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Links und rechts der Langen Brücke: Ein Fest in Demut

Peer Straube macht sich Gedanken über das Unfassbare

Von Peer Straube

Eigentlich hätte an dieser Stelle eine politische Wocheneinschätzung stehen sollen. Themen gab es schließlich genug – der erneute Streit um den Tierheim-Standort etwa, die aufflammende Kritik am Verfahren zur Badbefragung, der weiter schwelende Konflikt zwischen Potsdams Juden über den Bau einer neuen Synagoge. Die Linke hackte in alles andere als vorweihnachtlich-versöhnlicher Weise auf den Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) ein. Man hätte überrascht sein können über die unerwartete Themenfülle, für die Rathaus und Stadtpolitik angesichts des nahenden Festes der Liebe gesorgt haben – doch eigentlich ist man als Berichterstatter in dieser Stadt nichts anderes gewohnt.

Doch all diese durchaus wichtigen Themen verblassen angesichts des mutmaßlichen Verbrechens, das sich am Freitag, einen Tag vor Heiligabend, ereignet hat, zu Belanglosigkeiten. Ein Kind, ein Baby, ein neugeborenes Mädchen wurde tot, in ein Handtuch gewickelt, neben der Bahnlinie in Potsdam-West gefunden. Nach ersten Erkenntnissen könnte der Säugling an den Folgen von Gewalteinwirkung gestorben sein. Womöglich wurde es gar aus einem fahrenden Zug geworfen.

Was treibt jemanden zu einer so entsetzlichen Tat? Verzweiflung? Sadismus? Kalte Berechnung? Dass das tote Baby in Potsdam gefunden wurde, mag Zufall sein. Wenn es aus einem Zug geworfen wurde, kann der Täter oder die Täterin sonstwo wohnen. Doch was, wenn nicht? Was, wenn sie oder er in Brandenburgs Landeshauptstadt wohnen? Zugegeben, es ist reine Spekulation. Und doch fällt auf das Weihnachtsfest in Potsdam in diesem Jahr ein dunkler Schatten. Denn über das tote Baby wird gesprochen werden an den Gabentischen, es wird gemutmaßt werden, wer der Täter war und was die Folgen sind.

Doch welche Konsequenzen kann eine Stadt wie Potsdam, der es unbestritten glänzend geht, aus so einem Verbrechen ziehen? Lässt sich so etwas überhaupt verhindern? Die Antwort, so bitter das klingt, lautet nein. Solange die Umstände der Tat – wenn es denn ein Verbrechen war – nicht bekannt sind, ist es ohnehin müßig, über Konsequenzen zu spekulieren. Wenn aus dem Unfassbaren zu diesem Zeitpunkt überhaupt eine Lehre zu ziehen ist, dann jene, sich in Demut zu üben und sich heute, Heiligabend, all jener zu erinnern, die in einer reichen Stadt arm dran sind. Es gibt sie, auch hier. Sie leben von der Potsdamer Tafel oder der Suppenküche. Ihre Weihnachtsgeschenke haben andere gepackt, Menschen, denen es besser geht. Heute Mittag wird Jann Jakobs die Suppenküche besuchen und Geschenke mitbringen. Vielleicht machen sich nun ein paar Leute mehr auf den Weg und tun es ihm gleich. Verzweiflung über Ausweglosigkeit und Armut sind ein bekanntes Motiv für eine Kindstötung. Frohe und nachdenkliche Weihnachten!

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