zum Hauptinhalt
„White Sleep“ von der japanischen Künstlerin Leiko Ikemura im Skulpturenpark der Villa Jacobs.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Leiko Ikemura in Potsdam: Lob der Stille im Park der Villa Jacobs

Zwischen Märchen und Alptraum: Sechs Werke der japanischen Künstlerin ergänzen bis Ende Oktober den Skulpturenpfad in Lennés Garten am Jungfernsee.

Im Jahr 2011 fand ein neues Motiv Eingang in die künstlerische Welt von Leiko Ikemura. Der Hase. Es war das Jahr, in dem ein Seebeben für die Nuklearkatastrophe von Fukushima sorgte. Zehntausende kamen in dem Tsunami ums Leben, Hunderttausende mussten evakuiert werden. Luft, Böden, Wasser wurden kontaminiert. Dass die im japanischen Tsu geborene, seit Jahrzehnten in Europa lebende Ikemura angesichts all dessen auf den Hasen kam, ist kein Zufall. Der Hase bringt in japanischer Tradition Glück. Und Fruchtbarkeit.

Über drei Meter hoch ist Ikemuras häsische Schutzgöttin, die seit neuestem über den Potsdamer Jungfernsee wacht. Der Blick der Bronze geht über das Wasser, bis zum Schloss Glienicke auf Berliner Seite. Über Landes- und Zeitgrenzen hinweg, vorbei auch an einem ehemaligen Wachturm der DDR-Grenzsoldaten. Der bodenlange Rock bildet ein Zelt. Einen Tempel? „Usagi Kannon“ heißt die Skulptur. „Schutzgöttin“. Die langen Ohren weisen in den Himmel, die pfotenartigen Hände sind vor der Brust verschränkt. Das Gesicht wirkt kindlich. Auf den Wangen allerdings: Tränen.

„Usagi Kannon“ heißt die über drei Meter hohe Skulptur von Leiko Ikemura. Eine Mischung aus Mädchen, Madonna und Hase.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

„Lob der Stille“ hat die Künstlerin die Ausstellung genannt, die sie gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Eva Morawietz für den Park von Peter Joseph Lenné entworfenen hat. Sechs Skulpturen ergänzen bis Ende Oktober die zwanzig Plastiken, die den Park der Villa Jacobs ohnehin schon bevölkern. Von Gedränge aber keine Spur: Auf den insgesamt acht Hektar ist genug Platz für alle. Für den „Franzosen“ von A.R. Penck, für Alexander Polzins bombastische „Fragments of Pound“, die im letzten Sommer hier Einzug hielten. Für Werke des Hausherren Stefan Ludes ebenso wie für einen Bundesadler von Markus Lüpertz. Und auch für den Roten Stern von Unbekannt, der seit den 1950er Jahren über dem Tor der Kaserne prangte, die sich damals auf dem Gelände befand.

Halb Märchen, halb Alptraum

Heute ist hier keine Kaserne zu erleben, sondern Italienurlaub im Miniformat. Seit knapp zwanzig Jahren gehört das Gelände dem Ehepaar Ludes. Es richtete den in Kleingartenparzellen verwandelten Lennéschen Garten wieder her und baute die Villa von Ludwig Persius wieder auf. Dort wohnt das Ehepaar Ludes jetzt. Er macht Kunst, sie schreibt Bücher. Und ein paar Mal im Jahr lassen sie Gäste in ihr Arkadien am Hang: zum Weinfest oder zu einer Lesung im Rahmen des Literaturfestivals Lit:Potsdam. Ab 14. Mai bis Ende Oktober nun auch jeden Sonntag. Von Martina Gedeck kann man sich dabei an die Hand nehmen lassen: Sie hat einen Audioguide für den Skulpturenpfad eingesprochen.

„Memento Mori I“ stellt eine liegende Mädchengestalt dar. In ihrem Kopf klafft ein großes Loch.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

So ambivalent wie die häsische Göttin, halb Märchen, halb Alptraum, sind auch die anderen Werke von Leiko Ikemura, die den Park der Villa Jacobs bevölkern. Eine Mädchengestalt, wieder mit verschränkten Armen: auf den Schultern allerdings kein Kopf, sondern ein Loch, durch das man in die hohle Skulptur sehen kann wie in einen Schlund. Am Schlund sitzen Vögel. An anderer Stelle liegt eine mädchenhafte Figur bäuchlings auf sandigem Boden. Auf dem Rücken klafft eine Wunde. Oder wachsen dort Flügel? Am Hinterkopf wieder ein riesiges Loch. Gewalt und Zärtlichkeit, Niedlichkeit und Monstrosität, Schlaf und Tod, aber auch die Möglichkeit von Neubeginn oder Auferstehung: All das fließt hier ineinander.

Ähnlich wie schon im Fall von Alexander Polzin holt sich das Ehepaar Ludes mit Leiko Ikemura gewissermaßen den Unfrieden nach Arkadien. Von Ferne sehen viele der Skulpturen idyllisch aus, näher betrachtet bestürzen sie oft durch Brutalität oder Trauer. Insofern ist dieser Pfad über dem Jungfernsee natürlich ein Lob der Stille, zumal er deutlich immer wieder zu Einkehr und Besinnung aufruft, zum Erkunden der großen Leere, die Ikemuras als Hohlkörper gestalteten Skulpturen ausmachen. Nur: Genau da, in dem Raum, der die Vorstellungskraft aufmacht, setzt Ikemura auch viel Platz für tosende Gefühle frei.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false