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Dirigent Nils Jensen ist der neue Leiter der Singakademie Potsdam. 

© Manfred Thomas

Schönheiten und Abgründe: Ein Abend mit Haydn und Hennig

Neben Haydns hymnischer „Schöpfung“ erklang im Nikolaisaal „ein Sündenfall“ von Thomas Hennig. Am Ende gab’s begeistert Applaus.

Bevor Gott, wie die Bibel erzählt, die Welt erschuf, herrschte Chaos, Finsternis, Leere. Auch Joseph Haydns 1798 komponiertes Oratorium „Die Schöpfung“ beginnt explosionsartig. dann hört man farbige Tonmalereien und anrührende Melodien, die die Schönheiten wie das werdende Licht, das Firmament, die Winde, das Wasser, das pflanzliche und tierische Leben und nicht zuletzt das Wunder des Menschseins in allen Einzelheiten schildern. Für uns Menschen des 21. Jahrhunderts wirkt Haydns Lobpreis stark idealisiert und mitunter klischeehaft. Nichts, aber auch gar nichts löst in der Musik Angst und Beklemmung aus. Auch das Chaos, das sich zunächst ausbreitet, hat nichts Beängstigendes. Es versetzt dem Zuhörer jedoch in eine gespannte Erwartung.

Erfreuliche Klangpräsenz

Der Sinfonische Chor der Singakademie Potsdam hat sich des populären Oratoriums angenommen und es am Sonntag im Nikolaisaal zur Aufführung gebracht. Längst gehört es zum Standardrepertoire des Chores. Unter der Leitung seines neuen Dirigenten Nils Jensen haben alle Mitwirkenden das Werk in erfreulicher Klangpräsenz und Ausdrucksstärke zur Aufführung gebracht. Neben dem in allen Stimmlagen gut besetzten sowie homogen singenden Chor wirkten das plastisch musizierende Neue Kammerorchester Potsdam sowie die Solisten Georgina Tryfona, Sopran, Sebastian Köchig, Tenor, und Axel Scheidig, Bass, mit. Vielleicht hätte der Wiedergabe etwas mehr Augenzwinkern, das in Haydn Partitur zu finden ist, gut getan.

Heldische Exaltiertheit fehlte

Wie es geht, hat der mit einer kraftvollen Stimme ausgestattete Axel Scheidig in der Partie des Adam vorgemacht, Georgina Tryfona, die mit ihrer kristallklaren Stimme verzaubert, schaltete als Eva eher auf Distanz, und dem kultiviert singenden Sebastian Köchig als Erzengel Uriel fehlte eine gewisse heldische Exaltiertheit, die im zentralen Sonnenaufgangs-Rezitativ „In vollem Glanze“, sowie in der strahlenden C-Dur-Arie „Mit Würd und Hoheit angetan“ unerlässlich ist.

Mensch als Krone der Schöpfung

Nach dieser Arie, in der von der Menschwerdung gesungen wird, gibt es zunächst eine Zäsur. „Die Schöpfung“ wurde unterbrochen und Thomas Hennigs Ausschnitte aus seiner 4. Sinfonie, die er „Ein Sündenfall“ nennt, haben das Sagen. Der Mensch als Krone der Schöpfung ist mit diesem „Wunderwerk“ noch nie gut umgegangen? Zu Haydns Feier der Welterschaffung stellt der ehemalige künstlerische Leiter der Singakademie und Komponist Thomas Hennig Fragen nach unserer Verantwortung gegenüber der Schöpfung.

In den ausgewählten Texten von Voltaire und Kaiser Wilhelm II. wird vom vernichtenden Naturphänomen Erdbeben und von Kriegsaufruf gesprochen. Hennig hat eine rhythmisch kraftvolle Partitur erschaffen, die die Ausdrucksmaxima ausreizt. Das klang manchmal beängstigend und ist fröstelnd gut komponiert. Die Altistin Gundula Hintz sang engagiert ausdrucksstark und das Neue Kammerorchester unter der Leitung von Nils Jensen spielten griffig und präzise. Besonders die Elegie als berührende kammermusikalische  Klage wurde mit feinsten Schattierungen in der Tongebung musiziert.

Nach der Pause wurde der hymnische Lobpreis Haydns weitergeführt. Das Konzert war ein Abend der Schönheit und der Abgründe, der Hoffnung und der Zweifel. Die Besucher spendeten begeistert Applaus.

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