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Von den Ereignissen in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof distanzieren sich Potsdamer Flüchtlinge.

© dpa

Nach den Übergriffen in Köln: Offener Brief von Flüchtlingen in Potsdam: "Wir sind tief erschüttert"

Flüchtlinge in Potsdam distanzieren sich mit einem offenen Brief deutlich von den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln. Hier können Sie den Brief nachlesen.

Potsdamer Flüchtlinge distanzieren sich in einem offenen Brief von den Silvester-Übergriffen auf Frauen. „Wir sind tief erschüttert von den Taten in Köln und anderen deutsche Städten“, heißt es in dem am Mittwoch veröffentlichten Schreiben, dass laut der Initiative Flüchtlingshilfe Babelsberg bisher 24 Asylbewerber aus Syrien und Afghanistan unterschrieben haben. Damit noch mehr unterschreiben, kursiert das Papier derzeit in den Asylunterkünften der Stadt, so die Flüchtlingshilfe. Entworfen habe es der in Babelsberg lebende Syrer Amin Aljarmakami.

„Wir bitten Sie herzlich, uns nicht mit den Gewalttätern der Silvesternacht gleichzusetzen“, heißt es an anderer Stelle des Briefs. Denn zwar seien „ohne Zweifel“ auch „viele Menschen aus unseren Heimatländern“ unter den Tätern. Gerade dies „erfüllt uns mit Scham und wir verstehen, dass Sie, verehrte Potsdamerinnen und Potsdamer, sehr verunsichert sind. Deutschland hilft selbstlos und wird Opfer gewissenloser Gewalttäter. Das ist für uns unerträglich und wir bitten Sie im Namen aller Geflüchteten um Entschuldigung.“

Flüchtlinge danken Potsdamern

Betont wird in dem Schreiben: „Wir achten und bewundern Ihre Rechtsordnung und Ihre Werte. Wir haben allerhöchsten Respekt vor den deutschen Gesetzen.“ Man wolle es nicht tolerieren, wenn Geflüchtete die „persönliche Unversehrtheit der Frau missachten“, heißt es weiter. Mehrfach danken die Unterzeichner den Potsdamern: „Wir sind tief beeindruckt von der Hilfe, die wir von Ihnen erfahren.“ Der offene Brief ist im Internet unter fluechtlingshilfe-babelsberg.de zu finden, bald soll er auch in anderen Sprachen verfügbar sein.

Unterdessen haben die Stadtfraktionen von SPD, Linke, CDU/ANW, Grünen und Die Andere einen gemeinsamen Antrag zur Asylpolitik in Potsdam vorbereitet – um den Willen zu bekunden, die Herausforderungen zur Integration von Flüchtlingen zu stemmen. Der Vorstoß besteht aus dutzenden Ideen und Forderungen. Unter anderem sollen Maßnahmen geprüft werden, um zusätzlichen Wohnraum, auch für Flüchtlinge, zu schaffen – etwa durch eine aktive Beteiligung der Wohlfahrtsverbände an der Errichtung von Wohnungsverbünden.

Mehr Geld für die Integration von Flüchtlingen

Das Rathaus soll laut dem Papier klarstellen, wie angesichts neuer Aufgaben Doppelbelastungen vermieden werden können. Konkret soll etwa der Fachbereich Wohnen im Rathaus überprüfen, ob eine verstärkte Zusammenarbeit mit der städtischen Bauholding Pro Potsdam entlastend wirken kann. Ebenso müssten Lösungen für eine über die Stadt „gleichmäßig verteilte Beschulung“ von jungen Flüchtlingen gefunden werden, Schwerpunktschulen dürfe es nicht geben. Für Kitas soll die finanzielle Unterstützung für die Betreuung von Flüchtlingskindern bedarfsgerecht angepasst werden.

Geprüft werden soll laut dem Antrag die Integration von Flüchtlingen als ehrenamtliche Mitglieder in den Freiwilligen Feuerwehren und Hilfsorganisationen, ebenso sollen der Stadtsportbund und seine Mitglieder Konzepte zur Integration in Sportvereine entwickeln. Auch um ehrenamtliche Helfer geht es: Die Stadt soll sie in „geeigneter Form“ würdigen und für Schulungsangebote sorgen. Geprüft werden soll auch eine finanzielle Entschädigung.

Zur Förderung von Nachbarschaftsinitiativen sollen die bisher bereitgestellten Mittel von 150 000 Euro der Zahl von Flüchtlingen angepasst werden – also auch hier mehr Geld zur Verfügung stehen. Bereits am 27. Januar sollen die Maßnahmen beschlossen werden, eine Mehrheit dürfte sicher sein.

Der gesamte Brief zum Nachlesen:

Offener Brief der Potsdamer Flüchtlinge an die Potsdamer Bürgerinnen und Bürger wegen der Taten von Köln

Wir, die Unterzeichner, sind Geflüchtete aus unterschiedlichen Ländern, die Schutz in Potsdam gefunden haben. Die Taten von Köln sind der Anlass für diesen Offenen Brief.

Vor Terror und Krieg sind wir aus unseren Heimatländern geflohen. Viele von uns haben Ihre Familie für immer verloren. Überall sonst standen wir vor verschlossenen Türen, niemand hat uns Schutz gewährt. Sie, die Bürgerinnen und Bürger von Potsdam geben uns Schutz. Sie geben uns ein Bett und ein Dach über den Kopf, Sie bilden uns aus und ermöglichen uns zu studieren. Sie öffnen Ihre Herzen und Häuser, damit wir eine menschliche Zukunft haben. Viele von uns verdanken buchstäblich ihr Überleben dieser Gastfreundschaft, die Sie, sehr geehrte Potsdamerinnen und Potsdamer, uns gewähren, obwohl wir Ihnen fremd sind. Dafür stehen wir für immer in Ihrer Schuld. Worte können unsere Dankbarkeit nicht ausdrücken.

Deswegen sind wir tief erschüttert von den Taten in Köln und anderen deutsche Städten. Ohne Zweifel sind unter den Tätern auch viele Menschen aus unseren Heimatländern, die, wie wir, in Deutschland Schutz gefunden haben. Das erfüllt uns mit Scham und wir verstehen, dass Sie, verehrte Potsdamerinnen und Potsdamer sehr verunsichert sind. Deutschland hilft selbstlos und wird Opfer gewissenloser Gewalttäter. Das ist für uns unerträglich und wir bitten Sie im Namen aller Geflüchteten um Entschuldigung.

Wir bitten Sie herzlich, uns nicht mit den Gewalttätern der Silvesternacht gleichzusetzen. Wir achten und bewundern Ihre Rechtsordnung und Ihre Werte. Wir haben allerhöchsten Respekt vor den deutschen Gesetzen.

Teil Ihrer Rechtsordnung und Rechtskultur ist die Gleichstellung von Mann und Frau. Wir versprechen diese Gleichstellung zu achten und werden es nicht tolerieren, wenn Geflüchtete diese Gleichstellung durch Wort oder Tat infrage stellen oder gar die persönliche Unversehrtheit der Frau missachteten. Wir werden mit aller Macht verhindern, dass solche Worte und Taten aus unserer Mitte heraus geschehen. Dazu gehört auch die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden.

Dies ist für uns selbstverständlich Grundlage des großzügigen Gastrechts welches Sie uns gewähren.

Sehr geehrte Potsdamerinnen und Potsdamer, wir sind tief beeindruckt von der Hilfe, die wir von Ihnen erfahren. Sie bringen uns warme Kleidung, lehren uns Ihre Sprache, kümmern sich um unserer Kinder und laden uns in Ihre Familien ein. Sie sorgen dafür, dass wir Ihre Werte und Kultur erlernen. Dafür sind wir zutiefst dankbar.

Potsdam ist eine großartige Stadt mit einer wunderbaren Bevölkerung. Wir werden alles unternehmen, um Potsdam durch fleißige Arbeit und Rechtschaffenheit voranzubringen.

Erstunterzeichner:

1. zugleich Verfasser: Amin Aljarmakami, Potsdam-Babelsberg, Swaida (Syrien)

2. Alameen Alaissami, Potsdam-Babelsberg, Swaida (Syrien)

3. Mohammed Hosam Gawish, Potsdam-Babelsberg, Damaskus (Syrien)

4. Mohamod Gawis, Potsdam-Babelsberg, Damaskus (Syrien)

5. Ahmad Almasri, Potsdam-Babelsberg, Damaskus (Syrien)

6. Wassem Jawish, Potsdam-Babelsberg, Damaskus (Syrien)

7. Murhaf Jawish, Potsdam-Babelsberg, Damaskus (Syrien)

8. Hussein Khalil, Potsdam-Babelsberg, Damaskus (Syrien)

9. Wael Nahas, Potsdam-Babelsberg, Homs (Syrien)

10. Basel Murei, , Potsdam-Babelsberg,, Damaskus (Syrien)

11. Sami Alkawarit, , Potsdam-Babelsberg, Damaskus (Syrien)

12. Ali Khaddam, Potsdam-Babelsberg, Damskus (Syrien)

13. Abdullah Shasha, Potsdam-Babelsberg, Aleppo (Syrien)

14. Ziad Khlif, Potsdam-Babelsberg, Damaskus (Syrien)

15. Suleiman Alkhaled, Potsdam-Babelsberg, Damaskus (Syrien)

16. Yahia Yakan, Potsdam-Babelsberg, Aleppo (Syrien)

17. Mazen Seed, Potsdam-Babelsberg, Swaida (Syrien)

18. Mohammed Altall, Potsdam-Babelsberg, Damaskus (Syrien)

19. Amer Khattab, Potsdam-Babelsberg, Damaskus (Syrien)

20. Faisal Okla, Potsdam-Babelsberg, Al-Hassak (Syrien)

21. Ali Okla, Potsdam-Babelsberg, Al-Hassak (Syrien)

22. Mukhtar, Potsdam-Babelsberg, Afghanistan

23. Taseel-Khan, Potsdam-Babelsberg, Afghanistan

24. Mirsakol Htak, Potsdam-Babelsberg, Afghanistan

Mehr zu dem Thema lesen Sie in der Freitagsausgabe der Potsdamer Neuesten Nachrichten

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