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72 Prozent der Klienten in Potsdam sind alkoholabhängig, zwölf Prozent der Betroffenen sind mediensüchtig.

© dpa

Mediensucht in Potsdam: Wenn der Computer abhängig macht

Am Bergmann-Klinikum in Potsdam gibt es eine neue Beratungsstelle für Suchtkranke. Die meisten Klienten wollen gegen ihre Alkoholabhängigkeit kämpfen. Aber auch die Zahl der Mediensüchtigen steigt.

Potsdam - Fast könnte es ein noch nicht vollständig bezogenes Büro sein. Die Wände sind in schlichtem Weiß gehalten, die Zimmer spartanisch eingerichtet. In manchen stehen große Tische mitten im Raum, an der Seite wartet ein Clipboard auf Notizen. Was auffällt, ist die fast schon laute Stille in der neuen Suchtberatungsstelle „Charlotte“ in Potsdam.

Seit wenigen Monaten arbeiten die Mitarbeiter der Potsdamer Arbeiterwohlfahrt (Awo) in dem Gebäude auf dem Gelände des Klinikums „Ernst von Bergmann“. Viel ist noch nicht los, wie die Leiterin des Projekts, Katharina Rösler, einräumt. Das soll sich schnell ändern. Noch in diesem Jahr werden hier unter anderem Alkohol- oder Drogenkranke nach dem Entzug betreut und auf ein Leben ohne die gefährlichen Stoffe vorbereitet. Ein Schwerpunkt ist die Mediensucht. Und die nimmt Rösler zufolge auch in der Landeshauptstadt zu.

Alkoholsucht am häufigsten, danach kommt Mediensucht

Zwar sind in Potsdam die meisten Suchtkranken abhängig von Alkohol. 72 Prozent der Klienten in der ambulanten Beratungs- und Behandlungsstelle der Awo für Suchtkranke und Suchtgefährdete in der Großbeerenstraße seien Alkoholkranke, sagte Rösler. Doch bereits auf Platz zwei folgt die Mediensucht mit rund zwölf Prozent der Betroffenen. Im Vergleich dazu: 6,5 Prozent aller Klienten suchten Hilfe wegen Haschisch- oder Cannabis-Abhängigkeit. Harte Drogen spielen in der Landeshauptstadt nach Angaben einer Polizeisprecherin kaum eine Rolle. Heroin-Missbrauch gebe es demnach nur selten, hin und wieder Konsumenten von Kokain oder Tabletten wie etwa Ecstacy.

Handlungsbedarf sieht die Awo in Sachen Mediensucht. 2014 kamen Rösler zufolge deutlich mehr Medienabhängige oder deren Angehörige in die Einrichtung in der Großbeerenstraße. Waren es in den vergangenen Jahren konstant zwischen sechs und 14 Fällen, suchten zuletzt 18 Betroffene und sieben Angehörige Beratung – damit hat sich die Zahl fast verdoppelt.

Diesen Klienten habe man in der bisherigen Einrichtung nicht genügend helfen können. Auch sei sie zu weit entfernt vom nächsten Krankenhaus, sagte Rösler. Der enge Kontakt zum Bergmann-Klinikum und der Salus-Klinik in Lindow (Ostprignitz-Ruppin) für die stationäre Behandlung von Abhängigkeiten sei wichtig. Die Salus-Klinik hat ebenfalls eine Zweigstelle am Potsdamer Klinikum.

Manche Jugendliche hängen zehn bis zwölf Stunden vor dem PC

In der Beratungsstelle „Charlotte“, die von der Sozialorganisation „Aktion Mensch“ finanziert wird, sollen künftig vor allem Angehörige informiert und Patienten betreut werden, die zuvor stationär behandelt worden seien, sagte Guido Weyers. Der Diplom-Psychologe kümmert sich derzeit um die „Nachsorge“ für drei Klienten. Sie kommen dreimal pro Woche für einige Stunden für Einzel- oder Gruppengespräche. Wichtig sei, dass dabei gelernt werde, den Alltag wieder zu meistern, also etwa einen geregelten Tagesablauf neu zu erlernen. Viele Angehörige, vor allem Frauen, kommen demnach mit ihren Söhnen und wollen eine „Rückmeldung zum Spielverhalten“ haben, „ob das schon im kritischen Bereich ist oder nicht“, sagte Weyers.

Manchmal helfe nur die stationäre Einweisung. Manche Jugendliche würden täglich zehn bis zwölf Stunden am Rechner sitzen. Es gehe aber nicht darum, den Leuten den Umgang mit dem PC komplett zu verbieten. Schließlich sei der Computer auch aus der Arbeitswelt nicht mehr wegzudenken.

Wenn Mediensucht lebensbedrohlich wird

Besonders kritisch sieht Weyers neben den Rollenspielen wie „World of Warcraft“ oder den sogenannten Ego-Shootern – Schießspielen – ganz allgemein die Onlinespiele, in denen unbegrenzt viele Teilnehmer gleichzeitig spielen können. Diese „mmorpg“ – also „Massive Multiplayer online Role-Playing Games“ – seien „besonders verführerisch“, sagte er. Man schaffe sich seine eigene Spielfigur, vernetze sich mit anderen und flüchte so in eine andere Welt. Immer wieder gebe es Fälle, in denen Betroffene eine Sucht erfolgreich bekämpft haben und sich dann in virtuelle Welten flüchteten. Weyers nennt dies „Suchtverlagerungen“. Dazu gehöre beispielsweise das „exzessive Schauen von Fernsehserien“.

Richtig kompliziert wird es, wenn psychische Erkrankungen hinzukommen. „Viele Klienten haben auch Angststörungen oder Depressionen“, sagt Weyers. Dann könne die Mediensucht durchaus lebensbedrohlich werden. Einer seine Klienten spielte regelmäßig die ganze Nacht im Internet, vergaß auch seine Therapiestunden. „Er belog die Eltern, nur der Vater durfte zu ihm kommen, sämtliche Kontakte wurden abgebrochen.“ An die Pflege der sozialen Kontakte oder regelmäßiges Essen war nicht zu denken. Er musste schließlich in einer Suchtklinik stationär aufgenommen werden. Demnächst soll der Klient aber wieder zurück in die „Charlotte“ kommen – zur Nachsorge und zum Erlernen eines geregelten Tagesablaufs.

Stefan Engelbrecht

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