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Kultur: Die Welt in groben Zügen

Das Kunsthaus macht in einer großen Schau mit 45 Künstlern das Wesen der Zeichnung sichtbar

Gezeichnet ist sie nicht, die Frau, die sich da auf auf dem Bild von Ute Manoloudakis räkelt. Nicht im technischen Sinne, sie ist ein Linolschnitt, pechschwarze und weiße Striemen formen ihre Züge. Gezeichnet vom Leben also, das vielleicht schon. Frei von Scheu und doch geheimnisvoll ist sie. Ute Manoloudakis Schnitt lässt keinen Platz für Vages, für Feinheiten. Er ist expressiv, ein wenig erinnert die Arbeit an Ernst Ludwig Kirchner, einen der alten Meister der Moderne und Gründungsmitglied der Künstlergruppe „Brücke“. Ihr Akt liegt zwar still, hat aber Körperspannung, Dynamik, Haltung: Kaum zu übersehen, dass die in Potsdam lebende Künstlerin eine Tanzausbildung hat.

Ute Manoloudakis ist eine von 45 Künstlern, die das Kunsthaus für die aktuelle Ausstellung „gezeichnet“ gewinnen konnte. Auch, wenn dort bei Weitem nicht alle Arbeiten klassische Zeichnungen sind, gibt es vieles, was auf den ersten Blick so wirkt. Anke Doepgen arbeitet ebenfalls mit Linolschnitt, allerdings weniger entschlossen als Ute Manoloudakis. Unendlich detailverliebt hat sie ein Segelschiff im Sturm entworfen. Wo bei Manaloudakis Akt die schroffen Züge die Details hinwegfegen, hat Anke Doepgen fast bleistiftdünn schraffiert – und dabei den Blick aufs Wesentliche verloren.

Dass es einen Weg dazwischen gibt, zart und trotzdem präzise, zeigt die Aquatinta-Radierung von Laura Haase. Mit wenigen Linien hat sie einen kleinen Jungen am Straßenrand platziert, doch die genügen, um klarzumachen, dass er sich verloren fühlt. Ein zweiter Junge läuft an ihm vorbei, doch etwas trennt die beiden, etwas Weißes, Gespinsthaftes – ein Tagtraum vielleicht oder ein blinder Fleck im Bewusstsein. Das Ganze hat die helle Ästhetik einer Kinderbuch-Illustration und erzählt dabei so viel Großes. Um es kurz zu machen: Laura Haases kleinformatige Arbeit gehört zu den interessantesten der Ausstellung. Vielleicht liegt das daran, dass – so durchdacht und choreografiert ihre Werke auch sind – in ihnen das eigentliche Wesen der Zeichnung so deutlich wird: das Spielerische, Tastende, Flüchtige. Da wird noch nichts für die Ewigkeit in Öl gegossen, da haben die Ideen noch Spielraum.

Noch offensichtlicher ist das bei Helga Gengs ganz kleinen Tuschezeichnungen. Ein luftiges Gewölk von etwas Unbestimmtem ist das, was da wie süßes Popcorn aus der Bildmitte quillt und sich zu den Rändern hin auflöst, wie Zucker auf der Zunge. Das Schöne ist, man muss hier noch nichts Großes erkennen, alle Richtungen sind bei solchen Rohfassungen der Gedanken noch offen.

Das funktioniert auch mit komplett anderen Mitteln. Die Fotografin Sandra Bergemann stellt hier zwei Bilder aus ihrer Werkgruppe „Aus der Tiefe“ aus – und womöglich hat sie die Lichtnebel, die sich da aus der Dunkelheit erheben, tatsächlich aus der Tiefe gefischt. Zumindest könnte man gut glauben, dass die Künstlerin sehr tief getaucht ist, um von unten das Licht zu fotografieren, das es durch die Wasseroberfläche schafft. Das Erstaunliche ist, dass ihre Bilder bei all der schönen Unerklärlichkeit ganz unesoterisch und frei von jedem Kitsch sind.

Bei Oliver Zabel ist man sich da nicht ganz so sicher, für sein Bild „Hattie“ hat er einen Elefanten gezeichnet und ihn mit einem ebenmäßigen Muster aus großen roten Punkten überzogen. Signalhafter geht es eigentlich nicht, die Punkte erinnern an die fotografisch tausendfach zitierte rote Sonne über Afrika, der Elefant wetteifert darum, der Stärkere zu sein. Immerhin hat die Arbeit Leben in sich – was man von Jub Mönsters Arbeit nicht behaupten kann.

Kühl und blaustichig liegen da zwei Kegelbahnen, menschenleer, ordentlich zentriert und blankpoliert. Der kalte Rauch scheint als letzter Gruß allen Lebens noch in der Luft zu stehen, das Ganze hat die Ästhetik eines schlechten Pornos. Dort, wo Freude und Ausgelassenheit herrschen sollten, hat sich ihr genaues Gegenteil eingestellt: spießige Professionalität. Wenn man länger hinsieht, überfällt einen heftige Übelkeit, und genau das ist es vielleicht, was Jub Mönster will: Dass man sich nach diesem Gegenentwurf zum Leben umdreht, und die Schönheit und Unordnung der Welt draußen umarmt. Ariane Lemme

„Gezeichnet“ ist noch bis zum 1. Februar im Kunsthaus, Ulanenweg 9, zu sehen.

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