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IM INTERVIEW: „Wir müssen schon Wartelisten erstellen“

Ulrich Weinberg, Leiter der HPI School of Design Thinking, über zehn Jahre Arbeit an der interdisziplinären Denkfabrik, die Bedeutung von Teamarbeit bei der Lösungssuche und einen erlesenen Kundenstamm.

Herr Weinberg, Sie sind seit 2007 Leiter der School of Design Thinking des Hasso- Plattner-Instituts, kurz D-School. Von Donnerstag bis Samstag feiert diese ihr zehnjähriges Bestehen mit dem d.confestival. Ist das ein bisschen so, als würde das eigene Kind den zehnten Geburtstag feiern?

Ja, ein bisschen, wobei die D-School mit diesem zehnten Geburtstag schon das Erwachsensein feiern kann – das geht hier schneller als bei Kindern. Hier ist etwas ganz neues im Bildungssektor gewachsen und es gibt viele Hochschulen, die uns besuchen, begeistert sind von dem, was wir hier machen, und die nun selber Versuche in Richtung Design Thinking machen. So gibt es mittlerweile eine D-School in China und in Malaysia und wir haben vor Kurzem eine Schwestereinrichtung in Kapstadt ins Leben gerufen.

Wie groß ist die D-School derzeit?

Wir bieten jährlich 240 Plätze für ein Zusatzstudium an, in diesem Jahr haben wir Studierende aus 20 Nationen, von 60 Universitäten und aus 75 Disziplinen.

Also sehr interdisziplinär. Ist das auch die Grundidee des Konzeptes Design Thinking?

Zunächst steht Design Thinking für einen starken Fokus auf den Nutzer und seine Bedürfnisse. Unsere erste Inspirationsquelle, um Lösungen für Probleme zu finden, suchen wir immer beim Menschen. Dann gehen wir davon aus, dass bessere Ideen entstehen, wenn man sie nicht alleine entwickelt, sondern im Verbund mit verschiedenen Menschen aus unterschiedlichen Bereichen. Wir legen Wert auf kleine Gruppen, in denen viel Diversität und keine Hierarchien herrschen. Design Thinking hat drei Kernelemente: erstens die Arbeit im Team, zweitens das nichtlineare Denken des digitalen Zeitalters im Gegensatz zum linearen Denken des analogen Zeitalters. Vielen jungen Menschen wird noch immer beigebracht, von vornherein mit einer fertigen Lösung an ein Problem heranzugehen, wir hingegen stecken erst mal viel Zeit in Recherche und Tests, tasten uns heran, denken nicht in fertigen Entwürfen, sondern in Versionen. Das ist in tradierten Seminar- oder Arbeitsräumen nicht möglich, daher braucht man offene Umgebungen, in denen Gruppen auf Augenhöhe miteinander arbeiten können, das ist das dritte Element. Im Amerikanischen spricht man von „place“, „process“ und „people“, kurz: PPP.

Wo kommt dieser Ansatz her?

Unsere Schwestereinrichtung, die d.school in Stanford, hat vor zwölf Jahren damit angefangen, die Studierenden aus den klassischen Lern-Silos herauszuholen, um eine Art menschliches, neuronales Netzwerk zu schaffen, um komplexe Probleme zu lösen. Die Grundidee davon findet man aber schon früher, etwa beim deutschen Bauhaus, wo Künstler verschiedenster Fächer zusammengearbeitet haben. Wir haben nach dem Vorbild von Stanford vor zehn Jahren mit 40 Studierenden in Potsdam angefangen, mit Maschinenbauern, Architekten, Soziologen, Informatikern und Betriebswirten. Schnell war klar: Das ist attraktiv und man kommt auf völlig neue Ideen, auf die man nicht kommen würde, wenn man nur diesen Experten-Tunnelblick hat.

Zum Beispiel?

Eines unserer ersten Projekte war eine Fragestellung des Großmarktes Metro, der eine neue Möglichkeit für das Online-Shopping gesucht hat. Wenn man sich Einkäufe nach Hause liefern lässt, muss man zu bestimmten Zeiten zu Hause sein, daher haben unsere Studierenden die Idee entwickelt, dass bestellte Einkäufe ähnlich wie bei den Paketstationen der Post in einer Abholstation zwischengelagert werden, wo man sie dann einfach abholen kann. Diese Idee war für Metro entwickelt worden, die Supermarktkette Real hat sie dann umgesetzt.

Entwickeln die Studierenden der D-School quasi fertige Produkte für Unternehmen?

Nein, dazu ist in den ein bis zwei Semestern, die die Studierenden bei uns sind, gar keine Zeit. Unternehmen, Vereine oder Behörden treten mit einer Fragestellung an uns heran, und die Studenten entwickeln Lösungsvorschläge. Pro Semester gibt es sechs bis acht große Projekte und sechs bis acht kleine Projekte. Es geht häufig um Produkte oder Dienstleistungen, und das Themenspektrum reicht von Medizin, Energie über Logistik bis hin zu Tourismus. Mobilität ist ein großes Thema, und zunehmend kommen auch Finanz- und Versicherungsunternehmen zu uns, weil sie ihre Geschäftsmodelle umdenken müssen. Sogar Bundesministerien wenden sich an uns. Zwei Drittel aller DAX30-Unternehmen haben uns schon besucht und in irgendeiner Form mit uns zusammengearbeitet. Es gibt mittlerweile so viele Anfragen, dass wir Wartelisten erstellen müssen.

Mit welcher Art von Problemen kommt man auf Sie zu?

Die Staatskanzlei Brandenburg hatte uns zum Beispiel vor Kurzem gefragt, wie Menschen im Internet mit rechtspopulistischen Behauptungen und Fake News umgehen können, wenn sie selber keine Zeit oder kein Wissen haben, wie sie dagegen argumentieren können. Ein Studententeam hat dazu eine Art Plugin vorgeschlagen, mit dem man solche Kommentare weiterleiten kann. Dort sitzen dann Mitglieder des Bündnisses „Tolerantes Brandenburg“ und antworten darauf.

Ihr Ansatz scheint anzukommen, denn Sie bieten ja auch Design Thinking-Trainings an?

Ja, am HPI trainieren wir pro Jahr rund 4000 Mitarbeiter verschiedenster Unternehmen, auch global agierende Unternehmen wie Bosch. Viele Firmen haben mittlerweile auch eigene Design Thinking-Räume bei sich eingerichtet, die ähnlich offen gestaltet sind wie bei uns. Das sind zum Teil große und traditionsreiche Unternehmen, und wir helfen ihnen dabei, in einen Start-up-Modus zu kommen.

Ulrich Weinberg ist seit 1994 Professor für Computeranimation an der Filmuniversität „Konrad Wolf“ in Babelsberg und außerdem seit 2007 Leiter der HPI School of Design Thinking.

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