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Sammler. Siegfried Lieberenz (oben) hat Mineralien gesammelt und sie dem Naturkundemuseum geschenkt. Seine Gipsrose ist nun eines von 250 000 Sammlungsobjekten.

©  A. Klaer

NATURKUNDEMUSEUM: Gesammelte Werte Direktor fürchtet zweites Köln

In seiner Wohnung archiviert Siegfried Lieberenz die Vergangenheit, aber nicht ohne Internet

Er musste sich entscheiden. Potsdam oder die Mineralien. „Es war ein Raumproblem“, sagt Siegfried Lieberenz. In den Zweieinhalb-Zimmern seiner DDR-Neubau-Wohnung hatten beide Sammlungen keinen Platz. Potsdam hat gewonnen. Er liebt die Stadt. Er ist hier geboren, hat hier als Zehnjähriger in einem Bunker die Bombennacht von 1945 überlebt. Er hat hier als junger Mann geheiratet und eine Familie gegründet und sich Ende der 80er mit Gleichgesinnten vom Neuen Forum in der Erlöserkirche getroffen, um danach auf den Straßen gegen das DDR-Regime zu demonstrieren.

Und so räumte Siegfried Lieberenz vor einem Jahr drei Vitrinen und einen Schrank leer, packte Stein für Stein in Kisten. 800 Stück. „Mineralien“, sagt Siegfried Lieberenz. So als könnte das schlichte Wort Stein nicht die Schönheit und Magie der kristallenen Gebilde seiner Sammlung beschreiben.

Die Mineralien liegen jetzt in einem 2,10 Meter hohen verschlossenen Archivschrank im Magazin des Naturkundemuseums in der Hebbelstraße. Dem hat Lieberenz seine Sammlung geschenkt. „Wir sind sehr glücklich. Er hat eine große Lücke gefüllt“, sagt Museumsdirektor Detlef Knuth, wenn man ihn danach fragt. Während des Zweiten Weltkrieges sind die Sammlungen des Naturkundemuseums verschwunden. Niemand weiß, wohin. Rund 70 000 Objekte soll das Museum vor dem Krieg besessen haben – Bürger hatten sie der Stadt geschenkt. Bürger wie Siegfried Lieberenz.

Der sitzt jetzt auf einem kleinen Hocker in dem schlauchartigen Zimmer, das sich früher seine beiden Töchter als Kinderzimmer teilen mussten. „Hier ist mein Hobbyzimmer“, sagt Lieberenz. Der 73-Jährige sitzt in Strümpfen da, aber mit frischgebügeltem Hemd und Hose. Ein Mann mit wenigen weißen Haaren, aber hellen, wachen Augen. Er spricht deutlich und ruhig, als würde er jedes Wort bedachtsam wählen. Und meistens lächelt er dabei.

„Ich behaupte, dass ich jedes Haus in Potsdam kenne“, sagt er. Wahrscheinlich stimmt das. In den Schränken, die noch im vergangenen Jahr die Mineralien beherbergten, stehen jetzt Aktenordner mit Potsdam-Postkarten aus verschiedenenen Jahrhunderten und Karteikistchen mit Fotografien der einzelnen historischen Gebäude. Alles akribisch beschriftet. Er hatte alle abgelichtet. Lieberenz fotografiert viel. Sobald irgendwo ein Haus saniert wird, radelt er mit seiner Kamera dorthin.

Er nimmt sie manchmal sogar mit zum Einkaufen. „Es kann ja immer mal eine Kutsche vorbeikommen oder ein Feuer ausbrechen“, erklärt er. Und heute mit der ganzen Digitaltechnik sei es ja auch kein Problem. In einer Stunde seien die Fotos fertig. Er macht das alles selbst. Vor zwei Jahren haben er und seine Frau Christa ihren Kleingarten auf Hermannswerder verkauft. Der Rücken. Das Geld reichte für einen Skoda und den Computer samt Drucker. „Ich habe mir alles selbst beigebracht“, sagt Siegfried Lieberenz. Siegfried Lieberenz, der in den 58 Quadratmetern seiner Wohnung das alte, preußische Potsdam archiviert und Steine aus prähistorischen Zeiten gesammelt hat, ist ein Mann der Gegenwart. Er googelt und nutzt Wikipedia. Er hat einen Hometrainer und nimmt für seine Frau die Wäsche von der Leine.

Seiner Wohnung sieht man das allerdings nicht sofort an. Überall hängen Öl- und Acrylgemälde des Alten Potsdams. Sogar über dem Ehebett: Die historische Potsdamer Mitte ist darauf zu sehen. Lieberenz hat sie alle selbst gemalt. Und die niedrige Decke des Wohnzimmers zieren Stuckleisten mit Rosengirlanden – ein Gründerzeitmotiv. Früher war Siegfried Lieberenz Stuckateur. Und als sie 1960 in das Haus in der Behlertstraße zogen, wollte die Familie wenigstens im Wohnzimmer nicht „auf die olle Neubaudecke gucken“. Im Keller hat er sich jetzt eine kleine Werkstatt eingerichtet. Dort baut er im Winter Holzmodelle von Potsdamer Gebäuden. Die Häuschen von Alexandrowka hat er gebaut, drei Mal die Garnisonkirche, das Gebäude der Staatskanzlei und zuletzt das Pumpwerk an der Breiten Straße. Die kleine Moschee steht noch in der Ecke seines Büros. Alle anderen Modelle hat er an Museen verschenkt oder verkauft. Das Modell der Staatskanzlei etwa steht heute im Original. 1000 Euro hat er dafür genommen. „Es ist ein Hobby, ich will nicht wirklich Geld damit verdienen“, erklärt er. Im Keller hängen über dem Arbeitstisch noch die Aufrisse des Pumpwerks.

„Ein bisschen vermisse ich meine  Mineralien schon“, sagt Lieberenz. Er hat sie nicht nur gesammelt. Er hat sie gesucht. Und die meisten auch gefunden. Er hat in brandenburgischen Tagebauen und Tongruben nach ihnen gebuddelt – mit den Händen.

Meisten fuhr er im Frühling hin. Im Sommer werden Erde und Ton sonst zu hart. Lieberenz muss mit einem Stöckchen die Grubenwände durchstochern. „Am besten ist es, wenn es ein, zwei Tage vorher geregnet hat. Dann ist der Boden schön weich“, sagt Lieberenz. Jedesmal, wenn Lieberenz’ Stöckchen gegen einen Widerstand stieß, begann sein Herz schneller zu schlagen. Dann gruben seine Finger nach dem, was da in der Millionen Jahre alten Erdschicht steckte, die die Bagger an die Oberfläche befördert hatten.

Und manchmal hatte er richtig Glück. 1990 fand er eine Gipsrose in einer Tongrube in Bad Freienwalde. Ein grünlicher Kristallstern. 30 Zentimeter Durchmesser. Ein seltenes Stück. Eine riesige Freude habe er damals empfunden. Daheim hat er die Gipsrose in der Badewanne mit einem Pinsel reingeputzt und abgeduscht – „damit sie glänzt.“

Später einmal will er auch seine Potsdam-Sammlung verschenken. An das Potsdam -Museum. Und was ist sein Antrieb? „Meine Kinder wollen das alles nicht haben“, erklärt er. „Papa, kümmere Dich noch rechtzeitig darum, wer das alles bekommen soll“, hätten sie ihm gesagt. Ein wenig sammle er aber auch, weil so auch etwas von ihm bleiben wird, sagt er.

In den nächsten Wochen will sich Lieberenz mit jemandem vom Potsdam-Museum treffen, um seine Aktenordner durchzusehen. Dass er sie dem Museum vererbt, wird aber voraussichtlich noch mindestens 19 Jahre dauern. 102 Jahre will Siegfried Lieberenz alt werden. In Potsdam.

Die Risse in den Wänden des Museumsarchiv in der Hebbelstraße 1 werden immer breiter. Zwar soll das Magazin des Naturkundemuseums in einigen Jahren in die bis dahin zu sanierende Breite Straße 11 ziehen – direkt neben das Museum in der  Nummer 13. Denn die frühere Feuerwache in der Hebbelstraße will die Stadt verkaufen. Aber bis 2014 soll es in dem Provisorium bleiben. „Das sehe ich kritisch“, sagte Museumsdirektor Detlef Knuth gestern in einem Pressegespräch. Der Grund: Direkt nebenan soll ein Parkhaus für das Bergmann-Klinikum entstehen. Für das Fundament des Neubaus müsste der Boden trockengelegt werden. Dadurch würde auch in der Hebbelstraße 1 der Grundwasserspiegel sinken. „Wenn der dann trockene Boden nachgibt, sinkt auch das Fundament unseres Gebäudes“, erklärte Knuth seine Befürchtungen. Möglicherweise müsste das Magazin dann auf einen Schlag ausziehen. Solch ein ungeordneter Auszug wäre schlecht für die Objekte. Rund 1,6 Millionen Euro würde laut Knuth die Sanierung der Breiten Straße 11 kosten. Bislang hat sein Haus aber noch kein Geld dafür erhalten. Die Politik halte dies bislang nicht für nötig. 2012 wolle die Stadt aber 200 000 Euro für neue Bauplanungen ausgeben. Drei Magazinstandorte hat das Naturkundemuseum derzeit für seine 250 000 Sammlungsobjekte – neben der Hebbelstraße und das Museumsgebäude selbst noch einen Flachbau am Buchhorst. Da die Stadt auch diesen verkaufen will, muss auch dieses Magazin umziehen, bis 2010 zum Landesumweltamt nach Groß Glienicke. Bereits in diesem Jahr soll der Umzug beginnen. 2008 hat das Museum zumindest 65 000 Euro zur Optimierung seiner bestehenden Magazine erhalten. 23 000 Euro hat es bis jetzt ausgegeben für neue Regale auf Schienen mit Platz für mindestens 1000 Vogelpräparate.

Juliane Wedemeyer

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