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Kultur: Psychodramen – in vitale Malstücke verwandelt

Achim Freyers Ausstellung in der Villa Kellermann

Achim Freyers Ausstellung in der Villa Kellermann Von Klaus Hammer Ende Februar wird die Villa Kellermann am Heiligen See öffentlich versteigert. In der Erwartung, dass der künftige Investor die Tradition dieses kulturgeschichtlich außergewöhnlichen Anwesens fortsetzt, präsentiert die Berliner Galerie Manfred Giesler in den drei Etagen des Hauses Gemälde und Zeichnungen des bekannten Regisseurs, Bühnen- und Kostümbildners wie Malers Achim Freyer. Lange Zeit hat sich der multimediale Künstler, seit 1976 Professor an der Hochschule für Künste in Berlin-Charlottenburg, mit seiner Malerei hinter dem Bühnenbildner und Regisseur verborgen gehalten. Wollte er seine geheimen Obsessionen, die Psychodramen des Ichs zunächst für sich behalten? Denn für Freyer bedeutet Malen zuallererst eine private, eine existenzielle Therapie. Sie bedeutet Rettung, Befreiung, Katharsis (innere Läuterung), die auch – so wollte er es dann – auf den Betrachter übergreifen soll. Seine Malerei ist ein Stück innerer Biographie. Alle Ängste, Depressionen, Aggressionen, Glücksgefühle und Hoffnungen sind in Zeichen, in bewusst gesetzten Gesten und irrationalen Gefühlsgebärden, verkürzt. Sie reichen vom Piktogramm über die Allegorie bis zum Symbol. Früher malte er halbabstrakte Bildanalogien zum Alltag, zur Warenwelt der Serienproduktion, gerasterte Felder und gereihte Schollen. Er projizierte seine Obsessionen der Entindividualisierung und Uniformität auf alle Lebensbereiche und bediente sich dabei der für diese Bereiche typischen Wiederholungsstrukturen, der Reihe, des Rasters und des Klischees. Diese traumatische Welt der Konformität wurde von Körperumrissen, Köpfen oder nur Rudimenten menschlicher Existenz durchbrochen, die um eine individuelle, humane Regung, um ihre Menschwerdung überhaupt zu kämpfen scheinen. Auch in den jetzt gezeigten, meist großformatigen Arbeiten der letzten vier Jahre haben wir es mit Abstraktionen von Flächen zu tun; Raum und Licht werden durch vertikale Linien, Streifen oder Bänder erzeugt. Durch dieses Gitter- und Rasterwerk schaut man wie durch ein Fenster auf eine zweite Bildebene, auf der sich eine polyphone Handlung aus Zeichen, Gesten, Gebärden und Farben abspielt. Chimärenhafte Figuren, in unablässiger Verwandlung begriffen, winken, geben Zeichen und entschwinden wieder. Aus der Beengung und Determiniation ihrer eigenen Körperkontur wollen sie heraus in die Freiheit der Bewegung und Gebärde. Oft sind es nur transparente Köpfe, die aneinander stoßen, die übereinander projiziert werden, Gesichter und Gesichte, entstellte Körperteile, die nach Realität und Totalität drängen. Es ist das geheime Tagebuch des Bilder-Träumers Achim Freyer (darauf deuten auch die Zahlen, die genaue Zeitangaben sind), das Universum eines Innenlebens, ein inszenierter Raum der Erinnerung oder Vorausschau, eine utopische Flucht- und Sehnsuchtslandschaft, eine Landschaft als Innenraum oder ein Interieur als zweite Natur, eine opulente Theaterbild-Sensation oder der Entwurf eines künftigen Stückes, die Partitur einer kommenden Inszenierung. Auf diesem Aktionsfeld kommen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ebenso wie Reales und Imaginäres zusammen. Das Zusammenspiel von Liniengeflechten und farbigem Grund, von labyrinthischen Wegen und aufgewühlten Flächen irritiert natürlich den Betrachter. Aber dieser soll ja die Malerei Freyers nicht kulinarisch genießen, sondern Fragen an die Bilder stellen, aufgefordert werden, die Welt starrer Ausrichtungen und präfabrizierter Norm zu durchbrechen, aber auch dort zu widersprechen, wo er es für nötig hält. Villa Kellermann, Mangerstr. 34, tägl. 14-20 Uhr, sonntags 12-20 Uhr, bis 5. Februar.

Klaus Hammer

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