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Der wiederbelebte Bau und die neuen Brunnen sollen Versöhnungsarbeit leisten in einer Stadt, die sich über DDR-Architektur wund diskutiert hat.

© Andreas Klaer

Minsk-Eröffnung im September: Heilquelle am Brauhausberg

Am 24. September eröffnen in Potsdam das Museum Minsk und die dazugehörige Terrassenanlage samt Brunnen. Ein Blick auf ihre Geschichte.

Potsdam - Schaut man mit den Augen von Jürgen Steffens auf Potsdams Brauhausberg, dann sieht man: eine unbebaute Wiese. Wir stehen auf dem Hügel, der sich links des Hauptbahnhofs erhebt. Wir sind am monströsen Schwimmbad Blu vorbeigegangen, einen schmalen Weg zwischen Bauzäunen hindurch dem Minsk entgegen. Ein Bau, Mitte August noch hinter Zäunen verbarrikadiert, der jünger ist als das 2017 eröffnete Blu – und zugleich viel älter. Am 24. September wird hier Potsdams neuestes Museum eröffnen. Gleichzeitig gewinnt Potsdam dann dort eine andere Konstante zurück, die diesen Stadtraum lange geprägt hat und für viele mit guten Erinnerungen verknüpft ist: die Brunnen am Brauhausberg.

Mit Blick in Richtung Innenstadt erinnert sich Steffens, wie all das aussah, als noch gar kein Bau da war. Vor knapp fünfzig Jahren. Jürgen Steffens, Jahrgang 1937, sollte damals Mitte der 1960er Jahre die Statik für einen Neubau am Brauhausberg entwickeln. Ein Terrassenrestaurant, benannt nach Potsdams Partnerstadt Minsk. Exquisite Lage, politisches Terrain: Etwas oberhalb sitzen damals die Landes- und Bezirksleitungen der SED. „Kreml“, so wird der Ort noch heute genannt. 1991 wird der Brandenburgische Landtag einziehen. Da steht das Minsk schon wieder kurz vor dem Verfall.

Jürgen Steffens entwickelte die Statik des Minsk.
Jürgen Steffens entwickelte die Statik des Minsk.

© Ottmar Winter

Die Arbeiten daran beginnen 1970, nach Plänen des Architekten Karl-Heinz Birkholz. Als Jürgen Steffens das Prestigeobjekt 1971 verlässt, steht noch nicht einmal das Fundament. Dafür entsteht in direkter Nachbarschaft am Brauhausberg eine Schwimmhalle. Eröffnet wird das Minsk erst 1977. Am 7. November, dem 60. Jahrestag der Oktoberrevolution. Hanglage, Panoramablick durch eine große Glasfassade: Es ist kein Ort für alle Tage. Ohne vorherige Reservierung geht nichts. Tisch 8 ist für die Stasi reserviert. Die Potsdamer:innen kommen trotzdem gern. Es gibt Würzfleisch und Herrengedeck, Steak und Kroketten. 

Freitags ist Tanz. Drinnen der Hauch des Exotischen und Luxuriösen: Geflammter Marmor aus Russland, Kupfer für die Lampen, Mooreiche für dekorative Schnitzereien. Draußen die Terrassen, die vom Leipziger Dreieck hinaufführen: Sie legen dem Gebäude den roten Teppich aus. Breite Treppenstufen, in mehreren, meterbreiten quadratischen Brunnenbecken sprudeln nebeneinander fünf Fontänen. Historische Fotos zeigen Kinder, die an den Rändern spielen oder brav nebeneinander herlaufen.

Nach der Wende wird das Minsk Opfer der Weg-mit-allem-was-DDR-ist-Ideologie. So zumindest sieht es Jürgen Steffens. Seiner Ansicht nach hat die Stadt den Bau bewusst vernachlässigt, bis er nicht mehr erhaltenswert aussah. Ein in Potsdam auch an anderer Stelle erprobtes Prinzip. Ende der 1990er wird der Minsk-Betrieb eingestellt. Bald ist von Abriss die Rede. Im Jahr 2011 attestiert zwar auch Michael Braum, Präsident der Bundesstiftung Baukultur, dem Haus „architektonische Qualität“. Nur: Was soll rein – und wer soll das bezahlen? Squash-Halle, Jugendherberge, Kita? Während Potsdam überlegt und diskutiert, wird das Minsk zur Ruine. Die Terrassen sind längst dem neuen Schwimmbad gewichen.

1977 eröffnete das Terrassenrestaurant am Brauhausberg. Ohne Reservierung ging nichts, Tisch 8 war für die Stasi reserviert. 
1977 eröffnete das Terrassenrestaurant am Brauhausberg. Ohne Reservierung ging nichts, Tisch 8 war für die Stasi reserviert. 

© Wohnungsbaukombinat/Heidemarie Milkert

2019 tritt Hasso Plattner auf den Plan. Der SAP-Mitgründer, Milliardär und Potsdam-Mäzen kauft das Minsk und das umliegende Terrain für 20 Millionen Euro und verkündet, es solle ein Ort der Auseinandersetzung mit ostdeutscher Kunst entstehen. Auch der Platz vor dem Minsk soll frei bleiben und eine Aufenthaltsqualität bieten, wie einst zu DDR-Zeiten. Plattner nennt es ein „Gesamtwerk“. Was reizt Plattner daran? Im Museum Barberini werde es langsam eng, erklärt er 2019. Zu eng, um auch die DDR-Kunst seiner Sammlung zu zeigen. Er sagt auch: „Dieser Ort verbindet sich für viele Potsdamer mit glücklichen Erinnerungen. Es gehört sich nicht, auf diesen Erinnerungen herumzutrampeln.“ Das wiederbelebte Minsk, die neuen Brunnen – sie sollen auch ein Stück Versöhnungsarbeit leisten. Sollen eine Stadt, die sich in Debatten um DDR-Architektur wunddiskutiert hat, befrieden. Ein bisschen Heilquelle sein.

Viel Beifall für Hasso Plattner

Hasso Plattner hat der Einsatz für das Minsk viel Beifall beschert, auch von manchen, die zuvor keine Fans seines Mäzenatentums waren. „Schön, dass diese Freigeistigkeit und Unvoreingenommenheit da ist“, sagt Göran Gnaudschun über Plattner. „Wenn die Ossis nicht das Gespür, den Einfluss und die ökonomische Macht haben, sich ihr Erbe zu erhalten, muss es eben jemand aus dem Westen machen.“ 

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Früher war das Minsk der Ort, wo man mit Westbesuch essen ging, „um mal ganz was Besonderes zu präsentieren“, erinnert sich der Fotograf. Über die Terrassen mit den Brunnen sagt er: „Wenn ich heute Fotos davon sehe, fällt mir die Leichtigkeit und Großzügigkeit der Anlage auf. Ja, so habe ich es auch damals empfunden.“ Gegenüber der Schwimmhalle gab es auf der rechten Seite des Minsk unten eine kleine Bockwurstbude, das weiß er noch genau – ansonsten waren die Terrassen „eher ein schöner Ort des Durchgangs als des Verweilens.“

Göran Gnaudschun.
Göran Gnaudschun.

© Ottmar Winter

Anfrage bei Autor André Kubiczek, der sich in Büchern wie „Skizze eines Sommers“ literarisch intensiv mit Erinnerungen im Potsdamer Kontext beschäftigt hat. Als Kind lebte er Am Stern, wie Gnaudschun. „Der Brauhausberg war so was wie das Tor zur Innenstadt“, schreibt er. Das letzte Mal war er 1978 dort, auf dem Weg zum Schwimmunterricht, wo ihn der Bademeister schon in der ersten Stunde ins tiefe Wasser schmiss. Ohne Schwimmring. „Ich hatte minutenlang das Gefühl, zu ertrinken, obwohl es wahrscheinlich nur ein paar Sekunden dauerte, bis mich jemand rausfischte.“ Die Wasserangst ist ihm geblieben. Trotzdem hätte er die alte Schwimmhalle gern erhalten gesehen. Sie wurde 2018 abgerissen.

Autor André Kubiczek.
Autor André Kubiczek.

© Andreas Klaer

Die Autorin Julia Schoch lebt, mit Unterbrechungen, seit 1986 in Potsdam, das Minsk kannte auch sie von innen. Dennoch traut sie Erinnerungen generell nicht über den Weg, auch nicht der eigenen. „Ich würde bezweifeln, dass die Wasser-Anlage dort dauerhaft in Betrieb war, vielleicht zu Beginn mal, in den Siebzigern?“, sagt sie. Vieles sei in der DDR in der Praxis nicht so umgesetzt worden, „wie jetzt auf alten Postkarten suggeriert wird“. Dass im Minsk künftig Kunst zu sehen sein wird, begrüßt sie. Aber: Städtebaulich sei die heutige Speicherstadt samt Schwimmbad Blu „natürlich eine Katastrophe“, „ein wüstes Konglomerat von Hässlichkeiten unterschiedlichster Art, dazu eine schrecklich versiegelte Fläche“. Dass das Minsk und das Grün davor viel daran ändern werden, glaubt sie nicht. „Einzelprojekte und Punktuelles helfen ja nichts, wenn es keine größere Idee vom Ganzen gibt. Insgesamt scheint Potsdam irgendwie gefangen im Wiederauferstehungsgedanken, egal welcher Epoche er gilt.“

Schriftstellerin Julia Schoch.
Schriftstellerin Julia Schoch.

© Ottmar Winter

Seit 2020 bereits kann man dem Wiederauferstehungsgedanken am Brauhausberg beim Arbeiten zusehen. Das Minsk steht inzwischen da wie neu, von Brunnen und Grün aber ist drei Wochen vor Eröffnung noch nicht alles zu sehen. In einem leicht geschwungenen Bogen entstehen hier treppenartig drei Rasenflächen, darauf jeweils an einer Ecke ein Springbrunnen. Zwei weitere Brunnen sollen die Treppen flankieren. Fünf Millionen Euro kostet das, Plattners Stiftung und die Stadt Potsdam teilen sie. Die Brunnenterrassen sollen auch am 24. September eröffnen.

Die Vorfreude auf die Anlage ist groß. Auch bei Jürgen Steffens, dem Statiker. Er war einst bei einer Menschenkette um das Minsk dabei, um das Gebäude zu retten. „Den Charme von damals wird es aber nicht mehr haben können“, sagt er. Er zeigt auf die noch unbebaute Fläche rechts neben dem Minsk. Wertvolles Bauland. Hier sollen Wohnungen entstehen. Es wird eng werden – früher war der Blick weit. Jetzt drängelt links das Blu, rechts der Hauptbahnhof. „Vielleicht werden die neuen Minsk-Terrassen ja mehr sein als nur ein Pflaster auf einem großen Unfall“, hatte André Kubiczek noch geschrieben. Und dass er selbst nicht daran glaube.

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