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Kultur: Natur und Mensch zeigen sich die Zähne

Chantal Jaeger und Beret Hamann zeigen im Künstler- und Gründerzentrum Seestraße ihre sehr gegensätzlichen Bilder

Chantal Jaeger und Beret Hamann zeigen im Künstler- und Gründerzentrum Seestraße ihre sehr gegensätzlichen Bilder Es muss alles sehr schnell gegangen sein für die junge Schweizer Künstlerin Chantal Jaeger, die vom Kanton Graubünden für den Künstleraustausch mit Potsdam vorgeschlagen wurde. Mit 16 Jahren die Kunstschule absolviert, dann zwei Jahre Akademie, schließlich die Begegnung mit dem bekannten Galeristen Vonlanthen in Chur, dem ihre Werke sehr zusagten, dass er ihnen eine Ausstellung gab, und nun ihr erstes Auslandsstipendium, mit 23 Jahren. „Eigentlich bin ich gar nicht hier“, sagt sie und beschreibt damit wohl ihren Eindruck, dass ihre Karriere mit großen Schritten voran eilt, so schnell, dass sie gar nicht richtig hinterher kommt. Die Bilder, die bis 11. September im sandbestreuten Ausstellungspavillon des Künstler- und Gründerzentrum in der Seestraße unter dem Titel „TRAUM – zwischen – ZEIT“ zu sehen sind, bezeugen diesen Zustand der positiven Reizüberflutung, der Rastlosigkeit und Suche. Wenn sie die Arbeiten, die während ihres zweimonatigen Aufenthalts inmitten der Künstlerkolonie am Heiligen See entstanden sind, erklären sollte, so bräuchte sie wohl eine ganze Woche, sagt sie. „Sie sind die Quintessenz all dessen, was mir durch den Kopf schwebt.“ Das, so sieht man, sind animalisch geprägte Verstörungen. Mit Buntstift rasch gezeichnete Gesichter, denen Hörner und Affenschnauzen aufgesetzt wurden, dazwischen und daneben hängen Tierfiguren aus Plastik, ein Fuchs, ein Mandrill, ein Gürteltier, von denen Linien zu anderen im Raum hängenden Gesichtern führen. Ein Zebra, das auf den Hals einer Giraffe gesetzt wurde, der Faden führt zu einem Porträt mit dem Titel Crash. In Jaegers an die Bildsprache der Comics angelehnten Zeichnungen zeigen sich Natur und Mensch gegenseitig die Zähne. So wie der Lemming, der den Betrachter drohend anbleckt. Angesichts seiner Reproduktionsfähigkeit, angedeutet durch kleine, dekorative Unendlichkeitsschleifen, scheint er dem Menschen bitter überlegen. Tiersein und Menschsein steht bei Jaeger im Kontrast, der zu verschwimmen beginnt, die Figuren sind außerhalb der Zeichnungen, und doch wirken sie hinein. „The fox as a sign, der Fuchs als Zeichen muss mitgedacht werden. Diese Spannung in der Bilderwelt von Chantal Jaeger setzt sich bis hin zu ihren pointilistischen Buntstiftstricheleien mit dem Titel „Blumenteich“ fort. Auch hier ein Getriebensein und stetiges Vorwärtsstreben, dem zügellose Kreativität und Ausdruckskraft attestiert werden kann, aber auch der Wunsch mitgegeben werden sollte, bald einen Ruhepunkt auszumachen. Diesen kann die Potsdamerin Beret Hamann mit ihren großformatigen Pflanzenbildern bieten. Der Umstand, dass Hamann vor zwei Jahren die erste Potsdamer Stipendiatin in Graubünden war, und in der Seestraße vielleicht auch als Mentorin fungierte, verbindet die beiden Künstlerinnen zusätzlich. Hamanns Arbeiten scheinen ideal, um als statisch wirkender Gegenpol zu den erregenden Wirrnissen der jungen Schweizer Kollegin zu dienen. Sie beschäftigt sich schon seit längerem mit pflanzlichen Motiven. Die hier gezeigten sind neu und Teil eines Projektes, um den Staudenhof in der Innenstadt wieder mehr in die Öffentlichkeit zu rücken. Anfang September werden diese Bilder von den Fenstern der Stadt- und Landesbibliothek leuchten. Beret Hamann setzt sich mit der, wie sie empfindet, „irren Formensprache“ der Flora auseinander. Blütenkelche werden vergrößert und von Details befreit, der Stängel teilt die Leinwand in ihrer gesamten Länge. Hamann nimmt den Pflänzlein das Leichte und Wogende und malt es so starr, als ob es sich um Stein handele. Sie führt damit Vergängliches in die Ewigkeit. Eine Farbe setzt dabei den bestimmten, intensiven Grundton. In Hamanns Pflanzenreich herrscht der lange, genaue Blick, die abstrahierte Form, die zur Herrlichkeit führt. Unbewegt, aber nicht unbewegend. Matthias Hassenpflug Zu sehen bis zum 11. September, Fr - So, 15 bis 19 Uhr zu sehen.

Matthias Hassenpflug

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