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Von Dirk Becker: Am Ende bleibt ein Schulterzucken

Potsdams erster und bisher einziger Stadtschreiber Andreas Maier hat seinen neuen Roman veröffentlicht. „Sanssouci“ der Titel, der viel verspricht, aber wenig hält

Nach knapp 300 Seiten „Sanssouci“, nach dem letzten Satz dieses Romans, möchte man das Buch nehmen und kräftig schütteln in der Hoffnung, dass da vielleicht doch noch irgendetwas heraus fällt, das zumindest ein wenig an Substanz erinnert.

Er hat es tatsächlich getan! Das war der erste Gedanke, als der Suhrkamp-Verlag Ende vergangenen Jahres die Nachricht verschickte, dass Andreas Maiers neuer Roman, seit gestern im Buchhandel, den Titel „Sanssouci“ tragen und in Potsdam spielen wird. Zur Erinnerung: Andreas Maier sollte 2004 für ein halbes Jahr Potsdams erster Stadtschreiber werden. Doch Maier trat das Stipendium der Stadtverwaltung nicht an, nachdem er unfreiwillig zum Spielball einer Diskussion über seine Unterbringung entweder in Potsdams historischer Innenstadt oder einem der Plattenbaugebiete, vorzugsweise Am Schlaatz, wurde und die Verwaltung auch noch freche Forderungen an ihren Stadtschreiber stellte. Für vier Monate kam Maier dann doch noch in die Stadt, auf Privatinitiative von Geschäftsleuten, die die Schmach der Verwaltung nicht hinnehmen wollten und selbst zusammenlegten, um Maier ein Stipendium als Stadtschreiber anzubieten. Nun hat Maier einen Potsdam-Roman geschrieben und sofort ist die Frage da: Rechnet der Autor mit der Potsdamer Stadtverwaltung ab? Ein klein wenig schon, doch immer der Reihe nach.

Wie schon in seinem immer wieder lesenswerten Debütroman „Wäldchestag“ beginnt Maier „Sanssouci“ mit einem Toten. Und wie schon in „Wäldchestag“ gibt es auch in „Sanssouci“ die unterschiedlichsten Meinungen über den Verstorbenen. Mit Gerüchten, so kennt man es aus seinen Büchern, hat es der Herr Maier. Besagter Toter in seinem jüngsten Roman, der Regisseur Max Hornung, war Stadtfilmemacher (!) in Potsdam und hat mit seiner Fernsehserie „Oststadt“, die im Plattenbaugebiet Am Schlaatz (!) spielt, für Unruhe in der Bevölkerung gesorgt. Nun wird Hornung in seiner Heimatstadt Frankfurt/Main beigesetzt und die Trauerfeier dient Maier als perfekter Auftakt, einige der Personen aus „Sanssouci“ vorzustellen.

Da sind die Zwillinge Heike und Arnold, äußerst undurchsichtig und äußerst umtriebig, Merle Johannsson, später im Buch treffend als „Faschistenvegetarierin“ bezeichnet, Anni Schmidt, eine Seele von einer alten Frau und der Russlanddeutsche Alexej, Novize in einem russisch-orthodoxen Kloster. Dieser Alexej ist die wahre Lichtgestalt in „Sanssouci“. Ständig den Versuchungen unserer Zivilisation, vor allem in Potsdam, ausgesetzt, widersteht dieser junge Mann durch seinen glühenden Glauben an Gott. Religion in ihrer schlichtesten, asketischen Form, so scheint Maier sagen zu wollen, ist die einzige Rettung aus diesem Sodom und Gomorra unserer Tage. Und diesen armen Alexej verschlägt es ausgerechnet ins, im wahrsten Sinne des Wortes, doppelbödige Potsdam. Was sich hier in der nach außen hin so bravbürgerlich gebenden Gesellschaft an Abgründen auftut, ließe einem fast schon die Haare zu Berge stehen. Wenn einen denn die dunklen und schmutzigen Geheimnisse der Nachbarn noch überraschen würden.

So treibt der Leser durch Potsdam, das hier aber nur als eine Art Folie zu verstehen ist. Die Menschen, die einem in „Sanssouci“ begegnen, findet man auch in jeder anderen Stadt. Dabei bleibt der Leser immer nur Flaneur, begleitet zeitweise die Zwillinge Heike und Arnold, immer mal wieder Alexej, lernt Malkowski, Grigorij, Maja Pospischil, Christoph Mai und noch einige mehr kennen. Potsdam ist eine Kleinstadt und so darf es nicht verwundern, dass alle sich irgendwie kennen oder kennen lernen und wenn nicht einmal das, zumindest irgendwann einander über den Weg laufen. Irgendwann fühlt man sich wie der Gärtner Hofmann in „Sanssouci“, der das schöne Grünzeug am Blühen hält und in den Geräteschuppen eher durch Zufall Geheimverstecke findet. „Hofmann fand in Potsdam: Ketten, Klammern, Tücher, Gürtel, und sehr oft fand er Damenunterwäsche. Er fand Nadeln, er fand Desinfektionsmittel, er fand Telefonnummern, er fand DVDs, auf denen keine Geschlechtsorgane abgebildet waren, aber andere Dinge, die er gleich wieder vergaß. Zwecklos, sich da hineinzudenken.“ Das bekannte „Außen hui, innen pfui“. Aber das allein reicht Maier nicht.

Die wahren Abgründe Potsdams liegen unterm schönen Park Sanssouci. Hier hat Maier ein Labyrinth platziert, in dem manch dunkle Mächte lustwandeln. Regelmäßige Sadomasopartys finden hier statt, bei denen die Zwillinge Heike und Arnold eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Genaues erfährt der Leser nicht. Der eine sagt dies, der andere das, der nächste lächelt wissend und mancher zuckt nur gelangweilt mit den Schultern. Gerüchte satt in „Sanssouci“. Dem Leser geht es dabei bald wie dem Gärtner Hofmann. „Zwecklos, sich da hineinzudenken.“

Oft allzu lieblos und unmotiviert streift Maier durch sein Potsdam oder widmet sich seinen Figuren. Da flattern die Handlungsfäden lose im Wind und wenn der Autor Lust hat, greift er sich einen und bearbeitet ihn eine Weile, greift sich den nächsten und dann den nächsten und manchen irgendwann gar nicht mehr. „Zwecklos, sich da hineinzudenken.“ Auch wer sich bemüht und sich quält, gegen die Plattheit dieser Handlung und dem dramaturgischen Elend, das einem hier präsentiert wird, ist kaum ein interpretatorisches Kraut gewachsen. Dabei gibt es Momente in „Sanssouci“, in denen Maiers Könnerschaft aufleuchtet, wenn er mit einer Seelenruhe und herrlich lakonisch das snobistische Leben der Merle Johannsson beschreibt. Doch wir ahnen es schon. Diese junge Frau hat auch ein dunkles Geheimnis: Wenn es dunkel wird in Potsdam, legt die Hardcore-Vegetarierin Johannsson willigen Herren Handschellen an und bläut ihnen kräftig das Hinterteil. Wenn es denn Spaß macht.

Bleibt also noch die Abrechnung mit Potsdams Stadtverwaltung, als die sich die Episode um den verstorbenen Stadtfilmemacher Max Hornung lesen lässt. Das hat ein paar amüsante Momente und zeigt auch Maiers feines Gespür für Ironie. Aber arg plump liest sich das gelegentlich, wenn in „Sanssouci“ der Kulturamtsleiter den Namen Meckel trägt und man weiß, dass der im wahren Leben wegen der Affäre Maier strafversetzte Potsdamer Kulturamtsleiter ausgerechnet Meck heißt. „Meckel war ein kompletter Vollidiot, der an keinem Tag verstand, was er zu tun hatte, und über nichts angemessen referieren konnte.“

Da kann man am Ende das Buch schütteln, so viel man auch will. „Zwecklos, sich da hineinzudenken.“ Am Anfang ein Toter, am Ende eine Tote. Dem Leser bleibt da nur ein Schulterzucken.

Andreas Maier: Sanssouci, Roman, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009, 305 S., geb., 19,80 Euro

Dirk Becker

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