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Kultur: Märchen für Erwachsene

Fabuladrama erzählten Märchen von Perrault und Basile

Fabuladrama erzählten Märchen von Perrault und Basile Die Geschichte vom kleinen Rotkäppchen, das dem bösen Wolf im Wald begegnete, kennt vermutlich jeder. Die kaum verhüllte Moralgeschichte für kleine Mädchen, die bloß nicht auf fremde Männer hören sollten, gehört zum Standard in deutschen Wohnzimmern. Eigentlich aber kommt das Märchen aus Frankreich. Lange bevor die Brüder Grimm in der Romantik volkstümliche Märchen entdeckten, veröffentlichte der Franzose Charles Perrault 1697 die „Märchen meiner Mutter Gans“, die weltweite Verbreitung fanden. Fabuladrama erzählten im Rahmen des Internationalen Märchenkongresses in der Französischen Kirche Märchen für Erwachsene und begannen ganz überraschend mit Rotkäppchen. In der Übersetzung des Österreichers Moritz Hartmann aus dem 18. Jahrhundert klingt die vertraute Geschichte ganz modern. Rotkäppchen wird als vorlautes vergnügtes Mädchen gezeichnet, der man nicht abnehmen mag, dass sie nach dem Schrecken im Bauch des Wolfes gar nie mehr vom Pfade der Tugend abweichen wird. Was wie eine Neuinterpretation klingt ist die Übersetzung des Originaltextes. Die atmosphärische Schlichtheit der Französischen Kirche am Bassinplatz bot den beiden Frauen von Fabuladrama den adäquaten Rahmen für ihre Kunst, die ganz ohne Bühne, Requisiten oder technische Hilfsmittel auskommt. Auch ein Buch brauchen Sabine Kolbe und Suse Weiße nicht, denn sie sind Erzählerinnen. Als wären sie geschwätzige Nachbarinnen der Märchenfiguren berichten sie aufgebracht von den unglaublichen Ereignissen, die ihnen nicht selbst passiert sind, sondern von denen sie hörten. Beeindruckend, wie die pralle Welt der zauberhaften Märchen vor den Augen der Zuhörenden entsteht, einzig durch Gestik, Mimik und Stimme der Erzählerinnen. Alle Frauen von Fabuladrama haben eine Ausbildung für Theaterpädagogik an der Universität der Künste gemacht. In den Klassen von Kristin Wardetzky studierten sie szenische Formen des gemeinsamen Erzählens von Märchen, eine Kunst, die ganz im Gegensatz zum Einschlafvorleseduktus steht. Ganz und gar nicht behäbig, sondern aufregend und spannungsgeladen klingen in den Darbietungen von Fabuladrama die alten Stoffe, deren Eigenwilligkeit um so mehr zur Geltung kommt. Krankheitsbedingt waren nur zwei Erzählerinnen anwesend, und so musste das Programm etwas geändert werden. Auf diese Weise kam das Publikum noch in den Genuss von drei derben Geschichten aus dem „Pentamerone“ des Giambattista Basile. Auch diese, im europäischen Kulturraum erste, umfassende Märchensammlung, die 1634 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, lässt die Anleihen erkennen, die später in der Sammlung der Brüder Grimm wieder auftauchen. Wie Perrault war Basile ein Hofmann und unterlegt seinen Geschichten so manche Spitze gegen königlichen Hochmut und royale Dummheit. Sabine Kolbe und Suse Weiße erzählten abwechselnd von der aufregenden Liebesgeschichte der Rosella, in der nur Frauen zaubern können, von der Naivität Peruontos, die ihn, ohne dass er es selber zu merken scheint, reich, schön und glücklich macht und von der Gans, die Geld statt Fäkalien hinterlässt, das aber nur bei ihrer geliebten Herrin. Die erotischen Metaphern, die in allen Geschichten des Italieners vorkommen, machten die Erwachsenen schmunzelnd. Die Kinder konnten diese Hintergründigkeit überhören und hatten genauso viel Spaß am theatralischen Erzählen. Manch einer der anwesenden Eltern wird Inspirationen für die eigenen Vorlesekünste gesammelt haben, denn besonders Kinder, doch nicht nur die, können nicht genug bekommen vom Geschichtenerzählen. Sie ahnen, was schon Basile feststellte: „Das größte Glück des Menschen ist das Anhören schöner Erzählungen; denn indem man seine Aufmerksamkeit angenehmen Dingen zuwendet, verfliegt der Kummer, werden die lästigen Gedanken verbannt und das Leben verlängert."Helen Thein

Helen Thein

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