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Szene aus dem Film "Jaskólka" von Bartosz Warwas.

© Polnisches Institut Berlin

Filmfestival "Sehsüchte" in Potsdam: Familienbande

Prädikat sehenswert: Vier Preise des Potsdamer Studentenfilmfestivals „Sehsüchte“ gehen in diesem Jahr nach Polen.

Diese Runde geht an Polen. Gleich vier Preise des diesjährigen Potsdamer Studentenfilmfestivals „Sehsüchte“ erhalten Filmemacher aus dem östlichen Nachbarland. Und zu Recht, alle prämierten Filme lohnen nicht nur die Erwähnung, man sollte sie gesehen haben. Nicht nur der Schauspiel-, Schnitt- und Kurzfilmpreis, sondern auch der Hauptpreis für den besten langen Spielfilm (5000 Euro) gehen nach Polen – an den Regisseur Bartosz Warwas für seinen Film „Jaskólka“. Der Absolvent der berühmten Lodz Film School hat die Geschichte der kleinen Agnieszka verfilmt: Die Neunjährige wächst Anfang der 1970er-Jahre mit ihrem despotisch-cholerischen Vater auf, der die Mutter betrügt und mit den Nachbarn säuft. 30 Jahre später besucht sie mit ihrer eigenen Tochter ihren kraftlosen Vater wieder. Es sieht so aus, als habe sie es geschafft, aus dem Elend der heruntergekommenen Vorkriegssiedlung herauszukommen. Doch es sieht nur so aus.

Agnieszka braucht Geld, sie denkt noch an den Schatz, von dem der Vater damals sprach. Doch der sagt nur, dass sie selbst dieser Schatz gewesen sei. Nun fällt ihr ein, was sie 30 Jahre verdrängt hatte. Der Vater hatte geduldet, dass der Nachbar sie und eine Freundin missbrauchte. Vergraben wurde damals kein Schatz, sondern die Leichen des Nachbarn und ihrer kleinen Freundin. Am Ende ist es Agnieszka, die ihren alten Vater ersticht. So wie ihr Vater früher andere mit dem Messer traf. Im Alter nun wollte er Vergebung, sie sah nur die Schuld. Kein Ausweg, nicht für ihn, nicht für sie. Jaskólka bedeutet Schwalbe. Stan Borys singt das in Polen berühmte Lied von der eingesperrten Schwalbe bei dem legendären Musik-Festival von Opole 1973, als die kleine Agnieszka mit ihrer Freundin vor dem Fernseher sitzt. Sie können den beiden betrunkenen Männern nicht entkommen. Die Hauptrolle spielt Ewa Kustusz, die auch das Drehbuch geschrieben hat und mit Regisseur Warwas verheiratet ist. Auch ihre Tochter spielt in dem Film als Agnieszkas Tochter mit. Zu dritt sind sie nach Potsdam gekommen, um ihren Film zu zeigen.

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Kein einfacher Film, ein älterer aus Polen stammender Zuschauer sagt nach der Aufführung, dass er den Song „Jaskólka“ nicht mit dieser schrecklichen Geschichte in Verbindung bringen könne. Doch für Regisseur Warwas hat genau das den Film rund gemacht. Die Geschichte von einer Frau, der nach 30 Jahren der verdrängte Missbrauch durch den Vater wieder einfällt, hatte er in der Zeitung gelesen. Als er das Lied im Radio hörte, hatte für ihn plötzlich alles zusammengepasst. Es geht ihm darum, zu zeigen, dass solche schrecklichen Dinge immer und überall geschehen. Um das Verschweigen geht es ihm, das Schweigen, das die Dinge nur noch schlimmer macht. Ein sehr eindringlicher Film, die Themen Schuld, Vergebung und Sühne, die Kernfragen des christlichen Glaubens, sind im stark katholisch geprägten Polen allgegenwärtig.

Die Familienbande sind in diesem Jahr ein roter Faden, der sich auch durch viele der ausgezeichneten Filme zieht. So wie Agnieszka aus ihrer Haut nicht mehr herauskann, am Ende nur mit Gewalt zu antworten weiß, wie ihr Vater einst, so geht es auch anderen Figuren in prämierten Filmen. Etwa der kurze Dokumentarfilm „If Mama Ain’t Happy, Nobody’s Happy“, in dem die niederländische Regisseurin Mea de Jong ihre eigene Mutter interviewt. Sie sprechen darüber, dass in den letzten Generationen die Frauen in der Familie immer ohne Männer klarkamen. Ihre Mutter wurde von der eigenen Mutter und Großmutter darin bestärkt. Als die Tochter nun meint, dass diese Tradition vielleicht doch überholt ist, will die Mutter das nicht gelten lassen.

Um eine komplizierte Vater-Sohn-Beziehung geht es in dem Kurzfilm „Matka Ziemia“ ("Mother Earth“) des Polen Piotr Zlotorowicz. Maciek will seinem Vater nicht beim Schlachten helfen, weil er so sensibel ist, dass er mit Tieren und Pflanzen mitfühlen kann. Dass er sogar heilen kann, indem er selbst das Leiden anderer auf sich nimmt, grenzt nicht nur an ein Wunder, sondern ist auch wieder ein christlich fundierter Topos aus dem tief katholischen Polen. Dass Maciek dann seinen sterbenden Vater heilt, geht für ihn nicht gut aus.

Etwas heraus fällt aus diesen Familienbanden der ausgezeichnete lange Dokumentarfilm „Jedes Bild ist ein leeres Bild“, eine Art Selbstporträt des Aktionskünstlers Christoph Faulhaber, der für seine gesellschaftskritischen Projekte schon mal in der Fußgängerzone bettelt oder vor der US-Botschaft verbotene Fotos macht. Einen wirklich rührenden Animationsfilm hat die sechsköpfige Kinderjury mit „The Present“ von Jacob Frey ausgewählt. Ein Hund als Geschenk, das vom Computerspielen ablenken soll, ist blöd, zumal wenn es ein dreibeiniger Hund ist. Doch als der Junge dann schließlich Spaß daran hat, mit dem neuen Freund zu spielen, sieht man , dass auch ihm ein Bein fehlt.

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Über die Qualität der Filme des diesjährigen Studentenfilmfestivals der Filmuni Babelsberg lässt sich schwer etwas sagen, finden sich doch unter 100 Filmen aus 28 Ländern immer interessante Streifen. Und schließlich trifft die Feststellung der Organisatoren zu, dass der Studentenfilm heutzutage eine extrem hohe Qualitätsstufe erreicht hat, war es auch schwer, an den vier Festivaltagen einen wirklich schlechten Film zu finden. Dass das Festival sich nun wieder stärker am Publikum orientieren will, bleibt letztlich durch die periphere Lage und Aufsplitterung des Festivals zwischen Filmhochschule und Studiogelände zumindest an Wochentagen weiterhin eine Herausforderung. Am Samstag immerhin waren die Säle voll.

Die Preisträger - von Spielfilm bis Musikvideo

Bester Spielfilm lang: „Jaskólka“von Bartosz Warwas Bestes Schauspiel: Karolina Gorczyca in „Agnieszka“ Bester Spielfilm kurz „Till Day’s End“ und „Mother Earth“ Beste Kamera: Off Season, Daniel Miller Bester Dokumentarfilm lang: „Jedes Bild ist ein leeres Bild“ von Christoph Faulhaber Bester Dokumentarfilm kurz: „If Mama Ain’t Happy, Nobody’s Happy“ von Mea de Jong Bester Schnitt: „6 Degrees“ Bester Animationsfilm: „Meanwhile“ von Stephen McNally Bester Sound: „Load“ Bestes Musikvideo: „Friedrich Lichtenstein – Belgique, Belgique“ (Regie: Bruno Derksen) Produzentenpreis: „Sadakat“ von Ilker Catak Bester Kinderfilm: „The Present“ von Jacob Frey Bester Jugendfilm: „Gameboy“ von Giancarlo Sanchez Bestes Drehbuch: „Lux - Krieger des Lichts“ von Daniel Wild

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