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PNN-Serie: Wir im Staudenhof: „Normal bis kaputt“

Über die Zukunft des Wohnblocks Staudenhof diskutiert Potsdam seit Jahren. Doch wer lebt dort eigentlich? Wir stellen zehn Bewohner vor. Heute: Zu Gast bei Matthias.

Von Katharina Wiechers

Potsdam - Matthias ist Potsdamer, schon immer gewesen. „Im Winter, wenn keine Blätter an den Bäumen hängen, kann ich von meinem Balkon aus sogar das Krankenhaus sehen, in dem ich geboren wurde“, sagt er und deutet mit dem Kopf in Richtung Nordosten. Es ist das Klinikum „Ernst von Bergmann“, das Matthias im Winter durch die kahlen Bäume sehen kann und in dem er vor 36 Jahren zur Welt kam. Sein Balkon gehört zum Staudenhof-Wohnblock. Blickrichtung Osten.

Seit 2010 wohnt Matthias jetzt in einer der vielen 30-Quadratmeter-Wohnungen im Staudenhof. Jede von ihnen hat einen Balkon, etwa die Hälfte der Bewohner blickt in Richtung Stadt- und Landesbibliothek beziehungsweise auf die Baustelle der mittlerweile abgerissenen Fachhochschule, die andere Hälfte in Richtung der anderen DDR–Wohnblocks an der Burgstraße, wie eben auch Matthias. Sonne hat man hier hinten kaum, sagt er. Aber man könne es ja auch positiv sehen: Im Sommer ist es schön kühl, da schwitzen die Bewohner auf der anderen Seite. Und er blieb von dem Lärm verschont, der im vergangenen Jahr beim Abriss der FH entstand.

Über einen Bekannten kam er einst an die Einzimmerwohnung: der zog damals aus und fragte ihn, ob Matthias nicht Nachmieter werden wolle. „Ich wollte eigentlich gar nicht unbedingt in die Innenstadt, aber es hat sich dann so ergeben“, sagt er. Überhaupt hat sich vieles einfach so ergeben in Matthias’ Leben, zumindest vermittelt er dem Zuhörer das Gefühl. Vielleicht ist er aber auch einfach sehr bescheiden.

Matthias arbeitet für die Schlösserstiftung

Das zeigt sich auch, wenn er über seinen Beruf spricht. „Sicherheitsfutzi bei der SPSG“ sei er. Man könnte auch sagen: Angestellter bei der Servicegesellschaft Fridericus der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, es gibt sicherlich schlechtere Jobs in Potsdam. Bei Fridericus hat Matthias einst seine Ausbildung gemacht, dann ist er direkt geblieben. Mal hier und mal dort werde er eingesetzt, er ist viel draußen unterwegs, oft in den Parks der Stiftung. Viel mehr will er dazu auch gar nicht sagen.

Dass Matthias viele Ecken in den Potsdamer Parks kennt – auch solche, die nicht jedem sofort auffallen – zeigen auch die vielen Fotos in seiner Wohnung. In verschieden großen Bilderrahmen hängen sie an der Wand, große und kleine, elegant angeordnet. Mal ist auf den Bildern Natur zu sehen, mal ein Schattenspiel auf einem Gebäude oder eine Statue. Auch die verbeulten Briefkästen unten im Eingangsbereich des Staudenhofs hat Matthias in Nahaufnahme fotografiert, der Charme des Verfalls kann eben durchaus auch fotogen sein.

„Dieses Haus ist schon speziell“, sagt Matthias. Der Concierge im Eingangsbereich, der Müll, der manchmal im Treppenhaus landet, die kleinen Wohnungen mit fensterloser Küche und fensterlosem Bad. „Aber ich habe mich dran gewöhnt“, sagt Matthias. An die Enge und auch an den Zustand des Gebäudes. „Ich brauche kein ganz neues Haus“, sagt er.

Dem Quartierstreff hat er alle Pflanzen vermacht

Als „normal bis kaputt“ würde er seine Nachbarn beschreiben, wobei die „Normalen“ überwiegen, glaubt Matthias. „Aber die Kaputten fallen einem eben mehr auf“. Engen Kontakt hat er zu kaum jemandem. Nur mit Tatjana, die im Erdgeschoss des Staudenhofs den Quartierstreff des Vereins Soziale Stadt leitet, unterhält er sich ab und an. Mit ihr teilt er eine Leidenschaft: Pflanzen.

„Früher hatte ich die ganze Wohnung voller Pflanzen, eine richtige grüne Oase“. Doch dann entschied er sich, dieses Hobby aufzugeben. All die Töpfe wanderten in den Quartierstreff zu Tatjana, seitdem kümmert sie sich um Matthias’ Pflanzen – neben den vielen anderen, die schon vorher in den riesigen Schaufenstern standen. Eine radikale Entscheidung, wie ein Rundblick durch Matthias’ Wohnung verrät. Tatsächlich ist nicht eine einzige lebende Pflanze mehr zu entdecken – lediglich ein vertrocknetes Blumensträußchen steht auf der Kommode an der Wand.

Sehr aufgeräumt wirkt die Wohnung, doch dank der vielen Bilder und der Holz- beziehungsweise Korbmöbel dabei nicht ungemütlich. Rechts in dem kleinen Wohn- und Schlafzimmer stehen zwei Tische, zwei Stühle und eine Kommode, links das Bett, am Fenster der obligatorische Wäscheständer.

Was er von einem Abriss hält? „Ich glaube, gerade den älteren Bewohnern würde es schwerfallen, noch mal umzuziehen“, sagt Matthias. Andere wiederum seien auf die niedrige Miete angewiesen, die im Staudenhof verlangt werde. „Mich betrifft das ja nicht so.“ Fast hat man das Gefühl, Matthias fände es gar nicht so schlecht, wenn er zum Ausziehen gezwungen würde und sich wieder eine Wohngemeinschaft suchen müsste, wie er schon vorher eine bewohnt hat. „Man wird ja komisch, wenn man so lange alleine wohnt“, sagt er und lächelt. „Ich nenne das Singlewohnungsdemenz.“

HINTERGRUND 

Der Wohnblock mit der Adresse Am Alten Markt 10 wurde 1971 bezogen. Benannt ist er nach der gleichnamigen, bereits abgerissenen Grünfläche.  

182 Wohnungen gibt es in dem Wohnblock, die meisten haben ein Zimmer und sind genau 30,25 Quadratmeter groß. Nur einige wenige an der nordwestlichen Gebäudeecke haben vier Zimmer und rund 100 Quadratmeter - wie jene von Ludmila und ihrer Familie. 30 Wohnungen werden außerdem als Flüchtlingsunterkunft genutzt, der sogenannte Wohnungsverbund wurde 2014 gestartet. 

Wie es mit dem lange unsaniertem Bau weitergeht, ist noch nicht entschieden. Die Eigentümerin, die kommunale Pro Potsdam, favorisiert einen Abriss. Auch viele Stadtpolitiker sind gegen Erhalt und Sanierung. 

Staudenhof-Bewohner Matthias. 
Staudenhof-Bewohner Matthias. 

© Ottmar Winter/PNN

Die nächste Folge der Serie erscheint am Dienstag. Dann stellen wir den Bewohner Ali vor. Wenn Sie keine Folge verpassen wollen, lesen Sie bis zu 30 Tage gratis zur Probe.

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