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Kultur: Abschied ohne großes Theater

Tschechow-Premiere der außergewöhnlichen Art

Tschechow-Premiere der außergewöhnlichen Art Viele Worte verlor Carsten Wist am Montagabend nicht. Er, der das geschriebene Wort mehr als nur schätzt, ist vor allem ein Mensch der Tat. Passt ihm etwas nicht, handelt er. Da verstarb im Mai vor genau 100 Jahren der russische Dramatiker und Erzähler Anton Pawlowitsch Tschechow. Doch bisher fand das in der Potsdamer Theaterlandschaft, in der es zurzeit scheinbar mehr um personelle als um aufführungsrelevante Fragen geht, kaum Beachtung. Wenn das große also nicht will, dann müsse man zum kleinen Theater greifen, so die lapidare Feststellung von Carsten Wist. Was in diesem Fall die Räume des Literaturladens auf den Plan rief. Hier fand eine Tschechow-Premiere statt, die gleichzeitig auch Abschied war. Sonja Grüntzig und Wolfgang Menardi, zwei scheidende Schauspieler des Potsdamer Hans Otto Theaters, lasen aus dem Briefwechsel zwischen Tschechow und der Schauspielerin Olga Knüpper, der gerade im S. Fischer Verlag unter dem Titel „Mein ferner lieber Mensch“ wieder aufgelegt wurde. Im September 1898, während der Proben zu seinem Stück „Die Möwe“, lernte Tschechow die junge Olga Knüpper am Moskauer Theater kennen. Zwischen beiden entwickelte sich mehr als nur Sympathie. Doch die räumliche Trennung wurde zum ungeliebten Bestandteil dieser Liebe. Olga Knüpper, die als erfolgreiche Schauspielerin, trotz späterer Heirat, in Moskau blieb und weiter auftrat. Tschechow, den seine Tuberkuloseerkrankung an das milde Klima auf der Insel Jalta band. So blieben ihnen nur die Briefe, um die Zeit des Getrenntseins zu überbrücken. Sonja Grüntzig und Wolfgang Menardi machten diesen Briefwechsel zu einem anfangs ausgelassenen, später, durch die fortschreitende Erkrankung Tschechows und andere Schicksalsschläge, ernster werdenden Dialog. Verliebtes Geplänkel einer koketten Olga Knüpper und eines fast schon übermütigen Tschechow, in das sich immer wieder die Selbstzweifel an ihren schauspielerischen Fähigkeiten und seine Aufmunterungen mischen. Eifersucht, ihre bangen Fragen nach seiner Gesundheit, denen Tschechow ironisch auszuweichen versucht. Und dann, als die Tuberkulose ihn immer gnadenloser in den Griff nimmt, die Selbstvorwürfe der Olga Knüpper, sie sei keine gut Ehefrau gewesen. Sonja Grüntzig und Wolfgang Menardi, beide an getrennten Tischen sitzend, gaben so den Schreibenden nicht nur Stimme, sondern auch Gesichter. Glücklich und verliebt, dann von den Sorgen gezeichnet. Und so nahmen die beiden Schauspieler, die in Berlin und Paris an neuen Stücken proben, ohne großes Theater Abschied von Potsdam. Mancher wird sie hier vermissen. Soviel war klar nach dieser kleinen Inszenierung. Dirk Becker

Dirk Becker

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