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Homepage: Wie eine Psychotherapie

Eine Ausstellung im Berliner Naturkundemuseum zeigt, dass Fliegen allgemein unbeliebte, aber trotzdem nützliche Insekten sind

Mal ehrlich: Wer mag schon Fliegen? Die Zweiflügler haben einen schlechten Ruf. Unappetitlich sind diese Insekten allemal, und Krankheiten übertragen sie auch. Aufzuhalten waren sie jedoch noch nie: Die ältesten Vertreter ihrer Ordnung, die heute ungefähr 134 000 Arten umfasst und den gesamten Planeten bevölkert, sind älter als die berühmten Dinosaurier im Eingang des Naturkundemuseums. Ihre Anerkennung erhalten die Insekten jetzt aber in Form der Sonderausstellung „Fliegen“, die vergangenen Freitag im Zusammenhang mit dem Potsdamer Dipterologie-Kongress (s. oben) im Berliner Museum für Naturkunde eröffnet wurde.

Entwickelt wurde die Schau vor zehn Jahren im Schweizer Naturkundemuseum Neuchâtel, jetzt wird sie erstmals in Deutschland gezeigt. Ihr Erfinder, der Schweizer Museumsdirektor Christophe Dufour, sagt: „Wir wollen das Interesse an diesen tollen Tieren wecken und ihre Bedeutung von zwei Seiten zeigen.“ Diese zwei Seiten bringt die Ausstellung im einfachen Stile einer Bio-Klassenarbeit auf den Punkt: Sie sind zwar ekelhaft, die Fliegen, aber eben auch sehr wichtig und nützlich. So unterteilt sich die Fliegenschau in zwei große Kapitel: Am Eingang sehen Besucher die Insekten in ihrem gewöhnlichen, eher unappetitlichen Kontext. Betreten wird die Ausstellung durch einen Gang, dessen Seitenwände mit Zehntausenden summenden und krabbelnden Hausfliegen gefüllt sind und echte Dschungelcamp-Gefühle erzeugen.

Dahinter wird an Krankenhausbetten über schwere Krankheiten wie das zur Erblindung führende Trachom oder die Malaria informiert, die die Zweiflügler übertragen. Ein Blickfang ist auch ein Glaskasten, in dem ein toter Waschbär verwest – bei emsiger Unterstützung der Fliegen, die sich am Kadaver satt essen und in das tote Gewebe ihre Eier legen.

„Die Ausstellung ist eine Psychotherapie“, erklärt ihr Architekt Christophe Dufour das Konzept. Erst nach einem gehörigen Schock, so der Schweizer, könne der Besucher sich öffnen für die Vorzüge der Fliegen: Sie helfen zum Beispiel, tote Gewebezellen von den gesunden wegzufressen und so Krankheiten zu heilen. Als Aasfresser säubern sie die Erde auch von abgestorbenem organischen Abfall, wandeln ihn zu Humus um und halten so den natürlichen Lebenszyklus am Laufen.

Am Ende der Ausstellung inszeniert das Naturkundemuseum eine Gerichtsverhandlung. Die Ausstellungsbesucher können nun über Leben oder Tod der Fliegen entscheiden, natürlich ohne Pestizide und nur im bildhaften Sinn: Ein Tonband spielt Plädoyers ab, die das Gezeigte zusammenfassen. Danach gilt es, einen roten oder grünen Knopf zu drücken. Dieser Scheinprozess erscheint auf den ersten Blick als ziemlich konstruierter didaktischer Kniff der Ausstellungsmacher. Bei näherem Hinsehen wirkt er dagegen fast schon folgerichtig: Erstens gab es im Mittelalter tatsächlich Verhandlungen über leidbringende Fliegen, die mit der Exkommunikation endeten. Zweitens sind die Fliegen tatsächlich wichtige Zeugen in Strafprozessen, wenn es um die Aufklärung von Todesfällen geht. Forensische Entomologen, Insektenforscher, können nämlich anhand der Insekten, die sich schon in einer Leiche angesiedelt haben, deren Todeszeitpunkt bestimmen. Tassilo Hummel

Das Naturkundemuseum Berlin (Invalidenstraße 43) ist dienstags bis freitags von 9.30 bis 18 Uhr sowie samstags, sonntags und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt: 5 Euro für Erwachsene, 3 Euro ermäßigt. Die Ausstellung läuft bis zum 15. Januar 2015

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