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PNN-Glosse PYAnissimo: Wenn sie verbrennen

Krisensitzung im Rathaus. Büro Oberbürgermeister.

Krisensitzung im Rathaus. Büro Oberbürgermeister.

OB: Meine Herren, Sie wissen es ja bereits alle. 175 043. Ich bin sprachlos. Potsdam hat die 175 000-Einwohner-Marke geknackt. Mein lieber Scholli, was ist bloß aus unserem Provinznest geworden. Und vor allem, wo soll das noch hinführen?

Pressesprecher: Ich habe mir mal die Bevölkerungsentwicklungskurve auf Wikipedia angeschaut. Geht immer hübsch nach oben, von zwei Weltkriegen mal abgesehen. Den letzten Einbruch gab’s zum Millenniumswechsel.

Sozialdezernent: Seitdem hört das mit dem Zuzug nicht mehr auf. Immer mehr von den Neuen wollen unser Bestes. Wohnungen. Kitaplätze. Arbeitsplätze. Sitzplätze. Im Bus zum Beispiel. Und am Abend vor dem Reformationstag habe ich beim Bäcker geradeso die letzten sieben Brötchen ergattert. Welch symbolische Zahl. In ihr stecken die göttliche Dreifaltigkeit und die irdische Körperlichkeit – zwei Arme, zwei Beine. Potsdam ist magisch.

OB: Kollege, Sie können ja richtig lyrisch!

Baudezernent: Also von unserer Seite haben wir alles versucht. Die ganzen Baustellen – denken Sie, da haben wir Spaß dran? Alles nur Barrikaden gegen den Eindringling.

Pressesprecher: Haben wir zum Baustellenmanagement nicht gerade ein Softwareupdate eingekauft?

OB: Wer kam denn auf diese Schnapsidee?

Baudezernent: Termine bei der KFZ-Zulassungsstelle gibts aber nur für ganz Hartnäckige. MRT-Termine übrigens auch. Mal gucken ... Fußballplätze und Bootsanlegeplätze sind aus, und Parkplätze – die werden schon lange limitiert, oder sie sind richtig teuer. Wir reißen sogar schon intakte Häuser ab. Die Bombe war ja leider nicht mehr zu verlegen. Nein, sorry, kleiner Scherz.

Stadtwerkevertreter: Wir haben uns auch aus diesem Grund entschieden, das Stadtwerkefest den Schmarotzern, diesen Sympathisanten, diesen ortsfremden Möchtegern-Stimmungskanonen, die dann hier auf den Geschmack kommen und meinen, in Potsdam ist es immer so lustig, zu versemmeln. Die dürfen ab sofort Vergnügungszoll zahlen.

OB: Ganz ruhig. Es gibt ja schon die Bettensteuer. Und Schloss Babelsberg ist auch wieder dicht, einen Sommer lang glotzen reicht ja wohl. Im Park Sanssouci werden jetzt sogar Bäume angesägt und den Rest erledigen die Biber – Dämme bauen gegen den Feind. Eine ganz raffinierte Strategie. Eigentlich sind wir ganz gut aufgestellt, finde ich.

Pressesprecher: Ich hatte gerade einen Anruf, ein Besucher sagte, Potsdam im Licht sei ganz zauberhaft gewesen. Das Alte Rathaus, das Belvedere, das Nauener Tor ganz in Blau ...

OB: Danke, ich hab’s selbst gesehen. Zauberhaft. Potsdam im Licht war ein großer Fehler. Es lief so gut, aber plötzlich brauchen wir kunstvolle Festbeleuchtung? Bisher war immer klar: Kultur schön und gut, aber hinterher wird das Licht ausgemacht. So funktioniert das in der Schiffbauergasse seit Jahren. Und jetzt – über eine Hausfassade in der Ebertstraße schwirrten am Wochenende sogar bunte Bienchen! Haben wir nichts gelernt? ,Männer umschwirren mich, wie Motten das Licht’, sang die Dietrich damals in Babelsberg. Kein Wunder, wenn wir demnächst 180 000 werden. Ahhh – wie ruhig es doch heute ist in der evakuierten Stadt.

Sozialdezernent, summt: Und wenn sie verbrennen, ja dafür kann ich nichts.

OB, greift zum Telefon: Schwitzke? Entschärfen Sie, es hilft ja nichts.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg.

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