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Andreas Dresen in der Ausstellung „Voll das Leben!“ im Filmmuseum Potsdam.

© Ottmar Winter PNN

45 Jahre Filmemachen: „Voll das Leben!“ – Filmmuseum Potsdam feiert Andreas Dresen mit Ausstellung

Der 60. Geburtstag des Regisseurs war Anlass für eine erste Personalausstellung: „Voll das Leben!“ zelebriert den Film, den Optimismus und das Team.

Als Andreas Dresen Kind war, hatte er einen Wellensittich. Vier hintereinander, um genau zu sein. Sie alle flogen ihm davon, weil die Mutter, die Schauspielerin Barbara Bachmann, gern lüftete. Einmal, so erzählt Dresen am Tag, bevor seine erste große Personalausstellung im Filmmuseum Potsdam eröffnet wird, kam er aus der Schule zurück, und der Wellensittich hatte die Farbe gewechselt. Er war entflogen, die schuldbewussten Eltern hatten ihn gesucht und tatsächlich einen Sittich gefunden. Den falschen allerdings.

Der Vogel hat es in Dresens Erfolgsfilm „Halbe Treppe“ geschafft. Dort heißt er Hans-Peter. Axel Prahl und Steffi Kühnert jagen ihm verzweifelt durch ein Neubaugebiet in Frankfurt (Oder) hinterher, den leeren Käfig in den Händen. Eine legendäre Szene. Kein Zufall also, dass der Sittich es auch auf das Plakat, mit dem das Filmmuseum für die Schau wirbt, geschafft hat: Sein grün-gelbes Gefieder scheint durch die drei Worte, auf die Kuratorin Ugla Gräf 45 Jahre Filmemachen zusammen gezurrt hat. „Voll das Leben!“

Kämpfernatur. Andreas Dresen zeigt Menschen, die sich gegen Widerstände durchsetzen, jüngstes Beispiel: „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“.
Kämpfernatur. Andreas Dresen zeigt Menschen, die sich gegen Widerstände durchsetzen, jüngstes Beispiel: „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Der Titel spielt auf jenen Grundoptimismus an, der vielen Dresen-Filmen eigen ist: Die Realität mag düster sein, aber sie ist nicht verloren, solange der Mensch ein Träumer bleibt. Ein bisschen klingt der Titel aber auch, als wüsste er, dass es für eine Retrospektive des wohl wichtigsten ostdeutschen Filmemachers unserer Tage eigentlich noch zu früh ist.

Zu jung für den Blick zurück?

Andreas Dresen ist im Sommer sechzig geworden. Der nächste Film, „In Liebe, eure Hilde“, wartet auf den Filmstart, mit Drehbuchautorin Laila Stieler arbeitet er an neuem Stoff. Dresen unterrichtet an der Rostocker Theaterhochschule und geht als Brandenburgischer Verfassungsrichter in sein zwölftes Jahr. Zwischendrin tourt er mit Gundermann-Liedern durch die Lande. Demnächst Torgau, Kreuzberg, Hoyerswerda, Nürnberg. Das Heimspiel im Potsdamer Nikolaisaal im Januar: längst ausverkauft. Ein Mann voll im Leben.

Fragt man Andreas Dresen, wie es ihm mit der 60 geht, zitiert er, was Udo Lindenberg sagte, als der 70 wurde. „Die Alternative ist ja, nicht 70 zu werden.“ So einfach ist das, so unausweichlich. Ein Satz, wie ihn Wolfgang Kohlhaase hätte schreiben können. Bei dessen Tod 2022 trauerte Dresen wie um einen Vater. Wolfgang Kohlhaase, Michael Gwisdek, Andreas Schmidt: Eine Ausstellung wie diese erinnert auch daran, wer inzwischen fehlt. Zumal, wenn wie bei Dresen das Team im Mittelpunkt steht. „Damit ein Film etwas taugt, müssen verschiedene schöne Berufe mehr als einen guten Tag haben“, hat Kohlhaase gesagt. Dresen zitiert den Satz gern.

Es ist die große Stärke dieser Schau, dass sie den Blick schärft für die verschiedenen schönen Berufe, die am Filmemachen beteiligt sind. Mit der Szenenbildnerin Susanne Hopf und der Kostümbildnerin Sabine Greunig arbeitet Dresen kontinuierlich zusammen, beide haben Arbeitsmaterialien beigesteuert. Das winzige Neubaubad aus „Halbe Treppe“ wurde extra nachgebaut, ebenso wie der Tresen aus dem frühen Dokumentarfilm „Krauses Kneipe“ von 1993. Der Frühstückstisch von Nadja Uhls Nike aus „Sommer vorm Balkon“ ist senkrecht an eine Stellwand montiert, Kaffeetasse, Eierbecher und Wurststulle inklusive: ironische Verbeugung vor dem Medium Film, König im Spiel mit der Illusionen.

Haptisch, verspielt, sinnlich

An anderen Stellen liegen Drehbücher aus, in denen man Dresens handschriftliche Anmerkungen versuchen kann, zu entziffern. Oder man vertieft sich über Fotos in die Suche nach dem richtigen Drehort: Rostock-Lichtenhagen für „Die Polizistin“, ein Einfamilienhaus in der Nähe von Potsdam für „Halt auf freier Strecke“. Darin führt Milan Peschel als Familienvater Frank Lange einen zähen Kampf gegen seinen Gehirntumor. Wir lernen: Das Haus musste von einem Tag auf den anderen mit privaten Mitteln gekauft werden, um drehen zu können.

Und auch wenn Teamarbeit ganz großgeschrieben wird, ist hier einiges über den Menschen Andreas Dresen zu lernen. Wie er, als Elfjähriger, seine erste „Faust“-Inszenierung stemmte, und sich dafür einen heftigen Verriss seines Publikums einholte: Zugegen waren sein leiblicher Vater, der Theaterregisseur Adolf Dresen, und sein Ziehvater, der Theaterregisseur Christoph Schroth. Wie er sich ein Jahr darauf wieder daran versuchte: diesmal mit Erfolg. Auch die späteren Theaterarbeiten sind dokumentiert. Deutschen Theater, Bayerische Staatsoper, Potsdamer Schlosstheater. Und jüngst die Semperoper.

„Voll das Leben!“ gibt sich bei all dem Mühe, nicht nur Rückschau zu sein, sondern haptisch, verspielt, sinnlich. Beim Betreten gucken einem zuallererst lebensgroße Aufsteller einiger der Dresenschen Held:innen entgegen: Alexander Scheer als Anwalt Bernhard Docke, Nadja Uhl und Inka Friedrich aus „Sommer vorm Balkon“. Daneben eine erste, großformatige Bühne für die, die hier erklärtermaßen die Hauptakteure sein sollen: Dresens Filme. So packend diese Ausstellung gemacht ist: Es ist ihr Schicksal, vor allem die Sehnsucht nach den tatsächlichen Filmen zu schüren. In einer begleitenden Filmreihe will das Museum alle Dresen-Filme zeigen. Da dürfte dann auch der Wellensittich zu finden sein. Dessen Käfig steht auch in der Ausstellung. Er ist leer.

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