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Mysteriöse Todesfälle: "Extrem aufwendig"

Der Röntgenexperte Theobald Fuchs erklärt, welche Probleme bei der Suche nach einem einbetonierten Leichnam in der Humboldtbrücke auftreten würden.

Herr Fuchs, Sie sind Experte für Röntgentechnik. In Potsdam gibt es den Verdacht, dass ein 1977 vermisster Junge während des damaligen Baus der Humboldtbrücke einbetoniert wurde – sei es nach einem Verbrechen oder einem Unfall. Lässt sich eine Brücke nach einem Leichnam durchleuchten?

Theoretisch ja. Das wäre aber ein extrem aufwendiges Verfahren mit immensen Kosten und ungewissen Aussichten.

Aber möglich wäre es?

Ja. Dazu gibt es drei Verfahren, die zum Beispiel auch in der Medizin eingesetzt werden. Einmal wäre der Einsatz von Röntgenstrahlen oder der sogenannten Röntgen-Rückstreutechnik denkbar. Ebenso könnte man mit einem Bodenradar in Verbindung mit einer Ultraschallanlage arbeiten. Das Durchleuchten von Brücken wird in der Praxis seit einigen Jahren auch praktiziert, um die Lebensdauer solcher Bauwerke zu verlängern. Es geht dabei darum, mit moderner Technik Schwachstellen zu entdecken und beheben zu können, um keine Brücke abreißen und neu bauen zu müssen. Allerdings ist diese Technik noch sehr teuer.

Der Reihe nach: Was hat es mit dieser Bodenradar-Ultraschalltechnik auf sich?

Die beiden Verfahren existieren auch für sich alleine, sie werden nur gerne parallel angewendet, da eine sogenannte „multi-modale“ Bildgebung mehr Informationen liefert als die Summe der einzelnen Verfahren. Mit so einem Koppelgerät werden elektromagnetische und Ultraschallwellen in den Beton gesendet. Je nachdem, wie die Wellen reflektiert werden, lässt sich zum Beispiel erkennen, ob Eisen oder ein anderer Stoff hinter dem Beton liegt – oder ob es Löcher und andere Unregelmäßigkeiten gibt. Allerdings ist das ganze Verfahren aufwendig, ein Wagen mit den Geräten müsste die Brücke Punkt für Punkt abfahren. Dazu müsste noch ein extra Gefährt oder ein Roboter entwickelt werden, der die Pfeiler und das Fundament der Brücke abfahren kann. Und das wird wirklich teuer.

Und wie sieht es mit Röntgen aus?

Das geht, auch Beton lässt sich mit hochenergetischer Strahlung durchleuchten, jedoch nur in ein bis zwei Metern Tiefe. Aber das klingt auch extrem aufwendig – ich habe von so einem Verfahren noch nichts gehört. Denn dann geht es bei der Entwicklung einer solchen Technik in den Millionen-Euro-Bereich. Preiswerter ist die sogenannte Röntgen-Rückstreu-Technik, die etwa in den USA zur berührungslosen und verdeckten Untersuchung abgestellter Fahrzeuge verwendet wird. Allerdings geht diese Methode nur bis zu 15 Zentimeter in den Beton hinein. Daher halte ich dieses Verfahren für so einen Fall für wenig aussichtsreich. Dazu müsste in beiden Fällen wiederum eine Technik entwickelt werden, um an die Pfeiler und das Fundament zu kommen. Ohnehin gibt es bei all diesen Verfahren weitere gravierende Probleme.

Welche denn?

Stellen Sie sich vor, Sie geben die hohen Kosten für eine solche Suche aus – und dann finden Sie nichts. In so einem Fall wollen sie mit hundertprozentiger Sicherheit sagen können, dass wirklich nichts drin ist. Doch wie wollen Sie das überprüfen? Um einen Nachweis zu haben, müssten Sie theoretisch eine Testanlage haben, mit verschiedenen Leichnamen, in verschiedenen Tiefen einbetoniert. Nur so können Sie valide sagen, ob Ihre Geräte tatsächlich so etwas erkennen – nur dann können Sie tatsächlich sicher sein. All das kostet natürlich extra. Vorstellbar wäre das nur in einem Land, in dem es unendlich viel Geld gibt. Außerdem gibt es noch eine Sache, die mich generell zweifeln lässt, ob tatsächlich ein Leichnam in der Brücke, in der Fahrbahn oder in den Pfeilern betoniert ist.

Der wäre?

Die Leiche des Jungen wäre komplett von Beton umgeben, ohne dass Luft an sie herankommt. Sie würde vermutlich mumifizieren, das Wasser den Körper verlassen. Dadurch würde sich der Leichnam zusammenziehen und so ein Hohlraum im Beton entstehen. So etwas kann bereits zu Problemen mit der Statik führen, eigentlich hätte das bemerkt werden müssen, etwa bei der regelmäßigen Sichtprüfung von außen.. Anders ist das beim Fundament, aber wie dargestellt ist die Suche auch dort sehr schwierig. Daher glaube ich: In der Brücke wird man so nicht fündig.

Also besteht keine Chance?

Eine Möglichkeit gäbe es noch: Ich habe schon gesehen, dass in Brücken Stahlkästen eingebaut sind, also de facto Hohlräume, in denen man Dinge verstecken könnte. Das kommt ganz auf die Brückenkonstruktion an. Falls man also einen Verdacht hätte, dass vor allem eine bestimmte Stelle in Frage käme – zum Beispiel so ein Kasten –, dann könnte man natürlich gezielt viel schneller messen. Die Gerätschaften dafür müssten natürlich trotzdem an- oder herangeschafft werden. Und auch hier müsste wiederum die Nachweis-Wahrscheinlichkeit getestet werden.

Das Interview führte Henri Kramer

HINTERGRUND

Laut Landeskriminalamt (LKA) gibt es seit 1977 sechs Potsdamer, die dauerhaft vermisst werden. Das Verschwinden von Gerd Berthold ist der älteste Fall – der damals 15 Jahre alte Junge verschwand wie berichtet am 25. März 1977. Nur der Beutel mit der Sportkleidung des Teenagers wurde gefunden – und zwar auf der Baustelle der Humboldtbrücke, die damals gerade errichtet wurde. Seitdem hält sich auch bei Ermittlern der Verdacht, der Junge könnte Opfer eines Verbrechens geworden sein. Demnach hätte der Täter den Jungen im Beton der Brücke verschwinden lassen können. 1996 lehnte es die Potsdamer Staatsanwaltschaft nach der Anregung eines Ermittlers ab, die Brücke durchleuchten zu lassen: Die Methode sei unverhältnismäßig und wenig aussichtsreich, hieß es. Derzeit wird die Humboldtbrücke umfangreich saniert, bis 2015 dauern die Arbeiten noch an. (HK)

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