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Landeshauptstadt: Wo die Weber wohnten

Der Förderkreis Böhmisches Dorf hat Babelsberg mitgeprägt – dieses Jahr feiert er 25 Jahre Bestehen

Von Sarah Kugler

Eine einfache Steinplatte, ein Holzgerüst, ein festes Dach, kein Keller. Das Grundgerüst eines Weberhauses ist simpel, pragmatisch. Im 18. Jahrhundert ließ Friedrich II. in Potsdam rund 200 davon in Babelsberg bauen. Hauptsächlich für böhmische Weber und Spinner, es kamen aber auch Handwerker aus der Schweiz, Österreich und Frankreich. 1100 Menschen wohnten schließlich in dem sogenannten „böhmischen Dorf“. Damit sei es das größte seiner Art in Deutschland, betont Ulrich Schmelz. Seit 30 Jahren forscht der studierte Historiker zu dem Thema, seit 24 Jahren als aktives Mitglied im Babelsberger Förderkreis Böhmisches Dorf e.V., der in diesem Jahr seinen 25. Geburtstag feiert.

Schmelz stammt selbst aus einer Handwerkerdynastie, wie er sagt, deswegen sei die Geschichte rund um den Babelsberger Stadtteil ein persönliches Herzensthema. „Meine Familie stammt aus der ehemaligen Grafschaft Glatz, die auch zum böhmischen Herrschaftsbereich gehörte“, so der 75-jährige Potsdamer. Vor allem Kürschner, also Handwerker, die Tierfelle zu Pelzbekleidung und anderen Pelzprodukten verarbeiten, seien Jahrzehntelang in seiner Familie gewesen. Ein Beruf, der heute nicht mehr existiert. Zum Weber hingegen wird heute immer noch ausgebildet – der Webstuhl in dem vom Förderkreis betriebenen Stadtteilmuseum in der Karl-Liebknecht-Straße 23 ist allerdings nicht mehr in Betrieb. Seit 1999 können sich Interessierte hier über die Geschichte der Dörfer Nowawes und Neuendorf – also das böhmische Dorf – informieren. Der Förderkreis selbst gründete sich bereits 1992. Wie Schmelz sagt, hatte er sich zunächst zwei Aufgaben gestellt: Die verfallenen Häuser wieder herzurichten und Babelsberger aufzufangen, die durch die Wende ihren Job verloren hatten. „Es galt vor allem, die Leute zu vernetzen“, erklärt der Historiker. „Bewohner mit Sanierungsträgern, aber auch mit den Kirchengemeinden und den Kultureinrichtungen.“

Durch das Engagement und die rege Zusammenarbeit im Ort konnten die noch vorhandenen Weberhäuser vollständig wieder saniert werden. Auch das Stadtteilmuseum befindet sich in einem solchen Weberhaus, das 1752 gebaut wurde – und nach der Wende Arbeitslosen eine neue berufliche Chance bot. „Tausende von Menschen hatten ihre Jobs verloren, etwa durch die Auflösung des Karl-Marx- Werkes oder der Defa“, so Schmelz. Durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurden die Betroffenen aufgefangen: Sie halfen beim Häuseraufbau oder kamen in sozialen Einrichtungen unter. „Eine Historikerin der Universität Potsdam und auch Geschichtslehrer sind im Museum untergekommen“, erzählt Schmelz, der selbst auch als Geschichtsdozent an der ehemaligen Pädagogischen Hochschule in Potsdam tätig war. Als Personen vom Fach konnten die Mitarbeiter aktiv zur Geschichte des Ortes forschen und wichtige Beiträge zum Museum beitragen, wie der Historiker erklärt. Heute wird das Haus ehrenamtlich geführt. Schmelz, der einige Zeit auch im Vorstand des Förderkreises war und ihn von 2013 bis 2017 als Vorsitzender geleitet hat, ist einer dieser Ehrenamtler. Dabei führt er nicht nur durch das Museum, sondern auch durch den Stadtteil.

Den hat der Förderkreis besonders auch mit einer Tradition geprägt: dem böhmischen Weberfest. Zum 1000-jährigen Jubiläum von Potsdam schob die Stadt das Fest an, der Förderverein beteiligte sich und übernahm es die folgenden Jahre. „Das war ein sehr schönes Fest, mit tollen Künstlern, drei Tage lang“, so Schmelz. Leider habe es sich aber nicht getragen – im Gegenteil, es wurde immer teurer. „Am Anfang kostete das 50 000 DM, im Jahr 2012 waren wir bei 90 000 Euro angelangt.“ Zwar gab es etwas Unterstützung vom Ministerium, die Stadt Potsdam konnte laut Schmelz allerdings nur die Toiletten stellen. Schließlich gab der Verein das Fest 2012 auf, die Agentur EMP Concept aus Bad Oldesloe übernahm für ein Jahr, warf dann aber auch das Handtuch. Nach zwei Jahren Pause wurde das Fest im vergangenen Jahr von der AG Babelsberg und der Cottbuser Veranstaltungsagentur Coex wieder zurückgeholt – allerdings nun unter dem Namen „Babelsberger Weberfest“. Insgesamt weniger böhmisch und mehr lokal soll das Spektakel sein – der Förderkreis ist nun eher im Hintergrund beteiligt, informiert an einem Stand und bietet historische Führungen an.

Darüber hinaus organisiert er seit 15 Jahren etwa acht Mal im Jahr die Veranstaltungsreihe „Babelsberger Köpfe“. In dem Format stellen sich Babelsberger Persönlichkeiten vor, etwa Regisseure, Wissenschaftler, aber auch Anwohner mit böhmischen Vorfahren, wie Schmelz sagt. Die nächste Veranstaltung wird am 11. Oktober zum Thema „Jüdische Menschen in Babelsberg“ stattfinden, wie Schmelz sagt. Er selbst erhofft sich demnächst wieder etwas mehr Zeit für die Forschung: „Es gibt immer noch etwas zu entdecken.“

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