zum Hauptinhalt

Kultur: „Nicht mäkeln: Der hat uns im Stich gelassen“ Der Direktor des HBPG, Kurt Winkler, über die Ausstellung von Werken ostdeutscher Kunst des Sammlers Hasso Plattner

Herr Winkler, ab kommenden Dienstag zeigen Sie in Ihrem Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte die bisherige private Sammlung von Hasso Plattner zur Ostkunst. Ist da überhaupt ein kuratorisches Eingreifen möglich?

Herr Winkler, ab kommenden Dienstag zeigen Sie in Ihrem Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte die bisherige private Sammlung von Hasso Plattner zur Ostkunst. Ist da überhaupt ein kuratorisches Eingreifen möglich?

Es ist zunächst mal nicht ungewöhnlich, dass man bestimmte vorhandene Werkgruppen zeigt. In diesem Fall ist es eine aus einer Privatsammlung. Das klassisch Kuratorische wäre natürlich, eine Auswahl aus Kunstwerken zu treffen. Das entfällt in diesem Fall, weil es um einen genau definierten Bestand geht. Aber die kuratorische Arbeit endet da ja nicht. Man muss entscheiden, wie hängt und stellt man Werke in den Raum und welchen Zusammenhang bildet das Ganze, Der muss ja interpretiert werden.

Und wie interpretieren Sie die Werke?

Durch die Einführungstexte und Künstlerbiografien. Wir wollen das Publikum auf das einstimmen, was es sieht.

Was sieht es denn?

Insgesamt 28 Werke: von Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig, Werner Tübke, Willi Sitte, Erich Kissing, Ulrich Hachulla und Arno Rink. Und dann kommen noch ganz aktuell ein Selbstbildnis und ein „Sonnenblumen“-Bild von Klaus Fußmann und ein abstraktes Bild von Gerhard Richter dazu.

Klaus Fußmann stammt aus Westberlin, Gerhard Richter floh 1961 von Ost- nach nach Westberlin. Wie geht das zusammen mit einer Sammlung, die die Kunst aus dem Osten zeigen will?

Es ist ja keine Sammlung nur mit Bildern aus der DDR. Zwei Drittel der Werke sind ja nach der Wende entstanden.

Aber mit Künstlern, die im Osten sozialisiert sind.

Ja, aber interessant ist auch immer der Vergleich. Richter ist der international bekannteste überhaupt in dem Kreis. Fußmann ist auch ein bekannter und sehr guter Maler, auch wenn er mit der Kunst aus der DDR zunächst mal nichts zu tun hat. Sie sehen daran aber auch die Breite dieser Sammlung. Und dass sie programmatisch nicht so geschlossen ist, dass man sagen könnte: Das ist ostdeutsche Malerei.

Sind sie ein Störfaktor oder reihen sich die Bilder ein?

Für mich ist die Frage des Vergleichs und des Kontrastes immer spannend. Bei Fußmann haben wir das Motiv der Sonnenblumen, gemalt 1984. Und plötzlich wird es ganz interessant: ein Blumenbild von ihm mit einer Landschaft oder einem Interieur von Mattheuer zu vergleichen. Es ist ja nicht so, dass man als Sammler erst ein Konzept formuliert und dann alle Kunstwerke wie in eine Kommode hineinpackt, im Gegenteil. Diese Freiheit der Assoziation im wörtlichen Sinn, des gedanklichen und auch materiellen Zusammenführens von Kunst ist die Freiheit eines privaten Sammlers. Er muss sich nicht rechtfertigen vor Beiräten oder Haushaltsausschüssen. Und wenn eine Sammlung gut gemacht ist, kann sie etwas zusammenbringen, was scheinbar nicht zusammengehört, Spuren nachgehen. Private Sammler haben die Chance, auch ein bestimmtes Assoziationsfeld auszuschreiten. Und es gab ja die dauernde Situation der gegenseitigen Aufmerksamkeit der Künstler zwischen Westberlin und der DDR. In Westberlin hat sich ein Grundzug des Realismus durchaus erhalten, im Gegensatz zu vielen dominanten Tendenzen in der Bundesrepublik.

Dennoch: Wie charakterisieren Sie die Sammlung?

Solche Sammlungen haben immer einen inneren Zusammenhang. In dem Fall ist es so, dass Plattner noch nicht sehr lange auf diesem Gebiet der ostdeutschen Kunst sammelt. Nicht mal ein Jahr befasst er sich mit diesem speziellen Feld der ostdeutschen Kunst. Er besitzt eine wesentlich größere Sammlung klassischer Moderne. Aber mit dem, was wir hier zeigen, damit beschäftigt er sich erst relativ kurz.

Kann man eine Grundtendenz schon ablesen?

Durchaus. Ich fasse das mal so zusammen: Es gibt eine Orientierung an wesentlichen Künstlern, die das Kunstleben in der DDR geprägt haben, und darin eine bestimmte Konzentration auf die sogenannte Leipziger Schule. Die Hauptmeister sind Heisig, Mattheuer, Tübke und deren Schülergeneration Rink und Hachulla. Darin sieht man eine erste Kontinuität.

Gibt es noch eine weitere Konzentration?

Es ist genau die Kunst, die in einem ambivalenten Verhältnis zur offiziellen Staatsmacht stand. Einerseits haben diese Künstler Karrieren gemacht, die meisten hatten Professuren an Kunsthochschulen inne. Bei Willi Sitte geht das am weitesten, er war Präsident des Künstlerverbandes der DDR und stand dem Staatsapparat am nächsten.

Kann man von Staatskünstlern sprechen?

Den Begriff Staatskünstler würde ich unbedingt mit einem großen Fragezeichen versehen. Die Kunst der Maler, die wir hier sehen, gehorcht eigenen Gesetzen. Gerade diese Künstler haben sich bemüht, ihre Kunst in einer gewissen Ferne zum Staat zu halten und sich sozusagen in einem bestehenden autoritären Regime doch eine relative Freiheit erkämpft: für sich, aber auch für die Kollegen an Akademien und in Künstlerverbänden. Ich finde, der Begriff Staatskünstler wird der Sache nicht gerecht.

Die provokanten Bilder von Mattheuer fehlen.

Wie in der Literatur muss man auch in der Malerei zwischen den Zeilen lesen. Ein scheinbar harmloses Bild von Mattheuer wird eben im Kontext plötzlich zu einem politischen Bild, sei es im Sinne des sich Verweigerns gegenüber ideologischen Inhalten oder sei es in Hinweisen auf die Umweltproblematik. Das ist das Charakteristikum: Die Dinge sind eben ambivalent und von unterschiedlichen Positionen werden sie unterschiedlich bewertet. Das ist auch die größte Herausforderung, wenn man heute damit umgeht, weil das vom heutigen Publikum, denken Sie nur an die nach 1989 erwachsen Gewordenen, nicht mehr automatisch verstanden wird.

Es gibt Arbeiten von Mattheuer, wo er sehr offensichtlich in Konfrontation zum Staat geht, wie „Die Ausgezeichnete“ oder „Hinter den sieben Bergen“. Viel mehr als in seinen Landschaftsbildern, die Plattner gesammelt hat.

Von Mattheuer sind acht Landschaften und Interieurs zu sehen: scheinbar unpolische Genres. Interessant wird es dadurch, dass diese Malerei von den 60er Jahren bis in die 90er verfolgt wird, also über den Wechsel der politischen Systeme hinweg.

Sieht man da Veränderungen?

In manchen Dingen eben nicht. Aber auch das ist charakteristisch, weil es die Frage aufwirft, wie sehr sich ein Künstler gewissermaßen treu bleibt und wie abhängig oder unabhängig er von politischen Rahmenbedingungen ist. Bei Mattheuer speziell gibt es diese scheinbar intimen Gemälde und dann die Großskulptur „Der Jahrhundertschritt“, die ab September im Kutschstallhof zu sehen ist. Diese Arbeit ist geradezu eine der berühmtesten Skulpturen, die in der DDR überhaupt entstanden sind. Hochsymbolisch und politisch. Dadurch ergibt sich ein Spannungsfeld.

Von Bernhard Heisig gibt es wiederum nur Arbeiten, die nach der Wende entstanden sind.

Ja, sie gehören alle zum Spätwerk: Landschaften, das Architekturbild vom Potsdamer Marstall und zwei Bilder aus seiner Friedrich-Serie, in denen er sich mit deutscher Geschichte auseinandersetzt: eine dramatische Auseinandersetzung im Figürlichen.

Hatten Sie Gelegenheit, mit Plattner über seine Intentionen zu reden?

Nein.

Aber kann man so seine Ideen richtig umsetzen?

Wir interpretieren ja nicht den Sammler, wir machen Beobachtungen an den Werken. Ich würde die persönlichen Intentionen des Sammlers nicht definieren wollen, ganz davon abgesehen, dass diese Sammlung im Entstehen ist.

Wenn Sie Prophet wären, was würden Sie denken, wie sich die Sammlung weiter entwickelt könnte?

Ich kann nur sagen, welche Fragen sich mir gestellt haben. Wenn man die Kunstentwicklung der DDR nach der Abkehr von dem Dogmatismus der 50er Jahre ansieht, stellt man fest, dass sich bestimmte ältere Traditionen durchziehen. Traditionen, die sich am Anfang des 20. Jahrhunderts ausgeprägt haben und 1933 unterbrochen wurden. Es gibt bei den ostdeutschen Künstlern eine Weiterführung des Realismus und Expressionismus in der deutschen Moderne, Beckmann und Kokoschka sind solche Bezugspunkte.

Und was geschah im Westen?

Dort wurden diese Traditionen nach 1945 als beherrschende Elemente abgebrochen. Da orientierte man sich an den Franzosen und Amerikanern, am abstrakten Expressionismus, an Pop Art und Varianten der Konzeptkunst. Das klassische Gemälde geriet da schon per se in Verdacht, konservativ zu sein. Das heißt, man hat im Westen eine viel buntere, schillernde Ausrichtung als im Osten, aber als Kunsthistoriker fragt man sich, wo Traditionen weiterlaufen.

Und plötzlich sind diese Dinge zusammengeführt worden.

Ja, schon vor 1989 wurde man im Westen auf führende Meister der DDR aufmerksam und lud sie zur Documenta ein. Bestimmte Galeristen, bestimmte Sammler entdeckten, dass es einen Markt für diese Kunst gibt. Heute im Rückblick erscheint die deutsche Teilung wie eine Episode, als ein vorübergehender Zustand.

Ein Zustand, der noch immer zu großen Diskussionen führt.

Ja, nach wie vor gibt es einen großen Streit, ob die DDR-Kunst eine marginale Position ist, die unter Sonderbedingungen entstand. Ich glaube das nicht. Auch diese Sammlung von Plattner impliziert: Sie war keine Episode, sie ist ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts. Das ist der Leitgedanke, der dieser Sammlung zugrunde liegt. Und ich teile diese Auffassung.

Können Sie das ein bisschen konkreter beschreiben?

Die Sammlung kann spiegeln, was von der Kunst Ostdeutschlands bleibt. Sie könnte auch zeigen, dass es neben den bekannten Meistern auch Künstler gab, die vor 1989 ausgereist sind, mehr oder weniger freiwillig. Es gibt eine verlorene Generation, die eben nicht an den Hochschulen lehren konnte. Aber noch mal: Ich bin nicht der Sammler.

Sie haben jetzt die Aufgabe, diese Ausstellung  in kürzester Zeit zu präsentieren. Passt die Ausstellung in das Konzept Ihres Hauses?

Zuallererst macht das Spaß, diese Schau in so kurzer Zeit auf die Beine zu stellen. Zum Konzept: Trotz seines historischen Namens beschäftigt sich das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in fast der Hälfte seiner Aktivitäten mit Zeitgeschichte, und dazu gehört auch die DDR und Post-DDR. Zudem sind wir in Potsdam angesiedelt. Die Potsdamer Belange sind also auch die Belange des HBPG. In einer aktuellen Diskussion wie um die Kunsthalle war ganz klar, dass wir die Anregung von Hasso Plattner und des Oberbürgermeisters gern aufgegriffen haben, diese Ausstellung zu zeigen. Sie dient zur Versachlichung. Die Wogen gingen ja sehr hoch, in dieser Kunsthallendiskussion. Und jetzt gibt es mal Gelegenheit, auf die Kunstwerke selbst zu schauen.

Es ist ja doch immer noch sehr viel Wut im Spiel, viele fühlen sich verprellt. Wie wirkt sich das aus? Ist für Sie die Diskussion abgeschlossen?

Es ist ja eine sehr komplexe Diskussion. Und ich finde, dass es darin keine Verlierer gibt. Die Stadt und die Bürger sind die großen Gewinner, denn Herr Plattner errichtet seine Kunsthalle zwar nicht im Zentrum, aber doch in Potsdam. Nicht irgendwo anders auf der Welt. Natürlich gibt es verständliche Enttäuschungen, aber es ist doch eine Gabe, die sich abzeichnet. Üblicherweise stellt ein Sammler seine Sammlung nur zu Verfügung, wenn die Stadt das Museum errichtet und unterhält. Und das bringt öffentliche Träger in ganz große Probleme. Anders bei Hasso Plattner, der Bau und Betrieb als mäzenatische Geste ankündigt. Deshalb sollte man jetzt die Kirche im Dorf lassen und die Kunsthalle, die nun am Jungfernsee entsteht, als großartige Bereicherung betrachten.

Auch Sie haben sich die Halle aber in der Stadt gewünscht.

Natürlich. Als Direktor des HBPG hatte ich die tolle Vision, dass hier noch ein weiterer Anziehungspunkt das ganze Quartier am Neuen Markt als Kulturquartier hervorhebt. Aber so muss man auch selbstkritisch sagen, es gab einen Moment lang die Illusion, ein Mäzen würde ein Problem lösen, das definitiv nicht sein Problem ist, die Frage der städtebaulichen Zukunft des Mercure muss von der Stadt und ihrer Bürgerschaft verhandelt werden. Mancher hätte sich zwar gewünscht, dass Herr Plattner den gordischen Knoten in der hitzigen Diskussion um den Abriss des „Mercure“ durchschlägt und die Rettung von außen naht. Nun ist die Stadt wieder auf sich selbst zurückgeworfen worden.

Aber durch Plattner ist die Diskussion mal für einen Moment zugespitzt worden.

Ja, die entscheidenden Fragen sind erneut aufgeworfen: Was erwartet man eigentlich in Potsdams Mitte? Will man die historisierende Rekonstruktion immer weitertreiben? Wo findet sie ihr Ende? Und in welchem Verhältnis steht die Rekonstruktion zur zeitgemäßen Architektur? Welche Reaktionen hätte es gegeben, wenn ein Chipperfield oder Libeskind ein Stück Avantgarde-Architektur hier hergesetzt hätte? Und was hindert die Bürgerschaft von Potsdam eigentlich daran, selbst eine Kunsthalle zu gründen und die Unterstützung der Kommune politisch einzufordern? Auch die Kunsthallen in Hamburg oder Bremen sind bürgerliche Gründungen. Man soll diese Ausstellung und die entstehende Kunsthalle von Hasso Plattner mit Freude und Neugierde annehmen und nicht mäkeln, „der hat uns im Stich gelassen“. Das ist unsinnig. Das ist eine Erwartung, die man an Politiker haben könnte, aber nicht an einen Mäzen.

Das Gespräch führte Heidi Jäger

Die Ausstellung „Einblick und Ausblick. Werke aus der Sammlung Prof. Dr. Hasso Plattner“ ist ab Dienstag, 24. Juli im HBPG, Am Neuen Markt 9, zu sehen

Kurt Winkler, geboren 1956 in Kelheim bei Würzburg, war amtierender Generaldirektor der Stiftung Stadtmuseum Berlin. Seit 2008 ist er Direktor des HBPG. Er ist verheiratet, hat eine Tochter.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false