zum Hauptinhalt

© Andreas Klaer

„Jüdische Ossis“: Szenische Lesung zu Juden in der DDR

Ein Mini-Festival am Hans Otto Theater stellt sich der Vergangenheit – und unbequemen Fragen anhand der Biografie eines ehemaligen Intendanten.

Von Alicia Rust

Wie nähert man sich einer Persönlichkeit, deren Vielschichtigkeit fast noch mehr Fragen aufwirft, als Antworten zu liefern? Alfred Dreifuß – ehemaliger Intendant des heutigen Hans Otto Theaters – wird innerhalb einer szenischen Lesung für einen flüchtigen Moment wieder lebendig. Das Material zu der spannenden Textcollage stammt aus der Feder von Literaturwissenschaftlerin Bettina Leder, die sich im Anschluss an die Lesung, neben ihrer Tochter, Publizistin Stella Leder, geduldig den vielen Fragen eines interessierten Publikums stellte. Mit der Leseperformance „Religion: Dissident“ am Samstagabend gelang ein fulminanter Auftakt des zweitägigen Mini-Festivals mit dem bewusst provokanten Titel „Jüdische Ossis“.

Eindringlich vorgetragen von den vier Schauspielern Guido Lambrecht, Bettina Riebesel, Jan Uplegger und Katja Zinsmeister, ging es in einem fiktiven Verhör zunächst hoch her. Dreifuß, wird nach seiner Zeit im Exil befragt, nach seinen Beweggründen, wieder nach Deutschland zurück zu kehren, nach seiner politischen Gesinnung.

Immer wieder diskriminiert

„Ich wollte beim Aufbau eines neuen Deutschlands mitwirken“, sagte Dreifuß als Begründung. Damit teilte er das Schicksal vieler Juden, die nach der Shoah als begeisterte Kommunisten den sowjetischen Sektor des Landes als neue Heimat wählten. Und dort – aller Hoffnungen zum Trotze – erneut diskriminiert wurden.  

Stationen aus dem Leben von Dreifuß werden mal in der Ich- Form vorgetragen, mal werden sie aus dem Off kommentiert. Unterdessen ist im Hintergrund das Konterfei vom echten Alfred Dreifuß zu sehen, der freundlich den zahlreich erschienenen Besuchern in der proppenvollen Reithalle des Hans Otto Theaters entgegen blickt. Ein Bild aus dem Sommer 1946 in Shanghai, wo Dreifuß als einer von rund 20.000 deutschen Juden im Exil lebte und somit den Holocaust überstand.

Was würde er wohl heute denken, wenn er das rege Interesse an seiner Geschichte erleben würde? Wenn er nach seinen Erfahrungen als Jude in der DDR befragt würde oder nach dem Grund, weshalb er, der selber zum Opfer einer Denunziation wurde, später Menschen im Auftrag der Stasi bespitzelte?

Ein Leben für die Kultur

„Religion: Dissident“, macht den begeisterten Theatermann und Kulturschaffenden sichtbar, den glühenden Kommunisten und nicht zuletzt den Juden Dreifuß – der bewusst nicht dem jüdischen Glauben angehören wollte. Spätestens hier wird deutlich, dass ein Schwarz-weiß Denken nicht angebracht ist. Nicht, aufgrund der vielen Brüche der Biografie, eines im Jahr 1902 in Stuttgart geborenen Juden, dessen Angehörige im Holocaust ermordet wurden. Nicht aufgrund einer komplexen Persönlichkeit, die mit vielen Begabungen gesegnet war, aber auch durch Ängste geprägt. Und schon gar nicht, um in eine Kategorisierung von gut oder böse, Täter oder Opfer eingeordnet zu werden.

Zum Abschluss der rund zweistündigen Veranstaltung – inklusive Publikumsdiskussion - trug Ministerin Manja Schüle ein bewegendes Grußwort vor. Der Antifaschismus als Gründungsmythos der DDR habe dazu geführt, dass es keine richtige Auseinandersetzung mit dem Thema „Antisemitismus innerhalb der DDR“ gegeben habe, sagte die 1976 in Frankfurt an der Oder geborene Politikerin. Wie stark der Faschismus in der DDR gewesen sei, erfahre man erst jetzt – rund 34 Jahre nach der Wende, nach und nach.

Aber gab es tatsächlich „Jüdische Ossis“? Große Namen wie Anna Seghers, Stefan Heym, Stephan Hermlin, Jurek Becker oder Hanns Eisler machen deutlich, dass es durchaus „Ossis“ jüdischer Herkunft gab. In erster Linie waren sie aber überzeugte Kommunisten. Dass sie auch Juden waren, habe man zu DDR-Zeiten nicht groß thematisiert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false