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„Nichts Neues“? Seit 11.2. lässt sich in Potsdam der lakonische Humor und die frappierende Aktualität von Ruth Wolf-Rehfeldt im Minsk Kunsthaus neu entdecken.

© RUTH WOLF-REHFELDT

Immer den Fragezeichen nach: Ruth Wolf-Rehfeldt im Minsk

Seit 1989 schafft die Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt keine neue Werke mehr. Warum wirken ihre Arbeiten aktueller denn je? Eine Retrospektive in Potsdam gibt Antworten.

Als das Museum Barberini 2017 Kunst aus der DDR zeigte, von Willi Sitte über Hans-Hendrik Grimmling bis Evelyn Richter, da gab es eine, deren Stille sich glasklar und kühl, aber bestens vernehmbar hinwegsetzte über die Farbgewalt, erzählerische Lust oder pure Wut aller anderen. Ruth Wolf-Rehfeldt. Die anderen füllten ganze Wände aus, sie nur ein paar Vitrinen im Raum „Formexperimente“. Ein paar Schreibmaschinenblätter waren das, mehr nicht. Mehr nicht?

Heldin der Schreibmaschinenkunst.
Heldin der Schreibmaschinenkunst.

© Andreas Klaer

2017 hatte der späte Triumph der Ruth Wolf-Rehfeldt gerade erst begonnen. Die Künstlerin, geboren 1932 im sächsischen Wurzen, ist soeben 91 geworden. Aber auch wenn sie über ihre Mail Art mit der Welt seit den 1970er Jahren verbunden war: Ihren Durchbruch im internationalen Kunstbetrieb hatte Wolf-Rehfeldt als über 80-Jährige. 2016 waren bei der Art Basel ihre Arbeiten zu sehen, 2017 auch auf der Documenta 14. Und in Kopenhagen, Genf, Oslo, Tirana.

Käfigwesen, die sich gegen Zuschreibung sträuben

Auch in Berlin natürlich. Im Ostteil der Stadt lebt die Künstlerin seit Jahrzehnten. 2022 hat sie den Hannah-Höch-Preis erhalten, vor wenigen Tagen ist die begleitende Schau im Berliner Kupferstichkabinett zu Ende gegangen. Und schon geht die nächste, ungleich umfangreichere los: in Potsdam. Im Minsk diesmal, dem von Hasso Plattner wiederaufgebauten Gebäude aus DDR-Zeiten.

Direktorin Paola Malavassi, die gemeinsam mit Marie Gerbaulet kuratiert hat, schenkt Ruth Wolf-Rehfeldt nicht nur eine Retrospektive mit über 200 Werken, sondern bekennt sich dauerhaft zu ihr: An der Außenwand des Minsk ist zur Wiedereröffnung des ehemaligen Terrassenrestaurants 2022 eine großflächige Arbeit aus Keramikfliesen realisiert worden. Wolf-Rehfeldt hatte sie 1989 für eine Kita entworfen, aber umgesetzt worden war sie nie. Der Titel: „Cagy Beings 3“.

Drinnen begegnet man den Käfigwesen wieder. Als grafische Arbeit auf Papier. Ein geometrisches Wesen aus Satzzeichen, Sonderzeichen und Buchstaben, das sich gegen genaue Zuordnung sträubt - ebenso wie die fünf Figuren draußen. Wer genau hinschaut, entdeckt die „Cagy Beings“ auch anderswo: in der Formation der Vitrinen, in denen die „Typewritings“ ausliegen. Jene feinen, vielschichtigen Gebilde, die Ruth Wolf-Rehfeldt in ihre Schreibmaschine „Erika“ hackte. Die „Käfigwesen“, das sind hier die Werke selbst.

Ein Fragezeichen, das ausruft. Die Ausstellung „Nichts Neues“ zu Ruth Wolf-Rehfeldt im Minsk.
Ein Fragezeichen, das ausruft. Die Ausstellung „Nichts Neues“ zu Ruth Wolf-Rehfeldt im Minsk.

© RUTH WOLF-REHFELDT

Was nistet da, Ermutigung oder Verzweiflung?

Wie 2017 im Barberini auch hier zu sehen: das Typewriting „We shall overcome“. Auf dem Blatt ergibt die dutzendfach wiederholte Zeile des Protestsongs den Buchstaben V. Victory? Wenn’s doch so leicht wäre: Zwischen „some“ und „day“ reißt ein Abgrund auf. Was nistet da, Ermutigung oder Verzweiflung? Betrachtungsfrage. Wie immer bei Wolf-Rehfeldt. Sie arbeitet mit Worten, verbraucht sie aber nicht für Antworten. Ihre Kunst ist messerscharfes Fragezeichen. Sogar dort, wo das Satzzeichen selbst nicht verwendet wird.

„Nichts Neues“ heißt die Potsdamer Schau, die in enger Zusammenarbeit mit Wolf-Rehfeldt entstanden ist. Sie folgt der Spur der Fragezeichen, in drei Kapiteln. „Ob die Natur sich nicht übernahm, als sie sich den Menschen leistete?“ heißt eins. Im gleichnamigen Typewriting ist das Fragezeichen zur vierdimensionalen Form auf Papier geworden. Oben steht der ganze Satz, ein selbstbewusster Block. Unten nur noch bedenklich tröpfelnde Buchstaben: „Natur mal“. Auf einem anderen Blatt schlängeln sich fünf Worte übers Papier: „Peace is a complex process“. Entstanden ist das in den späten 1970er Jahren. Es wirkt wie für den Winter 2023 geschaffen.

„Nichts Neues“: Die etwas frotzelnde Lakonie ist bei Wolf-Rehfeldt selbst geborgt. Als sie 2018 gefragt wurde, ob sie nicht mal etwas Neues schaffen wollte, entstand ein Stempel, mit jener Message. Der Titel spielt auch auf den frappierendsten Aspekt dieser so aktuell wirkenden Arbeiten an: Seit 1990 ist tatsächlich nichts Neues mehr entstanden. Mit dem Fall der Mauer war für Ruth Wolf-Rehfeldt auch das Bedürfnis, Kunst zu machen zu Ende. In einem ihrer seltenen Interviews kommentierte sie sinngemäß: Sie habe eben nichts Neues mehr zu sagen.

Was vielleicht sogar stimmen mag. Ruth Wolf-Rehfeldt hat in den knapp zwanzig Jahren ihres Schaffens in der DDR die großen, ewigen Themen künstlerisch so verdichtet, dass mehr Essenz kaum möglich ist. Das Ringen um Frieden im Krieg, um Richtig und Falsch, um die Natur und deren Schutz, und die Frage an jeden Einzelnen, wie er oder sie sich angesichts der Fragilität der Welt zu dieser Welt verhält: All dem ist man hier ausgesetzt. Je länger man auf die kleinen Blätter schaut, desto gnadenloser, grundsätzlicher. Dass diese Ausstellung „nichts Neues“ zeigt, stimmt also. Aber es liegt nicht an der Kunst Wolf-Rehfeldts. Sondern daran, dass die Welt in all ihrer Widersprüchlichkeit unverkennbar die alte ist.

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