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POSITION: Ein Blick aus London auf die Garnisonkirche

Ein Wiederaufbau, der beweist, wie weit Deutschland gekommen ist Von Richard Morrison

Dass die „Geschichte kontrovers“ sei, das beschreibt nicht mal annähernd den Fall der Garnisonkirche in Potsdam, vor den Toren Berlins. Ein Gefühl bekommt man eher von einzelnen Sätzen, die auf ein Schild geätzt wurden, dort, wo die Kirche einst stand: „erbaut 1732“ „durch Nazipropaganda missbraucht 1933“ „ausgebrannt 1945“ „wiederbelebt 1950“ „durch ideologische Blindheit zerstört 1968“.

Kein Wunder, dass der Wiederaufbau für umgerechnet 22 Millionen britische Pfund, die von der deutschen Regierung und der evangelischen Kirche pünktlich zum 500. Jubiläum der Reformation zur Verfügung gestellt worden sind, für eines der kontroversesten Welterbe-Projekte in diesem Jahr steht. Es ist sicherlich keine Übertreibung, zu sagen, dass Deutschlands komplexe, konfliktreiche Einstellung zur Nationalgeschichte gerade in dieser schmerzhaften Debatte um ein derzeit noch nicht mal existierendes Gebäude sichtbar wird.

Die Bezeichnung „Garnisonkirche“ mag nach einer funktionellen Kapelle klingen, die neben ein paar Baracken stand. Aber nichts könnte weiter entfernt sein von dem, was die Garnisonkirche einst auf dem Höhepunkt ihrer (und Potsdams) Pracht bedeutete. Erbaut 1732 vom „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm für sein Eliteregiment, die Potsdamer „Langen Kerls“, besaß sie die Dimensionen und die großzügige barocke Ausstattung einer riesigen Kathedrale mit einem gigantischen Kirchturm, in einer Höhe von 295 Fuß mit einem – später hinzugefügten – mächtigen Glockenturm, von dem jede halbe Stunde Bach und Mozart läuteten, bis sie von der britischen Luftwaffe im April 1945 zum Schweigen gebracht wurden.

Es war diese Kirche, in die Friedrich Wilhelms Sohn, Friedrich der Große, Bach zum Ausprobieren einer Orgel einlud – und in der Friedrich auch begraben wurde. An dem Ort, wo vor genau 200 Jahren die zwei Flügel der deutschen Kirche – Lutheraner und Reformierte – zusammenkamen, um ihre Wiedervereinigung zu segnen. Das alles mag erklären, warum sich so viele Deutsche den Wiederaufbau herbeiwünschen, besonders seit das Potsdam des 21. Jahrhunderts sich langsam aus dem Schatten Berlins wagt, indem es viele Gebäude aus der Blütezeit des 18. und 19. Jahrhunderts rekonstruiert.

Unglücklicherweise endet die Geschichte nicht dort. Obschon sie bereits ein Symbol der preußischen Militärmacht ist, erhält die Garnisonkirche eine noch finstere Assoziation im März 1933, am sogenannten Tag von Potsdam, als Hitler diesen Ort erwählte, um – flankiert von seinen Sturmtruppen – den Reichstag zu übernehmen und vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zum Kanzler vereidigt wurde. Ein Schnappschuss eines „New York Times“-Fotografen, der einen offenbar ehrerbietigen Hitler beim Handschlag mit Hindenburg zeigt, wurde zu einem der deutlichsten Bilder dieser Zeit: zum Symbol einer selbstgefälligen preußischen Führungsriege, die sich Hitlers Schlägertrupp anbiedert.

Der britische Luftangriff von 1945 zerstörte die Kirche nicht, sondern setzte sie lediglich in Brand – was zu einer anderen bizarren Wendung in der Geschichte führte. 1968 entschied sich die ostdeutsche Kommunistische Partei, dem vorsichtigen Versuch des Wiederaufbaus durch die lokale Kirchengemeinde ein jähes Ende zu setzen, indem sie die Überreste des Gebäudes kurzerhand in die Luft sprengte.

Dieser Akt staatlichen Vandalismus wurde nicht nur durch atheistische Feindseligkeit ausgelöst. Was George Orwells schlimmsten Albträumen gerecht wurde, war die Absicht der Deutschen Demokratischen Republik, jedes einzelne Monument auszuradieren, das ihr selbst vorausgegangen war.

Die Pläne zum Wiederaufbau der Kirche wurden alsbald nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung diskutiert, aber es sollte noch bis zum Juni 2008, dem 40. Jahrestag der Zerstörung, dauern, bis eine gemeinnützige Stiftung dazu gegründet wurde. Der Ehrlichkeit halber muss man sagen, dass die Fortschritte sporadisch sind, nicht zuletzt durch eine gewaltige Opposition lokaler Gruppierungen (mitsamt älterer Potsdamer, die eine „Disneyfizierung“ der heruntergekommenen Stadt fürchten, in der sie aufgewachsen sind) und religiöser Organisationen mit markigen Namen wie „Christen brauchen keine Garnisonkirche“.

Pragmatische Ängste, etwa dass die wiedererrichtete Kirche zu einer Pilgerstätte für Neonazis werden könnte, vermischten sich mit abstrusen theologischen Diskussionen über den historischen Antisemitismus der Lutherischen Kirche. Moralische Argumente über die Klugheit der Glorifizierung der deutschen Militärvergangenheit balgten sich mit wütenden Gegenstimmen, ob die architektonische Bedeutsamkeit den Wiederaufbau eines Gebäudes mit berühmt-berüchtigter Nazi-Verbindung rechtfertigt. (Der britische Architekt David Chipperfield bekam dieselbe Abneigung zu spüren, als er den Wiederaufbau des aus der Münchner Nazi-Ära stammenden „Haus der Kunst“ beabsichtigte.)

Kompromisse wurden ausgehandelt, etwa nur den Turm zu errichten ohne das Kirchenschiff darunter. Oder dass – anstatt einer barocken Kopie – ein modernistischer Architekturstil als Signal eines symbolischen „Bruches mit der Vergangenheit“ dienen soll. In der Zwischenzeit stiegen die Kosten weit über das Vorhersehbare.

Inzwischen steht die deutsche politische Führung, von Angela Merkel abwärts, weitestgehend hinter dem Projekt, und auch ich kann nicht widersprechen. Kein Staat hat in dieser Geschichte mehr dafür getan, die vergangenen Sünden ausführlicher zu behandeln, als das heutige Deutschland. Dabei wurde mehr oder weniger ein Pauschalverbot über das Zelebrieren seiner Nationalgeschichte ausgesprochen, sei sie nun gut oder schlecht. Die Zeit ist reif, diesen Ansatz zu verfeinern. Der Aufbau der Garnisonkirche wäre ein Zeichen dafür, dass Deutschland bereit dafür ist, jeder Facette seiner Vergangenheit gegenüberzutreten, zuversichtlich und mit der Erkenntnis, dass seine Bürger mittlerweile zu den tolerantesten, sozial verantwortlichsten Völkern dieses Planeten gehören.

Der Autor ist Chef-Kulturkritiker der Londoner Tageszeitung „The Times“. Dort ist dieser Beitrag zuerst am 28. April in der „The Arts Column“ von Richard Morrison erschienen. Übersetzung ins Deutsche: Oliver Dietrich.

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