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Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz.

© Ottmar Winter

Nach der Gewalttat im Oberlinhaus: Mit der Fassungslosigkeit umgehen

Angehörige und Mitarbeitende, aber auch Nachbarn stehen nach der blutigen Tat mit vier Toten im Oberlinhaus unter Schock. Was zwei Potsdamer Notfall-Seelsorger:innen jetzt raten.

Potsdam - Nach der gewaltsamen Tötung von vier Menschen im Babelsberger Oberlinhaus stehen Angehörige, Oberlin-Angestellte und die Stadtgesellschaft unter Schock. Viele Potsdamer:innen zeigten Anteil, dutzende Blumen und Beileidsbekundungen wurden vor Ort in der Rudolf-Breitscheid-Straße abgelegt.

Auch im Oberlinhaus selbst rückt man zusammen: „Das ist eine große, familiäre Gemeinschaft, umso größer ist das Entsetzen und das Unverständnis“, sagt der Potsdamer Notfallseelsorger Jörg Reichert, der am Tag nach der Tat vor Ort mit einigen Betroffenen gesprochen hat. „Es gibt ohnehin einen sehr engen Schulterschluss zwischen Mitarbeitern und Bewohnern, jetzt natürlich noch viel mehr.“  

Besonders schwer ist es jetzt für die Angehörigen der Opfer: „Das ist ein Schock - die Welt steht still, auch noch Stunden, Tage oder Wochen danach, das kann ganz unterschiedlich sein“, sagt Rosmarie Priet, Leiterin der Opferberatung und Trauma-Ambulanz Potsdam. In dieser Zeit, in der langsam das Begreifen des Verlustes eintrete, sähen sich die Angehörigen sehr intensiven Gefühlen ausgesetzt: Trauer, Wut und die ständige Frage nach dem Warum. „Der Wunsch danach, zu verstehen, ist verständlich, doch für Erklärungsversuche ist es jetzt noch zu früh“, sagt Reichert.

Es ist gut zu zeigen, dass man Anteil nimmt

Viele wollen den Betroffenen gerne helfen und das sei auch wichtig, sagt Priet: „Es ist immer gut, zu zeigen, dass man Anteil nimmt, dass man da ist.“ Es sei gut, sich als Ansprechpartner:in oder Zuhörer:in anzubieten, doch man sollte es beim Angebot belassen und seine Hilfe nicht aufdrängen, sagt Priet: „Jeder hat da sein eigenes Tempo.“

Reichert rät: „Einfach da sein und vielleicht anbieten, ein paar praktische Handgriffe im Alltag zu übernehmen. Das Vermitteln von mitmenschlicher Nähe ist gerade am wichtigsten.“ Wer trauernde Freunde oder Verwandte im Bekanntenkreis hat, sollte daran denken, dass diese auch noch viele Tage und Wochen nach dem Tod ihrer Angehörigen Unterstützung bei der Trauerbewältigung benötigen.

Für alle weiteren Betroffenen, vor allem Bewohner:innen und Mitarbeiter:innen des Oberlinhauses, sei es wichtig, dass es Möglichkeiten für die gemeinsame Aussprache gibt, in denen man sich von seinen Gedanken und Gefühlen entlasten könne, sagt Priet: „Man braucht Räume, um mit der Fassungslosigkeit umzugehen.“

Auch in den kommenden Tagen und Wochen, wenn nähere Details der Tat bekannt werden und sich zu Bildern manifestieren, seien vorbeugende Gruppengespräche wichtig. „Diese Bilder können eine traumatische Qualität haben und es ist wichtig, darauf aufzupassen, dass sie sich wieder auflösen können“, sagt Priet.

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Für alle, die nicht unmittelbar betroffen sind, die aber dennoch ihr Mitgefühl zeigen wollen, sei es eine gute Bewältigungsstrategie, am Tatort Blumen oder andere Gegenstände abzulegen: „Es ist gut und richtig, das zu tun“, sagt Priet. Zum einen könne man so selbst etwas tun, um seinem Schmerz Ausdruck zu verleihen und es sende ein wichtiges Zeichen an die Hinterbliebenen. Reichert sieht das ähnlich: „Solche Symbole und Rituale sind sehr wertvoll.“

Hilfe bei Trauma-Ambulanz und Opferberatung

Wer spürt, dass er mit seinen Gefühlen und Gedanken alleine nicht klarkommt, kann sich an eine Beratungsstelle wenden: Die Opferberatung und Trauma-Ambulanz Potsdam ist genau darauf spezialisiert, Menschen nach Verlusterfahrungen zu betreuen und aufzufangen. „Man sollte nicht zögern, dieses Angebot in Anspruch zu nehmen“, sagt Priet.

Die Trauma-Ambulanz befindet sich in der Jägerstraße 36 in Potsdam und ist unter der Telefonnummer 0331 280 2725 erreichbar, die Öffnungszeiten sind am Montag zwischen 12 und 16 Uhr sowie am Mittwoch zwischen 15 und 19 Uhr.

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