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Bettina Riebesel hält Humor für überlebenswichtig. 

© Ottmar Winter

„Bartleby“ am Hans Otto Theater: „Ohne Humor kann man sich gleich einsargen“

Schauspielerin Bettina Riebesel über die Inszenierung von „Bartleby“ am Hans Otto Theater und ihre Ankunft in Potsdam

Von Helena Davenport

Potsdam - Endlich wieder heimatliche Gefilde. In Potsdam neu zu sein, fühle sich für sie eben gar nicht so neu an, sagt Bettina Riebesel trocken – um schmunzelnd gleich ihre Erklärung hinterherzuschieben: „Je älter man wird, desto mehr hängt man halt an seiner Heimat!“ Die Schauspielerin mit den auffälligen dunkelroten Locken wurde in Berlin geboren, wuchs dann in Halle an der Saale auf. Bevor sie im Herbst zum Start der neuen Spielzeit ans Hans Otto Theater kam, hat sie zwölf Jahre im Süden verbracht. Zuletzt war sie am Theater Konstanz engagiert, davor am Luzerner Theater. Jetzt ist sie ihrer Familie wieder näher, einige Familienmitglieder wohnen sogar direkt in Potsdam, und bis nach Halle ist es nicht weit – „In einer Stunde und fünfzehn Minuten bin ich da – das ist wirklich unschlagbar.“ Dabei hat sie lange gebraucht, eine Wohnung zu finden. Mehrere Monate lang kam sie deswegen in einem Holzhäuschen in der Alexandrowka unter – was auch irgendwie besonders war, erzählt sie lachend. Bei der morgigen Premiere von „Bartleby – Ich möchte lieber nicht“ tritt Riebesel als Ärztin auf, und als Chefin eines Bürogebäudes.

Die holländische Regisseurin Nina de la Parra hat sich die sonderbare Figur des Schreibgehilfen Bartleby von Herman Melville vorgenommen und ein Stück entworfen, das sich in mehrere kurze Geschichten gliedert. Die sechs Schauspieler waren von Anfang an bei der Konzeption involviert. Zunächst hätten sie die Novelle über den emsigen Anwaltsgehilfen, der ab einem gewissen Zeitpunkt aufhört, emsig zu sein, gemeinsam gelesen, erzählt Riebesel, und über persönliche Assoziationen gesprochen. „Ich möchte lieber nicht“, sagt der Protagonist irgendwann, und wiederholt seinen berühmten Satz immer dann, wenn er einen neuen Auftrag erhält. Sein Chef, der „ein bisschen christlich“ ist, wie Riebesel sagt, sorgt sich um ihn, schafft es aber nicht, ihn aus dem Büro heraus oder zu einer Tätigkeit zu bewegen. Bartleby verweigert sich komplett, am Ende auch der Nahrungsaufnahme, weswegen er schließlich im Gefängnis stirbt.

Wann sagt man schonmal "Nein"?

„Man muss heute immer funktionieren, Disziplin an den Tag legen“, sagt Riebesel, „die Figur Bartleby macht da Mut.“ Wann sie selbst zuletzt Nein gesagt habe? Leider sei ja öfter das Gegenteil der Fall, man wehre sich zu selten, antwortet Riebesel. Etwa bei Liebesbeziehungen, deren Scheitern man nicht wahrhaben wolle. Und gerade im Schauspielerberuf gebe es viele Möglichkeiten, gedemütigt zu werden. Wenn man gerade derjenige sei, der in den kritischen Fokus des Regisseurs geraten ist, wäre es interessant zu beobachten, wie die Kollegen darauf reagieren, sagt Riebesel mit ironischem Unterton. Sie mag den Humor – „Ohne Humor kann man sich gleich einsargen“ –, der auch bei Bartleby zu finden ist. Denn eigentlich wird er umsorgt, außerordentlich nett behandelt sogar. Warum er plötzlich keine Lust mehr hat, steht für sein Umfeld in den Sternen.

Marie-Therése Fischer, Bettina Riebesel, Alina Wolff, Jörg Dathe, Jonas Götzinger, Henning Strübbe.
Marie-Therése Fischer, Bettina Riebesel, Alina Wolff, Jörg Dathe, Jonas Götzinger, Henning Strübbe.

© Thomas M. Jauk/Stage Picture

Sechs ganz unterschiedliche Leben seien während der Probenphase aufeinander geprallt, erzählt Riebesel. So schnell und so intensiv hätten sich die Schauspieler ohne diese Proben untereinander wahrscheinlich nie kennengelernt, vermutet die 53-Jährige. Achtsamkeitstrainings standen auf dem Plan. Es wurde geübt, dem anderen seine Freiheit zu lassen, und gleichzeitig auf ihn zu reagieren. Und das kostete Zeit, „wertvolle Zeit, die man sich sonst vielleicht nicht nimmt“, findet Riebesel. „Es ist ein großes Geschenk, was uns die Regisseurin damit gemacht hat“, sagt sie. Das Stück befinde sich auch aktuell noch im Prozess. Sie könne sich vorstellen, dass das Charisma bei den Aufführungen immer unterschiedlich ausfällt.

Die zwanghafte Selbstverwirklichung

Bettina Riebesel nennt sich selbst einen disziplinierten Menschen: „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen – dieses bisschen DDR werde ich nicht los.“ Dabei komme es oft zu kurz, etwas für sich selbst zu tun, denn irgendwas gebe es schließlich immer, was erledigt werden muss. Da koste es Mut, auch einmal für sich selbst aus den eigenen Ressourcen zu schöpfen, sagt sie. Das Stück um Bartleby habe ihr deutlich gemacht, dass man manchmal etwas nachlassen kann, vielleicht sogar muss. Die zwanghafte Selbstverwirklichung – hip zu sein, die Welt zu kennen – da könne sie nicht mithalten. Riebesel hat kein Facebook – wohl aber „einen Mann, der helfen kann“, sagt sie scherzhaft. Auch Jörg Dathe ist seit Beginn der aktuellen Spielzeit Ensemblemitglied. Das sei natürlich ein Luxus, dass sie beide am selben Ort arbeiten dürfen, findet Riebesel. Ansonsten sei der Schauspielerberuf ja bekanntlich nicht besonders familienfreundlich. Gemeinsame Kinder hat das Paar keine, wobei Dathe einen Sohn aus einer früheren Beziehung hat, für den Riebesel zur zweiten Mutter geworden ist.

„Potsdam ist für uns ein kleines Paradies“, sagt Riebesel. Hier gewinne man etwas Zeit – durch die Größe der Stadt. Dass so viel Grün drumherum ist, gefalle ihr sehr. Und die Touristen, die sie aus Konstanz und Luzern schon kennt, stören sie nicht: „Im Gegenteil, erst sie machen aus Potsdam eine Weltstadt.“ Was die Stadt zu bieten hat, will Riebesel aber erst noch herausfinden. Durch die vielen Proben habe sie von den anderen Kulturinstitutionen in der Schiffbauergasse beispielsweise bis jetzt noch nicht viel gesehen. Aber sie wolle sich gar nicht beschweren, sagt sie: „Ich kann mir einen anderen Beruf gar nicht vorstellen. Man kann alles rauslassen, und braucht keinen Psychiater mehr.“ 

>>Die Premiere ist ausverkauft, nächste Vorstellung: 11. Mai, 19.30 Uhr, Reithalle, Schiffbauergasse, Karten ab 25,30 Euro

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