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Auf der Suche. Noa arbeitet sich im sonnigen Israel aus einer persönlichen Krise heraus. Der Film „Anderswo“ erhielt den Hauptpreis der „Sehsüchte“.

© HFF

Homepage: Vier Preise für Potsdam

Die Potsdamer Filmhochschule schneidet auf ihrem Filmfestival „Sehsüchte“ besonders gut ab

Erst einmal sieht man gar nichts. Nur weiße Fläche, minutenlang, man hört den Wind, einen Laternenpfahl im Sturm scheppern, dann sieht man ganz dünn Schienen aus dem Nebel kommen, weiter weg eine Person im Schnee, später einen Wolf. Endlos lange Einstellungen, keine Worte, nur Zwischentitel, die von Menschen erzählen, die auf der Suche sind, nach extrasolarem Leben, nach der Liebe des Lebens, nach dem ultimativen Kick, nach Wetterdaten oder wonach auch immer. Dazwischen immer wieder der Nebel, Wolken, Wald, verlorenes Land. Ein großartiges visuell-akustisches Experiment ist der Dokumentarfilm „Nebel“ von Nicole Vögele. Es geht um Menschen, und ihre Suche im Nebel des Lebens. Ein mutiger, weil so unkonventioneller Film.

Dafür erhielt die Nachwuchsregisseurin von der Filmakademie Baden-Württemberg am Sonntag zum Abschluss des diesjährigen Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ der Potsdamer Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ (HFF) den Preis für den besten langen Dokumentarfilm. Auch für die Kamera (Stefan Sick) wurde der Film prämiert.

Der Preis für den besten langen Spielfilm geht in diesem Jahr an keine Unbekannte: Die Potsdamer HFF-Absolventin Ester Amrami erhält die Auszeichnung für ihren Film „Anderswo“, der bereits auf der diesjährigen Berlinale prämiert wurde. „Ein wunderbar atmosphärischer Film über Heimat und fehlende Heimat“, so das Urteil der Jury, in der auch der ehemalige Berliner Tatort-Darsteller Dominic Raacke saß. „Jenseits aller filmischen Klischees, humorvoll und leichtfüßig“, so das Urteil.

Noa (Neta Riskin) flieht in einer Krise aus dem kalten Berlin zur ihren Eltern nach Israel. Doch schnell erkennt sie, dass sie ihre Probleme auch in ihre alte Heimat mitnimmt, und hier sogar noch die Verwerfungen von früher hinzukommen. Als ihr deutscher Freund Jörg (Golo Euler) dann ausgerechnet am Holocaustgedenktag überraschend in Israel auftaucht, beginnt ein tragikomisches Spiel zwischen hier und dort, gestern und heute. Dass man sich in den verschiedenen Kulturen nicht immer versteht, macht die aus Israel stammende Regisseurin geschickt anhand von eingestreuten Kurzinterviews über unübersetzbare Wörter deutlich. Hier darf dann auch Wladimir Kaminer seine Interpretation des russischen Wortes „Ostranenie“ geben, ein Zustand jenseits von Glückssuche und Ängsten, die Welt beobachtend.

Am Ende wird Noa zurück nach Berlin gehen, zurück zu ihrem deutschen Freund, von dem sie ihrer Großmutter, die es als Holocaust-Überlebende nicht wissen sollte, doch schon längst erzählt hatte. Sie wird ihre aufgeschobene Abschlussarbeit wieder aufnehmen. Es wird weitergehen. Ein runder Film, der seine Zuschauer zufrieden aus dem Kino entlässt. Ebenfalls aus Israel stammt der Filmemacher Assaf Machnes, der für seinen Film „Auschwitz On My Mind“ den diesjährigen „Sehsüchte“-Preis für kurze Spielfilme erhält. Ausgerechnet während der Klassenfahrt zu den Gedenkstätten der NS-Konzentrationslager in Polen keimt zwischen Roy und Vered die erste Liebe auf. Ein schon viel bearbeitetes Thema wird in ein neues Licht gerückt, so die Jury in ihrer Begründung. Die Geschichte wird bis kurz vor den Tabubruch erzählt: „Die feine Linie zwischen Komik und Tragik wird dabei nicht überschritten, sondern gekonnt respektvoll und souverän umgesetzt“, so die Jury.

Der Film spielt mit einem anderen, ungewohnten Blick der Jugend auf die Orte, an denen einst die Mordmaschinerie der Nazis massenhaft Leben zerstörte. Roy soll in Auschwitz mit seiner Angebeteten das erste Mal Sex haben, so die pubertäre Idee der jungen Israelis. Sie finden das gar nicht pietätlos – im Gegenteil, so bringe man Leben dahin, wo einst der Tod regierte. Am Ende kommt es aber ohnehin anders. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass jede Generation die Geschichte anders interpretiert – egal wie grauenhaft sie auch war. Und vielleicht auch, dass mit dem wachsenden Abstand der Zeit das Monströse für die nachwachsenden Generationen zunehmend abstrakter wird.

Zu welchen Grausamkeiten der Mensch fähig ist, hat der junge Zelim am eigenen Leib erfahren. In dem Dokumentarfilm „Zelim’s Confession“ hat die aus Russland stammende Potsdamer HFF-Studentin Natalia Mikhaylova die Geschichte des jungen Tschetschenen nacherzählt, der in Inguschetien von korrupten Polizisten unschuldig eines Terroraktes bezichtigt wurde. Heute lebt Zelim mit seinen drei kleinen Kindern in Oslo, weit weg vom Rest seiner Familie und weit weg von dem Ort, an dem er fünf Tage gefoltert wurde. Das Vorgehen habe Methode, erklärt die Mitarbeiterin einer Menschenrechtsorganisation: Entweder die Polizei dort kassiert eine hohe Kaution, oder sie macht die Gefangenen zu willfährigen Helfern, oder sie steckt sie einfach ins Gefängnis. Zelim kam frei und hat sich gegen dieses System gestellt, es gab sogar Gerichtsurteile gegen die Polizisten. Doch der Preis für Zelim ist hoch, seine Heimat wird er lange nicht wiedersehen können. Für diese Innensicht eines Flüchtlingsschicksals erhält die HFF-Studentin Natalia Mikhaylova den diesjährigen Preis des „Sehüchte“-Fokus „Transit“.

Gleich vier Preise gehen diesmal an die Potsdamer Filmhochschule. Neben den genannten Filmen wurde auch der HFF-Film „Lamento“ für seinen Schnitt ausgezeichnet, die Produzenten des Festivalrenners „Love Steaks“ (Ines Schiller, Golo Schultz) erhielten den zweiten Produzentenpreis. Die Anzahl der Preise für die HFF ist im Vergleich zu den Vorjahren recht ungewöhnlich, spricht aber für die Qualität des Standorts. Das Festival selbst scheint sich im zweiten Jahr am neuen Babelsberger Standort am Studiogelände – nach vielen Jahren im zentralen Thalia-Kino – gut eingerichtet zu haben. Wer erst einmal da ist, hat auf dem weitläufigen Festivalcampus seine Ruhe. Für das Publikum von außen bleibt der Standort aber leider weiterhin recht peripher.

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