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Heimelige Spießigkeit. Stefan Roloff in seiner Installation.

© Manfred Thomas

Kultur: Sonderzüge und Erdnusslocken Villa Schöningen ergänzt Sammlung um einen Dokumentarfilm und eine Kunstinstallation

Ein heimeliges Wohnzimmer hat der Videokünstler Stefan Roloff zusammengebaut. Auf der gemusterten Tischdecke steht eine Holzschale mit Erdnussflips.

Ein heimeliges Wohnzimmer hat der Videokünstler Stefan Roloff zusammengebaut. Auf der gemusterten Tischdecke steht eine Holzschale mit Erdnussflips. „Nimmt den Bauch weg, Brot ohne Speck“ steht auf dem Rand des Tellers. In der Ecke eine gefranste Stehlampe, im Glasschrank Gartenzwerge, Nippes und eine Matrjoschka Puppe, an den Wänden kitschige Berglandschaften und Blumenbilder. Das Ensemble verbreitet eine Atmosphäre spießiger Gemütlichkeit und ist ab heutigem Donnerstag unter dem Titel „Das Leben im Todesstreifen“ zusammen mit dem Dokumentarfilm „Die Akte Lindenberg – Udo und die DDR“ als neues Exponat in der Dauerausstellung der Villa Schöningen, in der sie die Geschichte der Glienicker Brücke und des Todesstreifens thematisiert, zu sehen.

Mehrmals hat Roloff seine Reminiszenz an die deutsche Biederkeit bereits mit immer anderem zusammengesammeltem Mobiliar an anderen Orten aufgebaut. In der Villa gesellt er zu Porzellantieren und Mustertapete zwei Videoinstallationen. „Erst als ich aus Berlin fortgegangen bin, ist mir der Irrsinn der Mauer richtig aufgefallen“, so Roloff. 1981 ging er nach New York, nachdem er an der Kunsthochschule in Berlin Malerei studiert hatte. In Amerika machte sich Roloff als experimenteller Videokünstler einen Namen. Einen Vorläufer seiner späteren Filmwerke zeigt die Villa. „Die kamen mir vor wie Tiere in einem Käfig“, kommentiert der Künstler das Video. Es zeigt die innerdeutsche Grenze, gefilmt von einem der touristischen Aussichtstürme, von denen auf westdeutscher Seite im geteilten Staat ein Blick über die betonierte und verminte Grenze möglich war. Die statisch montierte Kamera zeigt Menschen, die an der Wand entlanglaufen, verschweißte Eisenbalken, die mögliche Fluchtfahrzeuge aufhalten sollten. Unmittelbar nach dem Fall der Mauer habe niemand den Film sehen wollen. Das sei wohl alles noch zu nah gewesen, mutmaßt Roloff. Vor einiger Zeit aber sei er mehrfach nach dem Material gefragt worden. „Die Mauer war Faschismus“, kommentiert Roloff die Filmbilder.

„Lassen sie mich doch mit diesem Quatsch in Ruhe“, fordert Egon Krenz in der Dokumentation „Die Akte Lindenberg – Udo und die DDR“. Der Fernsehmoderator Reinhold Beckmann hatte Krenz nach Verhaftungen im Zusammenhang mit einem Rockkonzert in der DDR gefragt. In dem Dokumentarfilm beschreibt der Fernsehmoderator Reinhold Beckmann die Erfahrungen, die er am 25. Oktober 1983 machte. Als Tonassistent eines ARD Kamerateams begleitete Beckmann ein Rockkonzert im Palast der Republik der DDR, bei dem Udo Lindenberg aufgetreten ist. Das Publikum bestand zu weiten Teilen aus handverlesenen Mitgliedern der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ), des Jugendverbandes der DDR. Vor dem Palast, zurückgehalten von einem Metallgitter, warteten die Fans von Udo Lindenberg. Sie drängten gegen die Absperrung. Polizisten zogen sie über die Barrikade, verhafteten 50 Personen und verhörten diese anschließend. Bis zu seiner Verhaftung hatte der Fotograf Nikolaus Becker gedacht, dass „man den Sozialismus, wenn man ihn ausreichend verbessert, noch irgendwie zu einem guten System umgestrickt kriegt“.

Diese Illusion schwand dahin, als er bei seiner Verhaftung zu einem Verhör in eine vollständig gekachelte Zelle geführt wurde, deren einziges Mobiliar ein Wasserschlauch war. In den Verhörräumen hätten sich in dieser Nacht unbeschreibliche Szenen abgespielt, erklärt Becker. Mit politischen Stellungnahmen hatte Lindenberg sich in dem Konzert zurückgehalten. Der Rockstar spekulierte auf eine Tournee durch die DDR, die dem Konzert im Palast folgen sollte. Vier Monate später allerdings folgte die Absage. Den Oberen der DDR war der westdeutsche Rocker wohl doch zu politisch. In dem Konzert hatte Lindenberg konstatiert, dass „von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen darf“. Er hatte auch darauf bestanden, dass russische Raketen auf dem Boden der DDR nicht weniger bedrohlich seien als amerikanische auf westdeutschem Gelände. Zum Abschluss des Konzertes sangen die versammelten Musiker zusammen mit dem amerikanischen Superstar Harry Belafonte das Lied „We shall overcome“. Während der Friedenshymne saß Lindenberg hinter dem Schlagzeug.

Die Annahme Lindenbergs, das Konzert sei eine unpolitische Musikveranstaltung, sei eine Illusion gewesen, stellt Krenz fest. Als erster Sekretär des Zentralrats der FDJ wusste der Funktionär sehr genau, welche Wirkung das vermeintlich unpolitische Liedgut entfalten könnte. Zwar hatte Lindenberg es sich verkniffen, bei dem Konzert seinen „Sonderzug nach Pankow“ zu singen. Aber schon die Begeisterung der DDR-Jugend für den Westsänger war den Funktionären nicht geheuer, zumal es auch einige andere Songs gab, die sich auf den sozialistischen Staat bezogen. Nach dem Fall der Mauer allerdings sang Lindenberg unverzüglich in den hinzugekommenen neuen Bundesländern. „Die Leute haben Tränen geweint. Der ganze Boden war nass. Die haben Badelatschen mitgebracht“, sagt Udo Lindenberg über seinen Auftritt 1990 in Leipzig. Zu diesem Zeitpunkt waren die Gerätschaften an der innerdeutschen Grenze schon teilweise abgeräumt. In der Dauerausstellung des Museums sind sie noch heute zu besichtigen.Richard Rabensaat

Die Dauerausstellung in der Villa Schöningen an der Glienicker Brücke ist geöffnet donnerstags und freitags, 11-18 Uhr, samstags und sonntag, 10-18 Uhr

Richard Rabensaat

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