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Wer will Gemüse? Kürzlich haben Aktivisten auf der Brandenburger Straße vor dem Müll gerettete Lebensmittel verteilt

© PROMO

Klimaproteste in Potsdam: Straßen blockieren, Brot verschenken

Auch Mitglieder von Extinction Rebellion Potsdam beteiligen sich an den Aktionen des „Aufstands der letzten Generation“ und verschenkten containertes Essen in der Stadt.

Potsdam - Seit Wochen sorgen die Autobahn-Sitzblockaden der Gruppierung „Aufstand der letzten Generation“ (ADLG) für viel Aufmerksamkeit und Unverständnis – vor allem bei Autofahrer:innen. Die Forderung der Aktivisten: Ein Essen-Retten-Gesetz nach französischem Vorbild, das es Supermärkten verbietet, genießbare Lebensmittel wegzuwerfen. Außerdem wollen sie eine „Agrarwende“ bis 2030, eine nachhaltig und ökologisch gestaltete Landwirtschaft. Ihr Motto: „Essen retten – Leben retten“.

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Auch der Potsdamer Matthias Gerlach gehört zu ADLG und ist zudem Mitglied der Potsdamer Ortsgruppe von Extinction Rebellion (XR Potsdam). „Jährlich werden laut einer Studie des WWF 18 Millionen Tonnen Essen in Deutschland weggeschmissen, rund ein Drittel aller Lebensmittel“, sagt der 59-Jährige. Dies habe unmittelbaren Einfluss auf die CO2-Bilanz. Denn ein Drittel der Lebensmittel, für die wertvoller Boden, Wasser, Arbeitskraft und Energie benötigt würden, müssten demnach gar nicht produziert werden, oder könnten an Bedürftige und Tafeln verteilt werden.

Reden reiche nicht mehr aus

ADLG ist im letzten Sommer aus den Hungerstreiks vor dem Berliner Kanzleramt entstanden, die Aktivist:innen kamen vor allem aus dem Umfeld von Extinction Rebellion. Die beiden Gruppen unterstützen sich gegenseitig, auch über die Forderungen nach ernsthaften und schnelleren Klimaschutz-Maßnahmen herrscht Einigkeit. Methodisch ist ADLG mit seinen Sitzblockaden oder der Lahmlegung von Flughäfen jedoch radikaler, was auch innerhalb von Extinction Rebellion zu Diskussionen führt: „Es wird zwar mit dem ADLG sympathisiert, aber die Aktionen werden durchaus ambivalent betrachtet“, sagt Gerlach.

Er selbst hat bereits an Sitzblockaden auf Autobahnen teilgenommen und verteidigt den zivilen Ungehorsam, der angesichts der Klimakrise nötig sei: „Ich gehöre einer Generation an, die deutlich über ihre Verhältnisse gelebt hat und für die aktuelle Klimakatastrophe mitverantwortlich ist.“ Alles Reden und Appellieren habe bislang nicht zu einem echten Umschwung in der Klimapolitik der Bundesregierung geführt, daher sei er mittlerweile bereit, mehr zu tun, als nur zu demonstrieren. „Um mit Goethes ‚Faust‘ zu sprechen: ‚Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehn!‘“

"Wir können jederzeit Rettungswagen durchlassen"

Doch warum muss man sich dafür auf Autobahnen setzen? „Natürlich finden wir es bedauerlich, wenn Menschen im Stau stehen oder Termine verpassen, aber nur dadurch bekommen wir Aufmerksamkeit für die Klimakatastrophe und bringen die Leute dazu, darüber nachzudenken“, sagt Gerlach. „Woanders werden wir einfach nicht mehr gehört.“

Den Vorwurf, dass durch die Blockaden Krankentransporte behindert würden, ist aus seiner Sicht unbegründet und vorgeschoben: „Wir sind bei jeder Blockade in der Lage, die Mitte der Fahrbahn freizumachen und eine Rettungsgasse zu bilden, wenn ein Fahrzeug mit Blaulicht durch muss“, sagt Gerlach. „Es ist nicht in unserem Interesse, Rettungswagen zu behindern, darüber herrscht Konsens.“

Viel Zuspruch für Essens-Verschenk-Aktion in Potsdam

Die Autofahrer:innen in Berlin würden sich zwar nicht über die Blockaden freuen, bislang habe es aber keine verbalen Übergriffe gegeben, sagt er. Mittlerweile hat die Berliner Polizei mehr als 200 Strafverfahren gegen Aktivist:innen von ADLG eingeleitet. Gerlach schreckt das nicht ab: „Um deutlich zu machen, dass die Forderungen ernst gemeint sind, würde ich auch Festnahmen und Strafanzeigen in Kauf nehmen.“

Eine andere Aktion wurde von der Öffentlichkeit freundlicher aufgenommen: Am Freitag vor einer Woche hatte sich XR Potsdam mit den Forderungen von ADLG solidarisiert und auf der Brandenburger Straße an einem Stand containerte Lebensmittel verschenkt, vor allem Brot, Obst und Gemüse. Ähnliche Aktionen gab es an diesem Tag bundesweit in 13 Städten. Viele Passant:innen begrüßten die Aktion und nahmen gerettete Lebensmittel mit nach Hause. Auch wenn die Blockaden von ADLG umstritten sind, für den Stopp von Lebensmittelverschwendung gibt es in der Bevölkerung breite Zustimmung. „Die Gespräche waren sehr harmonisch, es gab auch Zustimmung zu den Blockade-Aktionen“, sagt Gerlach. Immer wieder seien die Menschen erstaunt gewesen – es seien Sätze gefallen wie: „Aber das ist doch noch genießbar!“ oder „Sowas Gutes landet in der Tonne?“.

Ordungsamt beendete die Aktion vorzeitig

Die Aktion wurde jedoch vorzeitig vom Ordnungsamt beendet: Begründet wurde das mit dem Verweis auf Nicht-Einhaltung von Kühlketten. Auch das abgelaufene Mindesthaltbarkeitsdatum, etwa bei containerten Joghurtbechern, wurde bemängelt. Dies und die generelle Kriminalisierung des Containerns sorgte bei den Aktivist:innen für Unmut: „Ich weiß, dass Containern als schwerer Diebstahl gilt. Aber das ist doch eine Sauerei: Essen retten ist strafbar – Essen überproduzieren und wegwerfen nicht!“, sagt Noemi Mundhaas von XR Potsdam.

Für die Aktivist:innen von XR Potsdam geht es nicht nur um Klimaschutz, sondern auch um soziale Gerechtigkeit: „Ich kann einfach nicht verstehen, warum die Regierung es immer noch zulässt, dass 571 Kilogramm Essen pro Sekunde weggeworfen werden, wenn 1,6 Millionen Menschen auf die Tafel angewiesen sind“, sagt Sven Schreiber, der an der Essens-Verschenk-Aktion teilgenommen hatte.

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