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© Sebastian Gabsch/PNN

Tschüss, 2022: Über Ratgeberliteratur, Waffelteig und den ganz normalen Wahnsinn

Im Buchladen füllen glücksverheißende Weisheiten die Regale. Unsere Autorin findet sie im Alltag wieder.

Eine Kolumne von Steffi Pyanoe

Jetzt war’s das endlich mit dem blöden 2022, denke ich. Ich stehe im Buchladen und kaufe mir einen Taschenkalender für’s nächste Jahr. Plötzlich wandern meine Augen wie von selbst zur Ratgeberliteratur.

Zwei Wände voller glückverheißender Weisheiten: „Gespräche mit einem Baum“, „Die 1%-Methode“, „Ruhe“, „Magische Momente der Ruhe“, „Das erwachte Gehirn“, „Den Herzschlag der Natur spüren“, „Drei mal eins für die Seele“, „Der ganz normale Wahnsinn“, „Auf meine Schwächen ist Verlass“, „Die Kraft der Reue“, „Tarot Basics“, „Was ist dein Schmerz?“, „Weißt du, was du wirklich willst?“, „Rituale, die gut tun“. Und mittendrin ein Buch mit unserer Außenministerin auf dem Cover: „Wer wir sind“. Huch, denke ich, was macht die denn da, aber das ist natürlich nicht die Ministerin, sondern die Autorin, die ihr nur ähnlich sieht.

Tja, wer bin ich und was will ich, außer einem stabilen Strompreis und dass der Parkeintritt nie kommt? Und was ist eigentlich mein Schmerz? Das ist doch eine schöne Frage, endlich stellt sie mal jemand!

Öfter Waffeln backen

Ich erlebe beispielsweise regelmäßig Phantomschmerz, wenn meine PNN-Kollegen in der Stadtverordnetenversammlung (SVV) sitzen. Die wissen dort auch nicht, was sie wollen, aber auf Schwächen ist Verlass, auf Die Kraft der Reue auch, aber Das erwachte Gehirn lässt warten. Der ganz normale Wahnsinn halt. Dann doch lieber Gespräche mit einem Baum?

Erstmal fahre ich mit der Tram nach Hause. Sie ist voll und dann steigt auch noch ein Mann mit einem großen Kochtopf ein. Sieht aus, als wäre Suppe drin, befüllt bis kurz unterm Rand und die Frischhaltefolie flattert lose. Er setzt sich mir gegenüber, Topf auf dem Schoß, alles schwappt gefährlich.

„Na“, sage ich, „da wünsche ich uns mal eine ruhige Fahrt“. Er grinst, sagt „Ist nur Waffelteig. Ich hab‘s nicht weit, wird schon gehen“. Es geht, und am Waschhaus steigt er aus. Die Bahn muss dann wegen eines Feuerwehrautos warten, zum Aufholen gibt der Fahrer erst mal ordentlich Gas.

Gut, dass der Waffelteigmann nicht mehr da ist, denke ich und beneide ihn plötzlich um seine Sorglosigkeit und Zuversicht. Vermutlich ist das die 1-Prozent-Methode. Ich sollte 2023 öfter Waffeln backen. Rituale, die guttun.

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