zum Hauptinhalt

Olaf Scholz tritt in Potsdam an: Der bescheidene Gladiator

Die SPD wählt Bundesfinanzminister Olaf Scholz in Ludwigsfelde mit überwältigender Mehrheit zum Direktkandidaten für den Potsdamer Bundestagswahlkreis 61. Zwei Mitbewerber zogen ihre Kandidatur zurück.

Von Carsten Holm

Potsdam/Ludwigsfelde - Es ist seine Sache nicht, wie ein Gladiator durch die Arena zu schreiten und allen brusttrommelnd zu zeigen, wer in diesem Augenblick der wichtigste Mensch am Platze ist. Bundesfinanzminister Olaf Scholz, einer der wenigen noch verbliebenen Granden der Sozialdemokratie, tritt bescheiden und leise auf - manche finden: zu bescheiden und zu leise. Seine größte sichtbare Gefühlsregung: ein verschmitztes Lächeln. Am Freitag (30.10.) aber war ein solch authentischer, Scholz-typischer Auftritt ideal, um die überwältigende Mehrheit der Delegierten im Klubhaus von Ludwigsfelde zu überzeugen. Sie wählten ihn mit 92 von 98 gültigen Stimmen zum Direktkandidaten für den Wahlkreis 61 (Potsdam, Teile Potsdam-Mittelmarks und Teltow-Flämings) bei der Bundestagswahl im Herbst 2021.

Scholz versuchte, Optimismus zu verbreiten

Scholz gestikuliert zumeist sparsam, die oberen Extremitäten bleiben im Ruhezustand. In Ludwigsfelde aber hatten seine Hände während der für seine Verhältnisse geradezu kämpferischen Rede ausgesprochen viel zu tun. Er streichelte die sozialdemokratischen Seelen („Wir müssen es schaffen, dass die Gesellschaft nicht immer weiter auseinander geht”), erteilte Forderungen nach Steuererleichterungen für Spitzenverdiener eine Absage („Mann, Leute, wir geben Milliarden an Steuergeldern aus, auch für Unternehmen”), gab ein Versprechen für seine Wahlkreisbürger ab („Sie werden immer mit mir sprechen können”) und versuchte, Optimismus zu verbreiten: „Unsere Umfragewerte sind nicht gut. Aber wir sind angetreten zum Spiel, die anderen streiten noch um die Mannschaftsaufstellung.” Er sei „überzeugt, dass wir ein Ergebnis von deutlich über 20 Prozent bekommen”.

Ursprünglich hatten sich außer Scholz eine Frau und drei Männer der Wahl zum SPD-Direktkandidaten in dem Wahlkreis gestellt, den Manja Schüle (SPD), die heutige brandenburgische Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur, 2017 in einem Kopf-an-Kopf-Rennen gegen Saskia Ludwig (CDU) gewonnen hatte. Es waren engagierte, jüngere Sozialdemokraten wie Friederike Linke aus Kleinmachnow, eine promovierte Historikerin und stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Kommunalparlament. Auch der Potsdamer Alexander Lamprecht trat an, Justitiar im Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten. Der Potsdamer Benedic Oliver Schmeil-Moore, Referent im Bundesverkehrsministerium, kämpfte ebenso um Stimmen wie Justus von der Werth, Diplom-Ingenieur und unter anderem Betreiber des Cafés Eden im Park von Sanssouci.

Dass Linke zurückzog, fand mancher Genosse schade

Überraschend zogen zwei der vier Scholz-Herausforderer, Linke und Lamprecht, ihre Bewerbung in der Vorstellungsrunde zurück. „Ich will, dass der nächste deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz heißt. Das geht nur, wenn wir ihn geschlossen als Direktkandidaten unterstützen”, rief Linke in den Saal. Das fand mancher Genosse schade, weil sie in den vergangenen Monaten während etlicher Besuche der Kandidaten in Ortsvereinen offenbar den profiliertesten Eindruck gemacht hatte - und, wenn ein Meinungsbild erfragt wurde, nach Scholz am besten abschnitt. „Man wird noch von ihr hören und lesen”, sagte ein Insider den PNN. Auch Lamprecht gab auf, bevor das Rennen richtig angefangen hatte. Mit Scholz' Nominierung sei für ihn klar gewesen, „dass ich mich gegen den Kanzlerkandidaten nicht stellen werde”. Er wolle ihm „keine Stimmen wegnehmen”, sagte er den PNN.


Die Demonstration von Geschlossenheit gelang. Schmeil-Moore erhielt fünf Stimmen, von der Werth eine. Ob das schlechte Ergebnis beider daran lag, dass sie bei ihrer zehnminütigen Selbstdarstellung auch deutliche Kritik äußerten, blieb offen. Schmeil-Moore nahm sich die Parteioberen im Landesverband vor, weil sie basisdemokratische Ansätze vermissen ließen - bei der Inthronisierung von Olaf Scholz als auch bei der des neuen Generalsekretärs David Kolesnyk. „Wir haben gezeigt: Wir können Hinterzimmerpolitik”, sagte Schmeil-Moore.
Seinen ganzen Mut aufbringen musste Justus von der Werth, um Kritik loszuwerden. „Ich rechne mir überhaupt keine Chance aus”, hatte er den PNN schon am Freitagnachmittag, ein paar Stunden vor der Wahl, gesagt, „aber Wettstreit gehört zur Demokratie”. Auf der Bühne gab er preis, „dass mir immer die Hosen schlottern, wenn ich hier oben stehe”, aber dann legte er mutig los und geißelte Finanzskandale wie den um die Hamburger HSH Nordbank und Cum Ex. Den Namen des Bundesfinanzministers, der in diesen Zusammenhängen oft genannt wurde, sparte er aus – er wollte den Frieden im Saal von Ludwigsfelde offenbar nicht gefährden. Allein, als er sagte: „Es nagt an der Moral. Deswegen möchte ich auch gegen Olaf Scholz kandidieren”, war der Adressat seines Unmuts klar.
Die Stimmung trübte das nicht. Die Genossen hatten sich zur Wahl des Direktkandidaten verabredet, nicht zur Aufarbeitung möglicher Versäumnisse des Kanzlerkandidaten.

Auf das Lametta verzichtete er 

Ein wahrhaftiger Vizekanzler in einer Mehrzweckhalle im ländlichen Berliner Speckgürtel - dieses Gefälle zwischen ihm und seinem Auditorium ließ Scholz niemanden spüren. Und er verzichtete auf das Lametta, mit dem er sich hätte schmücken können: SPD-Generalsekretär, Bundesarbeitsminister, Erster Bürgermeister in Hamburg, schließlich Bundesfinanzminister und Vizekanzler. Dann, im November 2019, der Dämpfer: die Niederlage im Duett mit der Potsdamerin Klara Geywitz gegen Walter Borjans und Saskia Esken im Mitgliederentscheid um den SPD-Vorsitz.

Doch das neue Vorsitzenden-Duo, zunächst lautstarke Gegner der Großen Koalition und Scholz-Skeptiker, sorgten schließlich lange vor der Wahl in Ludwigsfelde für starken Rückenwind. Plötzlich und unerwartet stellten   Esken und Bojans Scholz dann im August als Kanzlerkandidaten vor – wer sollte da im Wahlkreis 61 gegen ihn noch eine Chance haben? Dann stampfte auch Kulturministerin Manja Schüle (SPD) in ihrer Eröffnungsrede in Klubhaus kräftig zugunsten des Genossen Finanzminister auf: „So einer muss, soll und kann Bundeskanzler.”

Der Potsdamer Wahlkreis 61 gehört auch wegen der Prominenz von drei Direktkandidaten zu den spannendsten unter den zehn im Land. Gegen Scholz tritt die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock an, die Grünen-Kreisverbände des Wahlkreises hatten die Potsdamerin Ende September zur Direktkandidatin gewählt. Erwartet wird auch die Kandidatur der FDP-Bundestagsabgeordneten und Landesvorsitzenden Linda Teuteberg, die im September als Generalsekretärin der Liberalen abgelöst worden war. Für die CDU bewirbt sich die Bundestags- und Landtagsabgeordnete Saskia Ludwig erneut um das Direktmandat.

Am Schluss ließ Scholz erkennen, dass er mit der Sprache der Jüngeren um sie werben will: Er wolle diesen Wahlkreis gewinnen, sagte er, und dann nicht weniger als "Deutschland rocken”. 

Zur Startseite