politische Bezüge.

Erfreulich ist vor allem, dass es überhaupt endlich einen umfassenden Kunstführer gibt. Die Fülle, die sich dabei zeigt, überrascht. Haben wir in Potsdam außergewöhnlich viel Kunst herumzustehen?

Dirk Alexander Schermer kennt den Vergleich mit anderen ostdeutschen Städten. „In der DDR waren alle Bezirksstädte ähnlich gut bestückt“, sagt der Autor. Und natürlich gab es auch im Westen Kunst im öffentlichen Raum – dann aber meist als freie Gegenbewegung zur institutionalisierten Kunst. In der DDR bestellte die Stadt die Werke oft direkt beim Künstler – zu einem bestimmten Thema. Die Art der politischen Botschaften oder Bildungsaufträge änderte sich durch die Jahrzehnte. Manchmal fand sich in der Kunst auch nur der unverfängliche Aufruf an die Bevölkerung, mehr Sport zu treiben, sagt Schermer. Der Luftschiffhafen ist voll mit Sportlerskulpturen.

Auffällig in Potsdam ist, dass die Kunst dicht an den sozialistischen Menschen herangetragen wurde – hinein in sein Wohngebiet, quasi unters Küchenfenster. Als die neuen Wohngebiete, Waldstadt, Schlaatz, Drewitz und Stern, gebaut wurden, sollte hier auch Platz für neue, zeitgenössische Kunst sein. Vielleicht als unbewusste Aufwertung des oft tristen Wohnumfelds, als bunter Blickfang auf Spielplätzen oder als Landmarke im anonymen Einerlei der Blockbebauung, der neu angelegten Straßen. Wer sich als Kind zwischen den ähnlich aussehenden Häusern der neuen Waldstadt II verirrte, orientierte sich möglicherweise an Rudolf Böhms Sandsteinfigur „Die sieben Raben“ auf der Ecke Zum Teufelssee/Am Schlangenfenn. Die gruseligen Straßennamen und rauschenden, hohen Kiefern passten gut zu dem Grimm-Märchen von den sieben verzauberten Brüdern und ihrer Schwester. Für die neuen Wohnblocks Am Schlaatz entwarfen die Grafiker Erich Wrede, Wolfgang Butze und Helmut Bierwagen farbige Giebelzeichen mit Biber, Otter, Fuchs, Fischen und Vögeln. Tiere, die früher in den sumpfigen Wiesen gelebt haben, auf die in den 1980ern die Neubaublöcke gesetzt wurden. Den Trend griff gut 20 Jahre später Marcus Iden wieder auf. Dessen „Feuerwanze, Kellerassel, Marienkäfer und Bisamratte“ aus Sandstein findet man an der Tramhaltestelle Bisamkiez. Wie riesige Fossilien sitzen sie dort im Gras fest. Auch in der DDR war eben nicht alles politisch motiviert: Spielplätze und Springbrunnen blieben Spielplätze und Springbrunnen. Und letztlich wurde nach der Wende einfach weiter Kunst gemacht – oft gemeinschaftlich wie Rainer Fürstenbergs „Weide mit Adam und Eva“, drei Edelstahlfiguren vor der Weidenhof-Grundschule. Grundlagen für Fürstenbergs Arbeit, 2006 gefertigt, waren Zeichnungen der Schüler. Und die Bubbles-Figuren aus Beton, die am Caputher Heuweg liegen, entstanden 2003 bis 2005 in Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen der Waldstadt II. Das Graffiti lässt sich dann durchaus als Zeichen einer Inbesitznahme, einer Benutzung, deuten. Es wird, so hat es den Anschein, an dieser Stelle geduldet.

Ansonsten seien in Potsdam die Kunstwerke vergleichsweise sorgsam gepflegt. „Die Stadt kümmert sich, die Denkmalwartung und Pflege ist gut organisiert“, sagt Schermer. Lobenswert sei auch, dass die Kunstwerke im Internet und den Broschüren dokumentiert werden. „Die Künstler, sofern sie noch leben, hat es sehr gefreut, dass ihre Werke noch Beachtung finden.“

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