zum Hauptinhalt
Blick in den Nikolaisaal.

© Sebastian Rost

Neujahrsempfang der Stadt Potsdam 2020: "Eine Bürgerstadt für Ost und West"

Der Neujahrsempfang 2020 der Landeshauptstadt Potsdam stand im Zeichen der Jubiläen der deutschen Geschichte. Es wurde unerwartet emotional.

Von Peer Straube

Potsdam - Es mag Zufall sein. Aber die beiden Persönlichkeiten, die sich in diesem Jahr ins Goldene Buch der Stadt eintragen durften, stehen symbolhaft für das Potsdam des Jahres 2020 – mit all seinen Konflikten, Brüchen – aber auch seinen Erfolgen, seiner Toleranz, seinen unterschiedlichen Biografien.

Auf der einen Seite die Linke Birgit Müller, geboren und aufgewachsen in der DDR, mit Unterbrechung fast zwei Jahrzehnte lang Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung. Auf der anderen Jann Jakobs, Sozialdemokrat aus dem Westen Deutschlands, der die Geschicke der Stadt gut 16 Jahre lang als Oberbürgermeister lenkte. Eine Potsdamer Ost- und eine West-Vita – und dieses Thema zog sich wie ein roter Faden durch den Empfang des Oberbürgermeisters am Samstag, der – angesichts eines bevorstehenden Jahres wichtiger Jubiläen – ganz im Zeichen der Zäsuren der jüngeren deutschen Geschichte stand.

Birgit Müller und Jann Jakobs eingerahmt von Peter Heuer, Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung und Nachfolger von Birgit Müller, sowie Mike Schubert, Potsdams Oberbürgermeister und Nachfolger von Jakobs, beim Neujahrsempfang 2020 der Landeshauptstadt Potsdam im Nikolaisaal (von links).
Birgit Müller und Jann Jakobs eingerahmt von Peter Heuer, Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung und Nachfolger von Birgit Müller, sowie Mike Schubert, Potsdams Oberbürgermeister und Nachfolger von Jakobs, beim Neujahrsempfang 2020 der Landeshauptstadt Potsdam im Nikolaisaal (von links).

© Sebastian Rost

Rathauschef Mike Schubert (SPD), selbst im Osten aufgewachsen und nach gut einem Jahr im Amt auf deutlich linkerem Kurs als sein Vorgänger Jakobs, beschwor in seiner Rede einmal mehr das, was seine Amtszeit möglichst prägen soll: Potsdam möge von einer Kultur des unversöhnlichen Streits zu einer des demokratischen Dialogs und des Kompromisses finden. Die „normalen“ Bürger der Stadt – rund 300 und damit die Hälfte der anwesenden Gäste – waren erstmals zu dem Empfang eingeladen worden, der, bekanntlich auch das eine Premiere, aus diesem Grund an einem Samstag im Nikolaisaal ausgerichtet wurde.

Schubert rief die Bürger ausdrücklich auf, sich an allen stadtgesellschaftlichen Debatten zu beteiligen. Die Menschen müssten einander mit „Respekt und Toleranz“ begegnen, mahnte er. Es gehe ihm um ein „modernes ,Jeder nach seiner Façon’, sagte Schubert in Anspielung auf den berühmten Ausspruch Friedrichs II. Kompromisse seien nur möglich, wenn alle Seiten Zugeständnisse machten. Dies sei vor allem im Hinblick auf die Streitthemen der Stadtentwicklung nötig, die in Potsdam seit Jahrzehnten mit besonderer Härte ausgetragen werden.

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) .
Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) .

© Sebastian Rost

Schubert bekräftigte dabei seinen Kurs, nicht mehr ausschließlich auf eine Rückbesinnung auf das einst barocke Antlitz der Stadt zu setzen. Man müsse Wege finden, die „Altes, Bestehendes und Neues“ verbinde. Das gelte für seinen Vorschlag, anstelle des Schiffs der Garnisonkirche ein Demokratiezentrum für die Jugend zu errichten, ebenso wie für das von ihm angestoßene Projekt der Wiedergewinnung des Stadtkanals. Noch in diesem Jahr wolle er dafür mit der Bürgerbeteiligung beginnen, im Fokus werde der Abschnitt zwischen Hauptpost und Berliner Straße stehen, wo es gelte, aus einem „betonierten Parkplatz einen Ort zum Verweilen, Sitzen und Planschen“ zu machen.

Mit einer Schweigeminute gedachten die Anwesenden dem Ende letzten Jahres verstorbenen, langjährigen Ministerpräsidenten Brandenburgs, Manfred Stolpe (SPD). Schubert würdigte ihn als ein „Vorbild für viele Generationen“. Es sei Stolpes Verdienst, dass sich heute viele Brandenburger mit ihrem Land identifizierten. Er habe stets nach Kompromissen, nach dem Verbindenden in der Gesellschaft gesucht. Mit Stolpe verliere Potsdam eine „Stimme, die in den Konflikten der Stadtgestaltung gehört wurde“.

Manja Schüle (SPD, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg) 
Manja Schüle (SPD, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg) 

© Sebastian Rost

Brandenburgs neue Kulturministerin Manja Schüle (SPD) spannte in einer überraschenden, teils sehr persönlichen Rede den Bogen von den Zusammenhängen der Geschehnisse der ersten Nachwendejahre mit den gesellschaftlichen Konflikten der Gegenwart. Als damals 13-Jährige, die in einer Plattenbausiedlung in Frankfurt (Oder) lebte, habe sie die Friedliche Revolution als „großen Aufbruch empfunden“. Erst später habe sie verstanden, dass diese Zeit für viele ältere Ostdeutsche auch ein Zusammenbruch gewesen sei, sagte Schüle. Es habe einen „ökonomischen Kollaps gegeben, der in seiner Schnelligkeit vielleicht einzigartig“ gewesen sei, so die Ministerin. Familien seien aus wirtschaftlichen Gründen auseinandergerissen worden. 

Sie selbst, Jahrgang 1976, gehöre einer Generation an, in der Eltern ihren Kindern oft nicht den nötigen Halt geben konnten, weil sie selbst orientierungslos gewesen seien. Sie habe das Erstarken des Rechtsradikalismus in den 1990er-Jahren erlebt, die „Baseballschlägerjahre“, in denen Menschen anderer Herkunft verfolgt und angegriffen wurden. Nicht zuletzt deswegen sei Potsdam ihre neue Heimat geworden, eine Stadt, die für die Verknüpfung von Toleranz und Solidarität stehe, sagte Schüle. In einer Zeit, wo rechtsextreme Positionen wieder lautstark zu vernehmen sind, sei „Potsdam ein Beispiel dafür, wie man es schaffen kann“. Aus einer alten Militär- und Garnisonstadt sei eine „Bürgerstadt geworden, in der Ost und West zusammenleben“ und gemeinsam über ihre Geschicke bestimmen, sagte Schüle, die für ihre Rede den größten Beifall des Nachmittags erhielt.

Die Zukunft liegt an uns

Hauptredner Martin Sabrow, Direktor des Potsdamer Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF), sprach über die Bedeutung der Jubiläen, die in diesem Jahr in Deutschland gefeiert werden, und die mit den Zäsuren der deutschen Geschichte verbunden sind. Sein Fazit verhieß Hoffnung: Die „zunehmende politisch-kulturelle Spaltung der Gesellschaft“ sei zwar besorgniserregend, werde aber die „Akzeptanz und Stabilität der 70-jährigen Demokratie in Deutschland nicht infrage stellen“, sagte der Historiker. „Die Zukunft ist offen – sie lässt sich gewinnen und lässt sich verlieren, immer aber liegt sie in uns selbst.“

Martin Sabrow, Hauptredner beim Neujahresempfang 2020 der Stadt Potsdam.
Martin Sabrow, Hauptredner beim Neujahresempfang 2020 der Stadt Potsdam.

© Sebastian Rost

Unerwartet emotional verlief am Ende des Empfangs die Ehrung von Birgit Müller und Jann Jakobs mit einem Eintrag ins Goldene Buch, bei der beide Politiker sichtlich mit den Tränen der Rührung zu kämpfen hatten. Schubert lobte Müller für die Fairness und die Überparteilichkeit, mit der sie im Laufe der Jahrzehnte rund 200 Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung geleitet habe. Er dankte ihr auch für ihr ehrenamtliches Engagement im Freundeskreis Potsdam-Luzern, der die Bande mit der Schweizer Partnerstadt pflegt.

Blick auf Weichenstellungen

In der Laudatio auf seinen Amtsvorgänger Jann Jakobs verwies Schubert auf dessen Erfolge bei der Stadtentwicklung. Jakobs sei 1993 als Jugendamtsleiter nach Potsdam gekommen, eine Zeit, in der die Bevölkerung schrumpfte, die Zahl der Geburten zurückging und Kitas geschlossen werden mussten, sagte Schubert. Seine Agenda, Potsdam müsse wachsen und attraktiver werden, habe Jakobs voll erfüllt. „Du hast für deine Zeit die Antworten gegeben“, sagte Schubert mit Blick auf die Weichenstellungen seines Vorgängers zur Potsdamer Mitte und zur Entwicklung neuer Wohngebiete – jeweils Dinge, in denen Schubert selbst bekanntlich einen anderen Kurs fährt. In einem Bereich sei Jakobs aber bis jetzt sein unbedingtes Vorbild: bei seiner Haltung gegen Rechts, die zur Gründung des Bündnisses „Potsdam bekennt Farbe“ geführt habe.

Gut gefüllt: Das Foyer im Nikolaisaal.
Gut gefüllt: Das Foyer im Nikolaisaal.

© Sebastian Rost

Es sei ihm eine „ganz große Freude“ gewesen, für Potsdam zu wirken, und er sei „dankbar für die „sechszehneinhalb Jahre, die ich hier Oberbürgermeister sein durfte“, sagte Jakobs in seiner Dankesrede. Einen Seitenhieb auf die Politik des Neuen konnte er sich dennoch nicht verkneifen: Er verfolge die Entwicklungen in Potsdam nun mit „großer Gelassenheit, auch solche, wo man denkt, ist das jetzt richtig? – Wird schon so sein, aber vielleicht ändert sich das ja nochmal.“

Zur Startseite