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Das Rüstzeug dabei. Die Potsdamer SPD-Direktkandidatin Manja Schüle hat sich Zeit gelassen, zu lernen, bevor sie sich zur Kandidatur entschloss. Jetzt fühlt sie sich bereit für den Sprung in den deutschen Bundestag.

© Sebastian Gabsch

PNN-Serie: Potsdam vor der Bundestagswahl: Emanzipation vom „Huschhäschen“

Ihre Gesichter sind auf Wahlplakaten in ganz Potsdam zu sehen. Doch wer sind die Menschen, die den Wahlkreis vertreten wollen? Die PNN stellen sie vor. Heute: Manja Schüle (SPD).

Von Peer Straube

Potsdam - Ihre Gesichter gehören derzeit zum Stadtbild: Die Direktkandidaten, die von ihren Parteien in Potsdam ins Rennen um ein Bundestagsmandat geschickt worden sind, haben meist viele Plakate aufhängen lassen. Das ergibt für den Wähler ein Bild – aber nicht mehr. Wer sind die Menschen, die den Potsdamer Wahlkreis 61 im Bundestag vertreten wollen? Welche Ziele haben sie? Wie kamen sie in die Politik? Was bewegt sie? Um ins Gespräch zu kommen, haben wir die Bewerberinnen und Bewerber der CDU, SPD, FDP, Linke, AfD, Bündnis 90/Die Grünen und der Freien Wähler eingeladen – an einen bewegten Ort: Die PNN-Redakteurinnen und Redakteure gehen mit den Kandidaten auf eine Fahrt mit Tram oder Bus quer durch die Landeshauptstadt. Was sie dabei erfahren, lesen Sie hier.

Heute: Mit Manja Schüle (SPD) in der Tram 96 von der Viereckremise bis zur Marie-Juchacz- Straße – und wieder zurück.

Nein, oft fährt Manja Schüle derzeit nicht mit der Straßenbahn. Wegen des Wahlkampfs. „So viel, wie ich im Wahlkreis herumreise, bin ich auf das Auto angewiesen“, sagt die 41-Jährige. „Aber derzeit lerne ich das Tramfahren wieder neu – mein Sohn liebt das nämlich.“ Für den zweieinhalbjährigen Fritz nimmt sich Schüle auch im Wahlkampf Zeit. Zwei- bis dreimal pro Woche geht sie mit ihm ein paar Stunden raus, auf den Spielplatz. „Es macht mich nicht zu einer besseren Politikerin, wenn ich mein Kind vernachlässige“, sagt sie. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist Schüle wichtig. Dazu gehört auch die Aufgabenteilung. „Im Moment übernimmt natürlich mein Mann einen Großteil der Kinderbetreuung.“

Während Schüle erzählt, rauschen draußen die Häuser des Bornstedter Feldes vorbei, an der Haltestelle Fachhochschule füllt sich die Bahn. Die SPD-Bundestagskandidatin kommt mit einer Frau aus Polen ins Gespräch. Nein, sie dürfe leider nicht wählen, obwohl sie seit neun Jahren in Potsdam lebe, sagt diese. Sie habe keine doppelte Staatsbürgerschaft. Die Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, gibt in der Volkshochschule Deutschkurse für Flüchtlinge. Schüle hört zu, man fachsimpelt über die Bildungssysteme in Polen und Deutschland. Man merkt, dass Bildung eins ihrer Kernthemen im Wahlkampf ist.

Geht es nach Schüle, sollte der Bund bei der Bildungspolitik mitreden dürfen

Schüle will sich dafür einsetzen, dass das Kooperationsverbot abgeschafft wird, das dem Bund verbietet, sich in die Bildungspolitik der Länder einzumischen, worunter auch die Finanzierung von Bildungsmaßnahmen fällt. „Es doch absurd, dass der Bund nicht in die Zukunft des Landes investieren darf“, sagt Schüle. Auch für ein Kitaqualitätsgesetz auf Bundesebene will sie kämpfen.

Geboren und aufgewachsen ist Schüle, die damals noch Orlowski hieß, in Frankfurt (Oder). Ihren Vornamen bekommt sie nach einem gleichnamigen Song des DDR-Schlagersängers Frank Schöbel. „Ich würde Ihnen ja gerne jetzt eine Geschichte von einer Heiligen oder berühmten Kämpferin erzählen, aber so war es nicht“, erzählt sie und lacht. Ihre Kindheit ist nicht immer einfach. Der Vater verschwindet, als sie sechs ist. Seitdem lebt sie mit ihrer älteren Schwester bei ihrer Mutter. Frankfurt möge sie noch immer, aber Potsdam, wo sie 1996 ihr Politik-Studium begonnen habe, sei Liebe auf den ersten Blick gewesen, erzählt Schüle. „Hier findet man alles – Kultur, Landschaft und unfassbar viele engagierte Menschen.“

Reinigungskraft, Ferienlagerbetreuerin, Messeassistentin - Politikerin

Auch Schüle will sich engagieren. Viele ihrer Freunde und Bekannten wurden nach der Wende arbeitslos. „Da wollte ich nicht nur zugucken, sondern selbst aktiv werden.“ Sie sucht ihre politische Heimat im „Mitte-Links-Spektrum“, wie sie es nennt, besucht Veranstaltungen der Linken und der Grünen. Doch es ist die SPD, für die sie sich – zunächst über die Jusos – schließlich entscheidet. „Da wurde am sachorientiertesten, am wenigsten dogmatisch diskutiert.“ Ihr Studium finanziert sie mit Nebenjobs – als Reinigungskraft, Ferienlagerbetreuerin, Messeassistentin.

1998 tritt Schüle in die SPD ein. Sie arbeitet in den Büros verschiedener Landtagsabgeordneter, wird 2006 Referentin im Brandenburger Bildungsministerium und 2008 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Nebenher engagiert sie sich auf vielfache Weise ehrenamtlich, unter anderem für Flüchtlinge.

Es gibt Parteigenossen, die sie als zu weichgespült für eine Politikerkarriere empfinden, als jemanden, dem die „Ellenbogen“ fehlen. Schüle weist das entschieden zurück. „Ich habe ein Jahr lang zeitweise gegen vier Männer Wahlkampf gemacht“, sagt sie mit Blick auf ihre parteiinternen Gegner im Kampf um die Direktkandidatur, „glauben Sie, dass man sich da durchsetzt, wenn man sich wie das Huschhäschen von Babelsberg benimmt?“ Das sei ein harter Kampf gewesen. Darüber hinaus verfolge sie eine andere Philosophie. „Ich glaube, die Menschen wollen wissen, ob sich jemand auskennt, ob er Ahnung von dem hat, wovon er redet.“ Die Entscheidung zur Kandidatur habe sie darum erst jetzt getroffen. „Ich wollte das politische Rüstzeug haben.“ Das erwarb sie sich nicht nur im Stadtparlament, sondern auch im jetzigen Job als Büroleiterin von Günter Baaske, erst im Sozial-, seit 2014 im Bildungsministerium.

Bereit für den Sprung in den Bundestag

Jetzt fühlt sie sich bereit für den Sprung in den Bundestag. In den dürfte sie in jedem Fall einziehen, auch wenn sie das Direktmandat an ihre CDU-Konkurrentin Saskia Ludwig verlieren sollte. Während diese auf ihren Wahlkampfveranstaltungen mit ihrem Image als knochenharte Beißerin kokettiert („Grill die Ludwig“), setzt Schüle auf Überzeugungsarbeit. Sechs bis sieben Termine pro Tag, auch an Orten „wo es weh tut“. Doch selbst in CDU-Hochburgen wie Werder habe sie viel Zuspruch bekommen. Dabei setzt sie auf Lockerheit: Potenzielle Wähler bekommen einen Taschenspiegel, auf dessen Deckel steht: Guck mal, wer Manja wählt. „90 Prozent der Leute müssen dann erstmal lachen – und das Eis ist gebrochen“, erzählt sie.

Der Wahlkampf hält Schüle also auf Trab. Für ihre Hobbys – Radtouren oder mal ein gemütlicher Doppelkopf-Abend, bleibt kaum Zeit. Die beste Entspannung, sagt sie, sei ohnehin ihre Familie. Zuhause kommt sie wieder runter.

Im Bundestag will sich Schüle dafür einsetzen, die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu stärken. Junge Gründer müssten viel länger finanziell unterstützt werden. Das zahle sich aus, denn diese Unternehmen zahlten dann Steuern und schafften Arbeitsplätze. Fast wie bestellt kommt sie in der Straßenbahn noch mit einer jungen Frau ins Gespräch. Sie ist gerade fertig mit ihrem Physikstudium und sucht nun ihren ersten Job. „Sehen Sie?“, sagt Schüle. „Es gibt viel zu tun.“

Wofür Manja Schüle steht:

1. Bildungsgerechtigkeit

Noch entscheidet zu oft der Geldbeutel über den Bildungserfolg. Deshalb machen wir die Bildung gebührenfrei – von der Kita über die Ausbildung und das Erststudium bis zum Master oder zur Meister- oder Technikerprüfung. Mit einem bundesweiten Gesetz werden wir die Qualität von Kitas steigern.

2. Generationengerechtigkeit

Ich setze mich für die Familienarbeitszeit ein – für junge Eltern, die sich gemeinsam um ihr Kind oder um pflegebedürftige Angehörige kümmern und engagiert im Beruf sein wollen. Für die Zeit nach dem Elterngeld wollen wir deshalb jungen Eltern Teilzeitarbeit durch einen Zuschuss ermöglichen. Wir garantieren ein Rentenniveau von 48 Prozent und schaffen eine gesetzliche Solidarrente.

3. Lohngerechtigkeit

Wer arbeitet, soll davon leben können. Wir wollen, dass die Löhne steigen und Tarifbindung wieder zum Normalfall wird. Frauen müssen für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn bekommen wie Männer. 

Anm. d. Red.: CDU-Kandidatin Saskia Ludwig hat nicht zugesagt, den PNN für dieses Format zur Verfügung zu stehen.

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