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Die eigene Geschichte erzählen: Bürgerfrühstück im Hans Otto Theater

Das Bürgerfrühstück im Foyer des Hans Otto Theaters eröffnete Möglichkeiten einer Bürgerbühne in Potsdam.

Potsdam - Demokratie und Theater sind seit jeher eng miteinander verwoben. Das „Theatron“, der Zuschauerraum, beherbergte in der griechischen Antike die Diskussionen rund um die attische Demokratie und diente zeitgleich als Ort religiöser Feste. Das Theater, so die Theorie, ist der Ort des Diskurses, der Bürgerinnen und Bürger und ihrer Geschichten.

Aus dieser Perspektive scheint es nur folgerichtig, dass unter der neuen Intendantin des Hans Otto Theaters, Bettina Jahnke, seit November des vergangenen Jahres unter der Leitung der Theaterpädagogin Manuela Gerlach an der Konzeption, Organisation und Umsetzung einer Bürgerbühne gearbeitet wird. Die Ergebnisse dieser Arbeit wie auch die Ziele, die dieses Projekt verfolgt, wurden am Samstag während eines Bürgerfrühstücks im Glasfoyer des HOT präsentiert.

Im Eingangsbereich performen die Mitglieder des Jugendclubs, der jüngsten Sparte des Theaters, im Glasfoyer sind die Tische reichhaltig gedeckt, zwei Gitarristen spielen auf der Bühne unaufdringlichen Jazz, die Sicht über die Havel und auf den Park Babelsberg ist vortrefflich, nur das nassgraue Januarwetter trübt die Stimmung.

Bei gedecktem Tisch und Jazzmusik konnten Potsdamerinnen und Potsdamer ihre eigenen Geschichten ans Theater bringen.

© Andreas Klaer

Bürger schlagen Themen vor

Das Konzept der Veranstaltung ist durchdacht: Zuerst präsentieren Pauline Baumeister und Oliver Toktasch, die Assistenten Gerlachs, einen Film, den sie zu großen Teilen auf der Brandenburger Straße und auf dem Campus der Universität Potsdam gedreht haben: Passanten wurden gefragt, was sie sich unter einer Bürgerbühne vorstellen und welche Themen diese verhandeln sollte. Die Antworten der Befragten spiegeln Themen wider, die die Stadt bewegen: Bezahlbarer Wohnraum, das Potsdamer Verkehrschaos und das innergesellschaftliche Streitgespräch um Integration und Weltoffenheit sind die Themen, die immer wieder genannt werden.

Anschließend wird es praktisch: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren dazu aufgefordert, Gegenstände mitzubringen, mit denen sie persönliche Geschichten verbinden, ihre Geschichten, die auf der Bürgerbühne erzählt werden sollen. Zwei dieser Geschichten verfügen dabei über so viel Potenzial, dass nicht nur Theaterabende, sondern sogar Hollywood-Filme daraus zu gestalten wären: Die Jacke eines jungen Mannes, die er als Second-Hand-Stück kaufte und darin seine Frau, die Mutter seines Sohnes, kennenlernte und die er dann seinem Bruder überließ, als er aus Syrien fliehen musste und in der er schließlich selbigen Bruder auf einer Potsdamer Straße wiedererkannte.

Die Protagonistin einer anderen Geschichte ist Heidelore Rutz, die während einer Schweigedemonstration in Jena 1983 festgenommen und auf Schloss Hoheneck in Stollberg inhaftiert wurde. Während der Haftzeit waren persönliche Beziehungen unter den Häftlingen untersagt; dennoch gelang es ihnen, sich mittels Klopfzeichen miteinander zu verständigen. Ihre Erinnerung an diese Inhaftierung schrieb Heidelore Rutz nieder und stellte das mittlerweile veröffentlichte Buch als ihr Mitbringsel vor.

Bürgerbühne als Spielweise

Die Möglichkeiten der Partizipation an der Bürgerbühne sind dabei vielfältig: In Storylabs soll unter Anleitung von Storytellerin Rachel Clarke an den Geschichten gearbeitet werden, die später auf die Bühne gebracht werden. Während des offenen Bürgertreffs soll an den Schauspiel-, Sprech-, Gesangs- und Tanzkünsten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gearbeitet werden – die Bürgerbühne soll zur Spielwiese werden, auf der sich die Teilnehmer austoben und kennenlernen, miteinander in Dialog treten können, um so das jeweils andere kennenzulernen und nachvollziehbar zu machen. Sie steht dabei in direkter Tradition zu den Ursprüngen des Theaters im antiken Griechenland, denn sie will diejenigen Themen auf die Bühne bringen, die die Bürgerinnen und Bürger bewegen, und auf diese Art und Weise Ort der Kommunikation sein, die wiederum die Voraussetzung für das gesellschaftliche Miteinander ist.

So will das Hans Otto Theater jene gesellschaftliche Aufgabe angehen, die dem Theater seit jeher zukommt: Es will Schnittstelle zwischen den Bürgerinnen und Bürgern, der Stadt und der städtischen Öffentlichkeit sein, um so der Radikalisierung der Gesellschaft konstruktiv entgegen zu wirken. Die Ergebnisse der Arbeit an dieser ambitionierten Aufgabe werden noch in dieser, spätestens in der nächsten Spielzeit ihre Premiere haben – bis dahin sind alle Potsdamerinnen und Potsdamer eingeladen, mitzumachen.

» Weitere Informationen im Internet: www.hansottotheater.de/buergerbuehne.

Christoph H. Winter

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