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Kultur: Mehr Butter bei die Fische

Hellgetönt und detailverliebt: Das 3. Sinfoniekonzert mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt im Nikolaisaal

Hellgetönt und detailverliebt: Das 3. Sinfoniekonzert mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt im Nikolaisaal Von Peter Buske Zunächst küsst ihn die Muse, dann fliegt ihm eine Idee zu, die allmählich schärfere Konturen annimmt. Dem Schöpfungsakt folgt eine Gesangsszene, ein kleineres Orchesterstück oder Ähnliches. Sich durch solche Vorstudien stufenweise an ein Opernsujet heranzuarbeiten, gehört zu den Schaffensprinzipien von Siegfried Matthus (geb. 1934). „Holofernes“-Monologen (für Bariton Dietrich Fischer-Dieskau geschrieben) folgte wenig später die Oper „Judith“ (Komische Oper Berlin); einer Sopran-„Szene im Park“ der „Graf Mirabeau“ (Deutsche Staatsoper); der fürs Staatsorchester Frankfurt (Oder) komponierten Orchesterfantasie „Das Land Phantasien“ die gleichnamige Oper nach Michael Ende bekanntem Roman „Die unendliche Geschichte“. Ähnlich verhält es sich auch mit dem „Ariadne“-Dithyrambos für Bariton und Orchester, einer Zwischenstation auf dem Weg zu einem Matthus“schen Musikdrama, das vom tragischen Verhältnis des Philosophen Friedrich Nietzsche zu Cosima (gleich Ariadne) und Richard Wagner erzählen wird. Diese originelle Opernkeimzelle bringt das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt unter Leitung von Heribert Beissel beim 3. Sinfoniekonzert im Nikolaisaal in Anwesenheit des Komponisten zum Erklingen. Der ergreifende Nietzsche-Monolog geht auf Verse des dem Wahnsinn nahen Philosophen zurück. „Wer weiß außer mir, was Ariadne ist?“, beginnt der Titelheld seine ergreifenden Schmerzensausbrüche, nachdem gleisnerische Glissandi von Kontrabässen und Celli den Boden dafür bereitet haben. Es sind, wie stets bei Matthus, durchweg sangbare melodische Linien und Bögen, die er dem Solisten in die Kehle gelegt hat. Aris Argiris versenkt sich mit dem metallischen Schmelz seines Charakterbaritons eindrucksvoll in den Seelenaufruhr. Seine Stimme hat gestalterischen Biss und Durchschlagskraft. Deklamatorisch klagt er von nächtlichen Liebesqualen, unterstützt vom apart instrumentierten Orchester. Lyrisch bittend, ja fast flehentlich trägt er das „O komm zurück, mein unbekannter Gott!“ vor. Ein seelischer Notschrei, der vom Solovioloncello (Thomas Georgi) mit viel Ausdruck begleitet wird. Wie verloren wirkt der instrumentale Kommentar (angefangen vom kräftig-sonoren Bogenstrich bis zum schabenden bzw. kratzenden Streichgeräusch im Diskant) bei der Betrachtung „Nacht ist es“. So entsteht das packend-anrührende Porträt eines innerlich Zerrissenen. Der schließlichen Liebeserklärung an Ariadne / Cosima folgt attacca ein geradezu orgiastischer, schlagwerkreicher, rhythmisch vertrackter Tanz des Dionysos, der die Sinne in Wallung bringt. Auf dem Höhepunkt bricht er in sich zusammen. Wieder ertönt die klagend-jammernde Cellokantilene, dann bereiten Glockenschläge dem gleichsam mitternächtlichen Spuk ein besänftigendes Ende. Ein faszinierendes Opus. Es erhält mehr als nur freundlichen Zuhörerzuspruch. Auch die Wiedergabe der 3. Sinfonie F-Dur op. 90 von Johannes Brahms erfährt eine solche anerkennende Aufnahme. Doch warum bloß sitzen die Musiker so verbiestert auf dem Podium als gelte es eine Totenmesse zu zelebrieren? Warum nur gestatten sie sich keine Freundlichkeit, keine liebenswürdige Ausstrahlung von oben herab? Brahmsens Pastorale – und nicht nur sie – hätte davon profitieren können. Deren naturhafte Idylle breiten die Musiker hellgetönt und detailverliebt, serenadenlieblich und sehr transparenten Klanges aus. Dass er kaum aufblühen und sich schwelgerisch ausbreiten kann, liegt am dünnblütigen Streichersound, mit dem sich romantische Intentionen kaum glaubhaft gestalten lassen. Es hätte vollmundiger klingen können, wenn“s, wie der Norddeutsche gern sagt, „mehr Butter bei die Fische“ gegeben hätte. Dramatische Zuspitzungen finden fast immer ihre pastorale Entsprechung, pathetische Momente ihre Verwandlung in ruhige Betrachtungen. Eine gefällige, die Wonnen der Natur heiter auskostende Deutung. Von der hier erreichten gestalterischen Sicherheit lässt der Beginn des Abends mit Beethovens „Egmont“-Ouvertüre allerdings noch wenig verspüren. Bei der Ausbreitung akribisch geformter Einzelheiten in der langsamen Einleitung geht den Musikern leider der Blick für das Ganze verloren. Schlank und zupackend zeigt sich der Allegro-Mittelteil, vordergründig lärmend statt leidenschaftlich jubelnd das Prestofinale. Und so rast, ratzfatz, der „Einspieler“ seinem Finale entgegen.

Peter Buske

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